NSU-Prozess in München: Mit offenen Fragen ins nächste Jahr
Nach den Aussagen von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben müssen Zeugen neu befragt werden. Das Verfahren wird länger dauern.
Zuvor stellte Götzl erste Nachfragen zu Wohllebens Einlassung. Und der als NSU-Waffenbeschaffer Angeklagte erzählte noch mal von seiner verkorksten Jugend: von zu Hause ausgebüchst, Leben im Heim, in der neunten Klasse sitzengeblieben, abgebrochene Ausbildungen. Das größte Abenteuer: eine Spritztour in einem geklauten Auto nach Österreich mit dem späteren NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt.
Erfolge blieben aber aus: Die längste Zeit war Wohlleben arbeitslos. Stattdessen widmete er sein Leben der rechtsextremen Szene, brachte es bis zum Vize-NPD-Landeschef in Thüringen. Laut Anklage war er die „Zentralfigur“ aller NSU-Helfer. Mit der von ihm beschafften Waffe habe das Trio neun Migranten erschossen.
Zu diesem Part will Götzl Wohlleben erst nach der Prozesspause, ab dem 12. Januar, befragen. Dann will auch die Hauptangeklagte Zschäpe erste Nachfragen beantworten. Mehr als 50 Fragen hatte Götzl nach ihrer Einlassung gestellt – und seine Zweifel zum Ausdruck gebracht. Zschäpe wie Wohlleben hatten beteuert, mit den Morden nichts zu tun gehabt und davon erst im Nachhinein erfahren zu haben.
Neue Vorladung für Tino Brandt wahrscheinlich
Die Mordwaffe, behauptete Wohlleben zudem, habe nicht er, sondern ein anderer Mitangeklagter beschafft: Carsten S. Dessen Verteidiger Johannes Pausch kündigte an, dass sein Mandat nun erneut aussagen werde. Bereits zu Prozessbeginn hatte Carsten S. Wohlleben als Waffenorganisator benannt. „Mein Mandant bleibt bei seiner Erinnerung“, erklärte Pausch. Auch die Anwälte des weiteren Mitangeklagten Holger G. prüfen eine erneute Einlassung. Auch ihn hatte Wohlleben belastet.
Im Prozess erneut vorgeladen werden muss wohl auch Tino Brandt, früherer Thüringer Kameradschaftsführer und V-Mann. Er wurde von Zschäpe wie Wohlleben als zentraler Antreiber der damaligen rechten Szene beschuldigt. Noch nach dem Abtauchen habe er mit dem Trio Kontakt gehalten, diesem Geld zukommen lassen. All dies dürfte den NSU-Prozess verlängern. Vor den Aussagen Zschäpes und Wohllebens wurde mit einem Urteil im späten Frühjahr 2016 gerechnet. Das Gericht hatte aber bereits vorsorglich Termine bis September 2016 angesetzt.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Protestaktion gegen CDU-Chef Merz
Alle Tassen im Konrad-Adenauer-Haus?
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
EU-Antwort auf Putin und Trump
Zu wenig und zu spät
CDU-Politiker boykottiert Radio Bremen
Zu links, zu grün, zu schlecht
USA in der Ukraine
Geheime Verhandlungen mit der Opposition
Wahlbeteiligung bei Hamburg-Wahl
Wählen geht, wer Geld hat