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NSU-Prozess in MünchenZschäpe und das Mädchen

Zschäpes neuer Anwalt hält sich zurück. Dafür sorgt eine Zeugin für Aufsehen: Sie will Zschäpe mit einem kleinen Kind gesehen haben.

Die Angeklagte Beate Zschäpe (l) und ihr neuer, vierter Anwalt, Mathias Grasel. Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Mathias Grasel hat einen ernsten Blick, als er am Dienstagmorgen das Blitzlichtgewitter der Fotografen durchschreitet. Zusammen mit Beate Zschäpe wendet er sich von den Journalisten ab. Kurz darauf sackt offenbar, dass er hier ja nichts zu verbergen hat. Er dreht sich um.

Es ist Grasels zweiter Auftritt im NSU-Prozess als neuer, vierter Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten Zschäpe. Deshalb gilt Grasel am Dienstag die Aufmerksamkeit. Sein erster Auftritt war schnell vorbei: In der letzten Woche ernannt, gab ihm das Gericht sieben Tage zur Einarbeitung. Die sind nun rum.

Am Mittag hebt Grasel zu seiner ersten Frage an. Die Vermieterin des letzten Wohnmobils des untergetauchten Trios sitzt zu dieser Zeit im Zeugenstand. Es geht um den Wagen, mit dem die beiden anderen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu ihrem letzten Banküberfall am 4. November 2011 nach Eisenach fuhren – und in dem sie sich, umzingelt von der Polizei, erschossen.

Wer, fragt Grasel, habe denn damals das Geld für den Caravan bezahlt? Die Wagenvermieterin Michele A. hatte von einem Mann und einer Frau berichtet, Letztere war offenbar Zschäpe. Jetzt gibt die Wagenvermieterin die erhoffte Antwort: „Der Mann, glaube ich.“ Grasel ist zufrieden. Von wegen Finanzverwalterin des Trios, so wie die Anklage über Zschäpe schreibt. Keine weiteren Fragen.

Es bleibt ein mehr als unauffälliger Auftritt des Neuverteidigers an diesem Tag. Die meiste Zeit schweigt der 30-Jährige, schaut auf seinen Laptop, tuschelt ab und an mit seiner Mandantin Zschäpe. Kein Wunder: Grasel hat 215 Prozesstage verpasst, für eine wirkliche Einarbeitung wird er weit länger als eine Woche brauchen. An Zschäpes Schweigestrategie, hat Grasel angekündigt, werde sich vorerst aber nichts ändern.

Das Kind hat Mama gesagt

Michele A., Zeugin

Grasels Ernennung ist ein Schlichtungsversuch des Gerichts, nachdem es Zschäpes Anträge gegen ihre drei anderen Anwälte abgelehnt hatte. Für Zschäpes Mitangeklagte wird es indes kein guter Tag. Ein früherer Kameradschaftskollege des Mitangeklagten André E. berichtet, er habe diesen noch Ende letzten Jahres auf einer rechten Demonstration gegen ein „Asylantenheim“ im sächsischen Schneeberg getroffen. Der Polizei hatte Marcel S. bereits erzählt, dass André E. vor Jahren einen Freund gebeten habe, für drei „Kameraden“ eine Wohnung zu mieten, weil sie Probleme mit der Bank hätten. Offenbar waren die untergetauchten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gemeint. „Kann sein“, bestätigt der wortkarge Mann vor Gericht.

Ebenso ungemütlich wird es für Holger G., auch er als NSU-Helfer in München angeklagt. Die Wohnmobil-Vermieterin Michele A. berichtet, der Vertrag über den Wagen sei damals mit „Holger G.“ unterschrieben und ein entsprechender Ausweis vorgelegt worden. Als die Polizei ihr Fotos vorlegte, erkannte sie Holger G.

Ein kleines, blondes Mädchen

Die Ankläger gehen dennoch davon aus, dass es Böhnhardt war, der unter falschem Namen vor Ort war. Er sah Holger G. damals ähnlich und hatte bis zum Schluss dessen Reisepass geliehen. Michele A. schilderte noch etwas Erstaunliches: Bei der Abholung sei damals auch ein kleines, blondes Mädchen dabei gewesen, vier oder fünf Jahre alt. Dieses habe die Frau mit „Mama“ angesprochen, sei unauffällig in die Spielecke gegangen.

Ein Mädchen? Dass Zschäpe Mutter wäre, ist bisher nicht aktenkundig. Bekannt ist, dass der Mitangeklagte und mutmaßliche NSU-Vertraute Ralf Wohlleben zwei kleine Töchter hat. Aber warum sollte Zschäpe eines der Mädchen oder ein anderes mitbringen?

Die Ermittler halten Michele A. für glaubwürdig. Für sie bleibt diese Frage bis heute ein Rätsel. Das Mädchen, so heißt es in der Anklage nur, sei bisher nicht identifiziert.

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5 Kommentare

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  • @KARLM, zunächst Danke für Ihre Antwort, die bestimmt neben mir natürlich auch noch viele andere Leser interessiert haben dürfte! Wenn Sie mit Ihrer selbst angegebenen jahrelangen Erfahrung in Sachen Todesursachenermittlung dazu solche hochwichtigen, aber fragwürdige Feststellungen treffen, müsste Ihnen doch eigentlich beim Lesen des "offiziell geschilderten Herganges" das Herz in die Hose gerutscht sein....

     

    Mir geht es übrigens auch immer so, wenn vom Tathergang bzw. Ablauf des fürchterlichen Amoklaufes im Erfurter Gutenberg-Gymnasium im Jahre 2002 die Rede ist....

