NSU-Entscheidung von Bundesgerichtshof: Helfer muss zittern
Am Donnerstag könnte der Bundesgerichtshof das Urteil gegen André Eminger kippen. Die Bundesanwaltschaft drängt auf eine höhere Strafe.
Nun aber muss Eminger, den seine eigenen Anwälte als „Nationalsozialisten mit Haut und Haaren“ bezeichnen, noch mal zittern. Am Donnerstag will der Bundesgerichtshof (BGH) verkünden, ob die NSU-Urteile Bestand haben. Denn rechtskräftig sind diese bis heute nicht, da alle Verurteilten Revision einlegten, im Fall Eminger auch die Bundesanwaltschaft. Die wollte zwölf Jahre Haft für den Neonazi. Für den 42-Jährigen steht damit nun am meisten auf dem Spiel.
Das Gericht hatte Beate Zschäpe als Mittäterin zu einer lebenslangen Haftstrafe für den NSU-Terror mit zehn Morden, drei Anschlägen und 15 Raubüberfällen verurteilt. Ihre Anwälte sehen dagegen nur eine Beihilfe, da Zschäpe bei den Taten nicht dabei gewesen sei. Die vier mitangeklagten Helfer erhielten Haftstrafen bis zu zehn Jahren. Einzig der Waffenlieferant Carsten S. akzeptierte seine dreijährige Jugendstrafe und hat diese bereits abgesessen.
Im Fall Eminger waren die Opferfamilien über die milde Strafe entsetzt. Über sein Urteil wird der BGH nun wohl noch einmal mündlich verhandeln – bei Revisionen der Bundesanwaltschaft ist dies üblich. Und diese kritisiert in ihrer nichtöffentlichen Revisionsbegründung an den BGH das Urteil zu Eminger nach taz-Informationen deutlich: Dieses sei rechtsfehlerhaft und widersprüchlich.
Kontakt zu NSU-Trio war nicht nur „sporadisch“
Eminger hatte Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seit dem Abtauchen 1998 bis zum Auffliegen 2011 durchgängig begleitet. Im April 1999 besorgte er ihnen eine Wohnung in Chemnitz, später auch Wohnmobile und Bahncards. Mit den Autos fuhr das Trio zu Raubüberfällen und einem Bombenanschlag 2001 in Köln.
Das Gericht glaubte dennoch, dass Eminger lange nicht in die Terrortaten eingeweiht und der Kontakt nur „sporadisch“ war. Erst 2007, als Eminger für das Trio unter falschem Alias bei der Polizei aussagte, sei er eingeweiht worden. Mit diesem Wissen habe er aber nur noch die Bahncards besorgt – und könne daher auch nur dafür als Terrorhelfer verurteilt werden.
Für die Bundesanwaltschaft war der Kontakt Emingers zu den Untergetauchten dagegen wesentlich intensiver als von den Richtern behauptet. So habe dieser nicht nur die Anmietungen und Papiere gestellt, sondern das Trio mehrmals im Monat getroffen, auch Einkäufe übernommen, erinnert die Behörde in ihrer Revisionsbegründung.
Dies sei mehr als ein sporadischer Kontakt. Und schon aus eigenem Interesse müsse Eminger – der damals arbeitslos oder geringverdienend war – gefragt haben, wie er das Geld für die Wohnung oder die Wohnmobile zurückbekomme.
„Turner-Tagebuch“ an die Untergetauchten übergeben
Dass er von einer legalen Beschäftigung des Trios ausging, sei lebensfremd, so die Bundesanwaltschaft. Für die Untergetauchten wäre das fluchtbedingt gar nicht möglich gewesen. Der Senat habe auch nicht dargelegt, was Eminger sich hier vorgestellt haben könnte.
Auch seien die Wohnungen und Ausgaben des Trios mit der Zeit immer größer geworden, was Fragen der Finanzierung aufgeworfen haben müsse. Für Eminger müsse sich die Option von Raubüberfällen durch die Untergetauchten geradezu aufgedrängt haben. Umso mehr, da er auch laut Gericht das kriminelle Treiben des Trios und den Grund des Untertauchens kannte: das Beschaffen von Sprengstoff.
Auch dass Eminger dachte, er miete die Wohnwagen nur für Ferien der Untergetauchten an, sei abwegig – geschah dies doch nur für kurze Zeiträume und jenseits der Urlaubszeit, im Herbst und Winter. Zudem waren die Anmietungen für Eminger ein Risiko, etwa im Falle eines Unfalls. Dass er dieses Risiko nur für Freizeitausflüge des Trios einging, sei fernliegend.
Und die Bundesanwaltschaft erinnert auch an eine Übergabe des „Turner-Tagebuchs“ von Eminger an das Trio – ein in der Szene gefeierter Roman über einen Rechtsterroristen, in dem Überfälle, Anschläge und willkürliche Morde geschildert werden. Die Parallelen zum NSU-Terror müssen für Eminger, den überzeugten Rechtsextremen, auf der Hand gelegen haben, so die Behörde.
„Stirb, Jude, stirb“
Es sind Einwände, mit denen sich der Bundesgerichtshof genauer beschäftigen wird. Eminger selbst schweigt bis heute zu seiner Rolle beim NSU-Terror.
Seine Gesinnung aber verhehlt er nicht. Auf seinen Bauch hat er sich „Die Jew Die“ (deutsch: „Stirb, Jude, stirb“) tätowiert. Nach seiner Verurteilung besuchte er weiter Szeneveranstaltungen. Erhält Eminger noch eine höhere Strafe, müsste er darauf wieder verzichten – und würde ins Gefängnis wandern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken