Nach Anschlag auf Bremer Jugendzentrum: Braune Brandstifter vor Gericht
Drei Rechte müssen sich nach dem Anschlag auf die Bremer „Friese“ 2020 wegen schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung verantworten.
Noch in der Nacht war den Veranstaltenden klar, wovon inzwischen auch die Bremer Staatsanwaltschaft überzeugt ist: Rechte hatten einen Brandanschlag auf das selbstverwaltete Jugend- und Kulturzentrum verübt – mitten im alternativen Steintorviertel, während sich zahlreiche Menschen im Haus aufhielten. Drei Männer mit Verbindungen in die rechtsextreme Szene müssen sich deshalb ab dem 16. Januar vor dem Bremer Landgericht wegen schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung in 33 Fällen verantworten.
Nachdem die Feuerwehr den Brand im Obergeschoss gelöscht hat, entdeckt Schulz vor dem Eingang der Friese frisch geklebte Sticker der Neonazi-Partei „Die Rechte“. Am nächsten Tag findet die Polizei an der Tür des völlig verrußten Brandraumes einen weiteren Aufkleber mit rechtsextremistischem Hintergrund. Die Ermittler:innen gehen von Brandstiftung aus.
Brandschutztüren verhindern Schlimmeres
Noch während die Flammen loderten, stürmte Schulz mit seinem dicken Schlüsselbund bis ins Tonstudio unter dem Dach. „Ich wollte sichergehen, dass niemand unbemerkt hoch ist“, erinnert er sich heute. Im selbstverwalteten Jugendzentrum nehmen Nutzer:innen ab 18 Jahren auch mal spätabends Hip-Hop-Tracks auf. In der Februarnacht 2020 waren die oberen Etagen jedoch leer. Die Betondecken und Brandschutztüren des städtischen Gebäudes haben angesichts des vollen Konzertsaals wohl eine größere Katastrophe verhindert.
Doch der Schock sitzt tief und wirkt bis heute nach. „Es gibt ein Arbeiten vor und ein Arbeiten nach dem Brandanschlag“, sagt Schulz, der seit 1995 in der Friese aktiv ist. Mitarbeitende hätten gekündigt, Jugendliche seien nach der monatelangen Sanierung nicht wiedergekommen. Auch fünf Jahre nach dem Anschlag merke Schulz veränderte „Feinheiten im Alltag“. Das Sicherheitsgefühl im einstigen Freiraum sei verschwunden. Andere Betroffene berichten von Panikattacken, therapeutischer Hilfe und Schulterblicken auf dem nächtlichen Nachhauseweg.
Die Angeklagten Nico J., Dave S. und Jan E. bewegten sich zur Tatzeit nachweislich im Umfeld der Partei „Die Rechte“. Nico J. und Dave S. traten zudem mehrfach mit der damals in Bremen aktiven rechten Männerclique Phalanx 18 in Erscheinung. Die Gruppe zog von Sommer 2019 bis zum Verbot durch den Bremer Innensenator im November 2019 regelmäßig durch das Steintorviertel und suchte die Konfrontation mit Antifaschist:innen.
Die Tat als Botschaft
Im September 2021, eineinhalb Jahre nach dem mutmaßlichen Anschlag, durchsuchte die Polizei die Wohnungen der drei Männer, die heute zwischen 29 und 41 Jahre alt sind. Die Innenbehörde sprach damals auch von Funkzellenauswertungen, Telefonüberwachungen und Observationen.
Dennoch kritisiert Rechtsanwältin Lea Voigt, die im anstehenden Prozess eine Nebenklägerin vertritt: „Die Ermittlungen wurden in der wichtigen Phase unmittelbar nach der Tat mit wenig Eifer geführt. Obwohl die Beamten schon zu Beginn konkrete Hinweise auf einen der heutigen Angeklagten erhielten, hatte dies zunächst keinerlei Konsequenzen.“ Man müsse sich klarmachen, dass der Verdacht im Raum stehe, „dass Nazis ein Haus angezündet haben, während sich darin arglose Menschen aufhielten“, fordert Voigt.
Die Bremer Beratungsstelle Soliport für Betroffene rechter Gewalt spricht von „sekundärer Viktimisierung“, wenn die Polizei oder das persönliche Umfeld die Betroffenen nicht ernst nähmen oder gar eine Mitschuld unterstellen würden. „Die Verantwortung für Taten tragen allein die Täter:innen“, stellt eine Sprecherin von Soliport klar. Neben den möglichen Folgen für die unmittelbar Betroffenen wie Stress, Kontrollverlust oder Verhaltensänderungen würden rechtsmotivierte Botschaftstaten auch auf andere Orte mit ähnlichem subkulturellen Hintergrund ausstrahlen.
Mehrjährige Freiheitsstrafen möglich
Den Vorwurf, die Behörden hätten nicht mit dem nötigen Eifer ermittelt, weist die Staatsanwaltschaft Bremen zurück. „Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Brandstiftungsdelikten gestalten sich für Ermittlungsbehörden regelmäßig sehr arbeits- und zeitintensiv“, betont Sprecher Frank Passade. Zwar könne die Staatsanwaltschaft verstehen, dass Geschädigte dies oftmals für zu lang erachten. Dies ändere aber nichts daran, „dass bestimmte Ermittlungsmaßnahmen einfach Zeit benötigen“.
Die Staatsanwaltschaft hält für alle drei Angeklagten eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren für möglich und hat deshalb Anklage vor dem Landgericht statt vor dem Amtsgericht erhoben. Die zuständige Kammer hat 18 Verhandlungstermine bis zum 22. Mai dieses Jahres angesetzt.
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