Nach Attentat auf Atomwissenschaftler: Iran will nicht in die Falle tappen
Nach dem Mord am Leiter ihres Atomwaffenprogramms zeigt sich die iranische Führung zurückhaltend. Rache wäre im Sinne der Angreifer.
Bisher hat sich niemand offiziell zu dem Mord bekannt. Iran beschuldigte die USA und Israel, für das Attentat verantwortlich zu sein. Fachrisadeh galt als wichtiger Kopf im iranischen Atomprogramm. Er soll Anfang der 2000er Jahre dessen militärisches Atomprogramm Amad (Hoffnung) geleitet haben. 2003 wurde das Programm eingestellt, aufgrund seiner Tätigkeit verhängte der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen Fachrisadeh.
Dem US-Außenministerium zufolge soll der Ermordete zuletzt die iranische Organisation für Verteidigungsinnovation und Forschung geleitet und das Programm inoffiziell fortgeführt haben. Sein Tod bedeutet für Iran nicht nur den Verlust an wichtigem nuklearem Wissen, sondern aufgrund des großen öffentlichen Interesses auch einen erheblichen Druck, sich militärisch zu rächen.
Der Anschlag ist in einer Reihe von Explosionen und Angriffen auf iranische nukleare Anreicherungsanlagen, Raketenstandorte, petrochemische Zentren und Kraftwerke in diesem Sommer zu sehen, für die Irans Führung ebenfalls die USA und Israel verantwortlich macht. Im Januar tötete ein US-Drohnenangriff zudem den iranischen General Kassem Soleimani. Damals hatte Iran mit Raketenangriffen auf Stellungen der USA im Irak reagiert.
Vergeltungsschlag wäre Angriffsgrund für Trump
Falls die iranische Führung dieses Mal mit einem Vergeltungsschlag antwortet, wäre es für Nochpräsident Trump ein Rechtfertigungsgrund, offiziell nukleare Zentren anzugreifen. Irans Präsident Hassan Ruhani antwortete dementsprechend zurückhaltend. Er sagte, die iranische Nation werde „zu gegebener Zeit“ auf den Tod von Mohsen Fachrisadeh reagieren. Hingegen forderte der oberste Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei am Samstag eine „entschlossene Bestrafung“ der Täter und Strippenzieher.
Doch Ruhani und die moderaten Kräfte müssen einen kühlen Kopf bewahren – nicht zuletzt, damit der Mord an Fachrisadeh der Annäherung an die neue US-Regierung unter Joe Biden nicht im Weg steht. Denn Präsident Ruhani setzt große Hoffnungen in Biden und seine Administration: Mit ihr will er über ein Ende der Sanktionen verhandeln. So soll sich die miserable wirtschaftliche Situation im Land bessern.
Sicherlich hat der Anschlag Auswirkungen auf mögliche wiederkehrende Verhandlungen rund um ein neues Atomabkommen mit Iran. Der 2015 erlangte Deal war 12 Jahre lang verhandelt worden. Er sah vor, dass Iran seine nuklearen Aktivitäten einschränkt sowie Kontrollen durch die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die USA – damals unter Barack Obama– zuließ. Im Gegenzug wurden Sanktionen gelöst und mehr Handel zugelassen. Doch 2018 kippte Trump den Deal.
Der Anschlag provoziert nun möglicherweise eine militärische Konfrontation noch vor dem Ende von Trumps Amtszeit am 20. Januar. Denn mit dem Wahlsieg Bidens steht für Trump seine Strategie auf dem Spiel, Israel zu stärken und den iranischen Einfluss zu vermindern. Sicherheitsexpert*innen diskutieren daher, ob die USA und Israel gemeinsam hinter dem Mord stecken. Nach seiner Wahlniederlage hatte sich Trump US-Medien zufolge nach Optionen für ein militärisches Vorgehen gegen Iran erkundigt.
US-Geheimdienstbeamte machen Israel verantwortlich
Die New York Times berichtete, Israel sei für den Anschlag verantwortlich, und berief sich dabei auf drei ungenannte US-Geheimdienstbeamte. Israels Kabinettsminister Tzachi Hanegbi erwiderte, er habe „keine Ahnung“, wer hinter der Ermordung steckt. „Ich rate der israelischen Führung dringend, zu schweigen“, sagte der ehemalige Leiter der Direktion für militärische Geheimdienste der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, Aluf Yadlin, bei einer Pressekonferenz in Jerusalem. „Alle weiteren Informationen, die Iran helfen würden, sich für eine Vergeltung gegen Israel zu entscheiden, sollten vermieden werden.“
Weil Präsident Ruhani eine Eskalation vor Bidens Amtsbeginn vermeiden möchte, erklärte Irans Regierungssprecher Ali Rabiei, sie würden „nicht in die Falle tappen“, die diplomatischen Bestrebungen auf Eis zu legen. Auch während der Atomgespräche zwischen 2005 und 2015 habe es Anschläge auf iranische Kernphysiker gegeben, doch die Verhandlungen wurden fortgesetzt, sagte er dem iranischen Nachrichtenportal Alef.
Zwar gilt Präsident Ruhani als moderat, doch seine Amtszeit endet bereits im Juni 2021. Viel Zeit bleibt also nicht, um die diplomatischen Beziehungen mit den USA in dieser Krise zu stärken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite