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NSU bei PolizeikontrolleKnapp entwischt

Das NSU-Trio ge­riet laut Zschäpe nach dem Untertauchen in eine Polizeikontrolle. Obwohl es damals schon gesucht wurde, konnte es entkommen.

Beate Zschäpe ließ durch ihren Anwalt vermelden, dass sie nicht nur einmal mit der Polizei in Berührung kam, als schon nach ihr gefahndet wurde Foto: ap

BERLIN dpa/taz | Es hätte das schnelle Ende der Rechtsterroristen sein können. Wenige Wochen nach dem Abtauchen von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 1998 in Jena entging das Trio offenbar nur knapp einer Festnahme.

Zschäpe ließ über ihren Anwalt Hermann Borchert am Donnerstag im Münchner NSU-Prozess mitteilen, dass ihr Trio damals in Hannover in eine Polizeikontrolle geriet. Sie hätten befürchtet, „dass wir nun verhaftet würden“. Trotz gestohlenem Kennzeichen, das die Beamten „im Computer überprüft“ hätten, konnten sie aber „unbehelligt weiterfahren“. Das untergetauchte Trio wurde damals bundesweit wegen Sprengstoffvergehen von der Polizei gesucht.

Zschäpe ließ ihren Anwalt schildern, dass sie sich durch einen Fahndungsaufruf im Fernsehen unter Druck sahen. Ein Szenebekannter, in dessen Chemnitzer Wohnung sie sich versteckten, habe sie gedrängt, wieder auszuziehen. Deshalb seien sie nach Hannover gefahren, um bei dem Mitangeklagten Holger G. Unterschlupf zu finden. Dies sei aber nicht geglückt. Dem Bericht von Zschäpe waren Fragen des Richters an sie über G. vorausgegangen.

In Sicherheitskreisen hieß es, die damalige Situation sei wohl nicht mehr recherchierbar. Daten über einfache Polizeikontrollen müssten fristgerecht gelöscht werden.

Für das NSU-Trio war es nicht die einzige brenzlige Situation. 2006 stand einmal ein Polizist vor der Tür einer Untergrundwohnung der drei in Zwickau. Er befragte Zschäpe nach einem Wasserschaden in einer Nachbarwohnung. Diese gab sich als „Lisa Dienelt“ aus. Später erschien Zschäpe mit dem heute Mitangeklagten André E. auf dem Polizeirevier, gab diesen als ihren Ehemann aus und nannte sich plötzlich „Susann E.“.

Die Maskerade funktionierte dennoch: Beide gingen unbehelligt nach Hause. Wenige Monate später tötete der NSU in Heilbronn sein letztes Opfer: die Polizistin Michèle Kiesewetter. Zuvor hatte die rechte Terrorgruppe neun Migranten erschossen. Zschäpe wird im Münchner Prozess die Mittäterschaft an allen Morden vorgeworfen.

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2 Kommentare

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  • Es kommt noch schlimmer, als ich dachte - unter der Überschrift "ich bin schuld am Tod von Corelli" schreibt der Forist "kewkib3" in seinem ersten und bisher einzigen Kommentar auf TELEPOLIS, daß er die Linken-Abgeordnete P. Sitte auf den Verkehr "Corellis" im "Brauen Haus" in der Delitzscher Straße [in Halle (Saale)] aufmerksam gemacht, was sie wiederum zu einer parlamentarischen Anfrage bewogen habe - infolgedessen "Corelli" im Zeugenschutzprogramm "verschwand" und schließlich "plötzlich verstarb". - Solche "unerwarteten" Todesfälle unter Zeugen sind sicheres Indiz für das Vorhandensein von mafiosen Strukturen, von "Tiefem Staat". Damit wäre also sicher zu rechnen - die staatsfromme TAZ aber stört's nicht.

  • Lieber Herr Litschko, ich spreche Sie direkt an und erhoffe mir eine Antwort. "Wenige Monate später tötete der NSU in Heilbronn sein letztes Opfer: die Polizistin Michèle Kiesewetter. Zuvor hatte die rechte Terrorgruppe neun Migranten erschossen." - Was gibt Ihnen die Gewißheit? An allen Tatorten, die dem "NSU" zugeordnet werden, gab es keine Fingerabdrücke und DNA-Spuren von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Die relevanten in den Prozeß eingeführten Sachzeugen wurden allesamt nach dem Tod der vermuteten Haupttäter gefunden. Und das allerdings reichlich. Ein Kriminalist nannte das schon 2011 "eine Beweisorgie". Der erste Impuls vieler wacher Zeitgenossen war damals beim Tod von Böhnhardt und Mundlos: Da wurden zwei Hauptzeugen umgebracht. Die angeblichen Belege für deren Selbstmord erwiesen sich dann auch als Chimäre. Seitdem wurden Hunderte von Akten vernichtet, geschwärzt, "bereinigt" oder zurückgehalten, mindestens drei mögliche Zeugen im Zusammenhang mit dem Polizistinnenmord von Heilbronn starben unerwartet, ebenso ein vermutlich wichtiger V-Mann. Sie, Herr Litschko, ficht das alles nicht weiter an und Sie zweifeln weiterhin nicht an den Essentials der Münchener Anklage. Mich macht diese Staatshörigkeit fassungslos. Fassungslos auch, wie viele Linke über das Stöckchen gesprungen sind, das ihnen die vermeintlichen "Sicherheistbehörden" vorgehalten haben: die Freude darüber, daß die Rechten jetzt "auch eine RAF haben", scheint viele blind gemacht zu haben. Verstehen sie alle nicht, daß es sich hier um üble Spiele des Machtapparats handelt? - Wer meine Kommentare liest, erkennt schnell: ich bin links, sogar sehr links. Mir geht es nicht um "Entlastung" der Rechten oder dergleichen. Mir geht es allerdings um Staatskritik, um die Kritik an verselbständigten Teilen der Exekutive, die von Legislative und Judikative unbehelligt agieren können, ganz egal, wer gerade regiert.