    Bekannlich wurden dabei nach Anweisung der Staatsanwaltschaft für alle 16 Opfer Totenscheine ausgestellt, die mit maximal ca. 30 Minuten nach den Taten angegeben wurden. Das Fatale an der schon sehr traurigen Angelegenheit war u.a. aber, dass drei Lehrer und zwei Schüler, ohne (trotz zwischenzeitlicher Anwesenheit) Hilfe zu bekommen, noch ca. 1-2 Stunden, verstreut im Gebäude und auf dem Hof, gelebt haben sollen!

  • Der Verlauf dieses jetzt schon bereits unnormal lang und mit bisher schon weit über zwei Millionen € teuren NSU- Prozesses in München nimmt immer groteskere Züge an. Statt möglichst zielgerichtet die Schuld oder Unschuld zu beweisen, richtet sich scheinbar das Interesse der Medien gegenwärtig vordergründig auf den von Zschäpe angeforderten und vom Gericht genehmigten „Junganwalt“ Grasel, der zudem vermutlich mindestens eine mittlere dreistellige tägliche Summe aus Steuergeldern erhältl. Er scheint als Kenner dieses Hauses bei dem Absolvieren der Referendarzeit eine Sondergenehmigung erhalten zu haben, um das völlig in`s Stocken geratene Zusammenspiel der Angeklagten mit ihren scheinbar auch untereinander zerstrittenen bisherigen Anwälten vielleicht zu einer endlich erwarteten Kehrtwende bei dem Auftreten und Aussagebereitschaft zu erreichen.

     

    Mir ist es allerdings nicht ganz einleuchtend, wie sich Grasel als Strafanwalt mit begrenzter, zweijähriger praktischer Erfahrung hier einbringen kann, wenn er regelrecht die meisten Zeugenaussagen vor Ort in dem schon zweieinhalb Jahre andauernden Prozess verpasste! Außerdem wünschen sich die betroffenen Angehörigen, Opferanwälte und vielen anderen Prozessbeobachter vordergründig eine zeitnahe vollständige Aufklärung, statt sich die immer wiederkehrenden Schauspieleinlagen der kontinuierlich wachsenden Verteidigeranzahl, die noch nicht beendet zu sein scheint, im Gerangel um die enger werdenden besten Plätze neben der sich abgewandt und weiterhin sprachlos zeigendenen „Hauptdarstellerin“, Zschäpe, ansehen zu müssen!

     

    Als Livbeobachter des damals über das Wohnmobil kreisenden Polizei-Hubschraubers aus ca. 4 km Entfernung würde mich noch abschließend interessieren, wie in der Praxis das Leben von Mundlos und Böhnhardt wirklich endete. War es Mord, Selbstmord oder gar beides?

    • @Hans Klemm:

      Falls es Sie interessiert:

       

      Keiner der beiden im WoMo aufgefundenen Geschädigten hatte die brandereignistypischen Gase CO und CN im Blut. Einen Rußantrag auf Schleimhäuten gab es auch nicht.

      Das sind für mich nach 20 Jahren Todeursachenermittlung die ersten Menschen bei denen das Blut o.a. Brandgase nicht gebunden hat!

       

      Und im Schädelbereich des angeblichen Schützen wurden Geschossteile eines 9X19 mm Projektils aufgefunden und als "nicht verfahrensrelevant" asserviert. Auch der thorakale Schussdefekt beim gegenüber liegenden Uwe wurde zugunsten des Krönleinschusses nicht so genau untersucht. Immerhin stammt auch dieser Defekt von einem 9X19 mm Projektil, der Schädeldefekt dagegen von einem Flintlaufgeschoss; schräg von unten geschossen. Angeblich aus einer "Mossberg", nicht "Masberg" wie die Kollegen vom TLKA dokumentierten. Die konnten aber auch eine beschossene Hülse nicht von einer unbenutzten Patrone unterscheiden, wenn man der "Aktenlage" glaubt, was natürlich nicht der Fall ist. Warum Profis hier solche Böcke in Reihe schießen, bleibt unerfindlich.

       

      Der RÄ braucht eigentlich dazu nur die entsprechden Sachverständigen hören.

       

      "Mordmerkmale" sind gegeben, nur ist das Ganze ohne Einwirkung Dritter kaum in nachvollziehbare Bahnen zu lenken.

  • fragt die Enkelin den Opa: opa wer sind die alten Leute da! ach Mädel das sind die NSU Leute, so hats mir wenigstens mein Opa erklärt!

  • Um welchen "Caravan" geht es eigentlich?

     

    In den TO-Akten wird die Gesamtlänge des Fahrzeugs mit ca. 4,5 m angegeben, dabei müssten es um 6,9 m sein?

     

    Dazu stimmen amtliches Kennzeichen: V-MK1121 und die Beschriftung auf der grünen Plakette nicht überein...

     

    Ansonsten gilt die bei "NSU"-Artikeln schon übliche Beschwerde:

     

    1. Die Todesart "Suizid" ist ausweislich der Sektionsbefunde nur sehr unvollständig belegt.

    2. Die mutmaßlichen Täter waren zu keinem Zeitpunkt "umzingelt"

     

    3. Die Barkaution für das Fahrzeug, ist übrigens wie so viele sichergesteltle Gegenstände aus dem Umfeld des Trios vollkommen spurenfrei was die drei Verdächtigen angeht.

     

    Da lehnen Sie sich schon ordentlich aus dem Fenster Herr Litschko!