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Nach Angriff in Berliner U-BahnhofTot oder lebendig

Mit einem „Kopfgeld“ wird nach dem Mann gesucht, der eine Frau in der U-Bahn trat – ein Aufruf zur Selbstjustiz? Unabhängig davon gibt es Ermittlungserfolge.

Wilder Westen in Berlin? Foto: dpa

Berlin taz | Mehr als anderthalb Monate nach einer Attacke auf eine Frau am U-Bahnhof Hermannstraße, die unvermittelt eine Treppe herunter getreten wurde, kann die Staatsanwaltschaft einen ersten Erfolg vermelden. Wie Sprecher Martin Steltner der taz sagte, konnte einer der drei Komplizen des Täters, die den Angriff ungerührt geschehen ließen und sich ohne zu helfen vom Tatort entfernten, „aufgrund eines Hinweises aus der Bevölkerung identifiziert werden“. Nähere Angaben machte die Staatsanwaltschaft nicht. Insgesamt seien bislang zehn Hinweise bei der Polizei eingegangen.

Noch am Sonntag war dem Berliner Bodyguard Michael Kuhr „das Frühstück hochgekommen“, als er in die B.Z. schaute. „Unfassbar? Unfassbar!“ stand da auf der Titelseite. Auch 45 Tage nach der Tat gebe es immer noch keine entscheidenden Hinweise auf die Täter, so die Boulevardzeitung. Und dass, obwohl das Video der Überwachungskamera mit dem die Polizei den Täter sucht, bereits seit Tagen im Netz kursiert und nach Angaben der B.Z. bereits mehr als sechs Millionen Mal geklickt wurde.

Kuhr reagierte auf seine ganz eigene Weise. Auf seiner Facebookseite schrieb er: „Ich bezahle ein Kopfgeld in Höhe von 2.000,- € für den Namen und die Adresse von diesem Bastard!“ Hinweise seien an jede Polizeidienststelle oder an seine Geschäfts-E-Mail-Adresse zu richten. Mit seinem Posting traf Kuhr ganz offensichtlich einen Nerv. Davon zeugen mehr als 17.000 Likes, 7.000 Shares, und etwa 1.000 Kommentare unter seinem Beitrag. Viele bedanken sich bei ihm für seine Initiative, andere sehen sich zur Selbstjustiz ermächtigt. „Setz noch einen drauf: „Tod oder lebendig“, schreibt ein User, ein anderer: „Bringt den Hurensohn um!!!“

Auf Nachfrage der taz distanziert sich Kuhr von diesen Aussagen: „Das sind dumme Schnacker. Das ist nicht das, was ich erreichen will“, so der bekannte Personenschützer. Er sorge „seit 30 Jahren für Recht und Ordnung in der Stadt“ sagt Kuhr, ihm gehe es viel mehr darum, „dass Leute Augen und Ohren offen halten“. Er ist überzeugt: „Bei Geld wird geredet.“ Noch am Montag wollte Kuhr, „zwei sehr interessante Hinweise“, die er auf Facebook erhalten habe, an die Polizei weiterleiten.

Zu Kuhrs Hinweisen konnten weder Polizei noch Staatsanwaltschaft Auskunft geben – zum aktuellen Fahndungserfolg haben sie jedenfalls nicht beigetragen. Grundsätzlich sieht Steltner die Initiative des Bodyguards aber gelassen. Immer wieder käme es zu privaten Auslobungen; diese seien allerdings auch „zivilrechtlich bindend“. Es sei zu begrüßen, dass Leute einen Beitrag zur Aufklärung von Straftaten leisten wollen, so Steltner. Andererseits gingen einige der Beiträge auf Kuhrs Facebookprofil „in Richtung Selbstjustiz“ – „das geht gar nicht“. Zu Kuhrs Wortwahl wollte sich Steltner nicht näher äußern: „Das spricht für sich“.

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5 Kommentare

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  • Der Täter ist also gefasst.

     

    Jetzt muss die Tat (die Körperverletzung) analysiert werden. Warum kam es dazu überhaupt? Wo liegen die Ursachen?

     

    Mit dem dadurch gewonnen Wissen müssen wir Vorkehrungen treffen, damit es gar nicht zu solchen Taten (Körperverletzung) kommt.

     

    Dafür muss die gesamte Gesellschaft zusammenhalten. Damit das klappt, darf keine Bevölkerungsgruppe in Berlin ausgegrenzt oder benachteiligt werden.

  • [...] Das klar zu benennen spricht nicht "für sich", sondern für Herrn Kuhr. Und es ist gut, dass jemand die Aufklärung solcher Straftaten mit Geld unterstützt. In solch kriminellen Miilieu lockert das manche Zunge. Hoffentlich wird der Idiot und seine Kumpane gefasst und wandert in den Knast. [...]

     

    Kommentar gekürzt. Bitte achten Sie auf eine angemessene Wortwahl. Danke, die Redaktion

    • @Laurenz Kambrück:

      Wenn die Politik und die Polizei den Bürger nicht mehr beschützen kann oder will und solche Überwachungsvideos am liebsten unter den Teppich gekehrt werden, dann muss man sich nicht wundern, wenn der Bürger seine Sicherheit irgendwann selbst in die Hand nimmt. Wenn ein "Kopfgeld" von Privatleuten ausgesetzt wird, um so einen skrupellosen Menschen zu fassen, damit nicht noch mehr Frauen zusammengetreten in den U-Bahn-Schächten liegen, dann sollte man das als Zeichen sehen, dass die Sicherheit für den Bürger in deutschen Städten nicht mehr vom Staat gewährleistet ist. Die Polizei ist anscheinend mehr damit beschäftigt Politiker zu beschützen als den Bürger.

  • Auf dem gezeigten Video ist der Mann doch gut zu erkennen - wundert mich echt das der noch nicht gefasst ist.

     

    Dann sieht man das der Mann eine Bierflasche in der Hand hält.

     

    Ein striktes Alkohol und Drogenverbot in öffentlichen Nahverkehrs Detitinationen wäre vllt eine sinnvolle Maßnaheme.

  • 2G
    2830 (Profil gelöscht)

    Das Prinzip: Ich will zu den Guten gehören? Da bieten sich solche Abwegigkeiten an und 'Es' tobt. Das Video zeigt die Verrohung, die sich dort breit macht, wo Respekt eingefordert wird ohne selbst etwas dafür zu tun außer Angst zu generieren, nämlich an den Rändern der Zivilgesellschaft. In diesem Fall medial aufbereitet und emotional aufgeladen; sonst wo nimmt kaum einer Notiz und kümmert sich um sich selbst. Was die Vierergruppe da abgezogen hat, ist nicht einzigartig sondern Alltag. Das ist das Erschreckende! Vor allem dort wo Leben wenig wert ist und Schwänze herrschen. Der Moralist braucht Kristallisationsfiguren, auf die er seinen Hass projizieren kann. Diese verlorenen Seelen geben eine perfekte Zielscheibe ab. Die Frau trifft die volle Verachtung einer verwahrlosten Gesellschaft, die mir täglich begegnet. Glücklich wer ihr noch nicht zum Opfer gefallen ist.

     

    Zum Artikel ein John-Wayne-Zitat: Der Tag wird kommen.