NS-Glocke bekommt Lernort: Hakenkreuz wird nun doch nicht versteckt
Die Michaelkirche im niedersächsischen Faßberg soll Teil eines Lern- und Denkortes werden. 2017 war auch dort eine Hakenkreuz-Glocke gefunden worden.
Die Kirche ist ein architektonisches Abbild der Ideologie ihrer Erbauungszeit. 1938 war sie fertig, Höhe- und Mittelpunkt der 1934 vom NS-Staat gebauten Luftwaffensiedlung Faßberg. Vor diesem Hintergrund wirkt selbst der Gekreuzigte auf dem Altarfenster wie ein Held, ein Recke bis in den Tod – sicher auch als Vorbild für die dort stationierten Soldaten gedacht.
Doch da sind noch mehr NS-Insignien: Die vier Evangelisten der – historisch im heutigen Nahen Osten angesiedelten – Bibel etwa hat der NS-Funktionär Werner Thiede in Wikinger-Tuniken an die Südwand gemalt, getreu der NS-Ideologie der nordischen „Herrenrasse“. Auch der goldene Vogel über der Kanzel ähnelt eher dem Luftwaffen-Adler als der den Heiligen Geist symbolisierenden christlichen Taube. Und auf dem deutlich sichtbaren Grundstein neben dem Altar prangt ein weiterer Luftwaffen-Adler mit – 1945 entferntem – Hakenkreuz in den Krallen.
Streit begann am Buß- und Bettag 2017
All dies lag in Faßberg, inzwischen Standort eines riesigen Luftbrücken-Museums, jahrzehntelang unangefochten zutage – bis 2017 Sigrid Peters, einstige Organistin der St.-Jakobs-Kirche im rheinland-pfälzischen Herxheim am Berg, öffentlich machte, dass dort eine in großen Lettern Hitler preisende Glocke hing. Aufgeschreckt gingen alle Landeskirchen auf die Suche und wurden auch in Faßberg fündig. Der Streit begann, als deren Glocke nach einem Umbau am Buß- und Bettag 2017 wieder läuten sollte. „Da haben wir uns mit Flugblättern vor die Kirche gestellt und gebeten, dass die Glocke schweigen möge“, sagt Hans-Dietrich Springhorn. Er ist einer der damals zehn AktivistInnen, die die Inbetriebnahme der Glocke nicht hinnehmen wollten und inzwischen die Geschichtswerkstatt Faßberg gegründet haben.
Genützt hatte der Protest zunächst nichts. Kirchenvorstand, Pastor und Gemeinde wollten die Glocke behalten. Als der Pastor dann in jenem Gottesdienst vorschlug, man könne eine Glocke für den von den Nazis ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer daneben hängen, waren die ProtestlerInnen so empört, dass sie die Sache öffentlich machten. „Das klang ja, als werde Bonhoeffer ein zweites Mal aufgehängt“, sagt Springhorn.
Das wirkte. Eine Debatte in nationalen und internationalen Medien brach los, in deren Folge Kirchenvorstand, Pastor und Gemeinde beschlossen, die Glocke abzuhängen, auf den Dachboden zu stellen und eine neue zu gießen. Die Landeskirche Hannover bezahlte, 2019 wurde die neue Glocke geweiht. Auch gründete die Landeskirche einen Gesprächskreis, um den Vorgang aufzuarbeiten.
Ende 2021 wurde auf Initiative der Geschichtswerkstatt eine Tafel vor der Kirche aufgestellt, die den Vorgang dokumentierte. „Zu diesem Anlass haben wir als Geschichtswerkstatt gefordert: Diese Glocke kommt nicht weg, wird nicht eingeschmolzen oder verschwindet im Museum, sondern bleibt in der Kirche als Teil eines Lern-, Denk- und Dokumentationsorts“, sagt Springhorn. Man sei sich mit VertreterInnen von Gemeinde und Kirchenvorstand einig gewesen, dass dieser Ort im Zuge der anstehenden Kirchensanierung eingerichtet werde. Doch bei Wiedereröffnung der Michaelkirche im Frühjahr 2024 war von einem Lernort nichts zu sehen und zu hören.
Bischöfin machte den Lernort zur Chefsache
Nun war aber seit Kurzem die neue Regionalbischöfin des zuständigen Sprengels Lüneburg, Marianne Gorka, im Amt. Sie griff die Idee gern auf, machte den künftigen Lern- und Denkort zur Chefinnensache und belebte den Gesprächskreis nach fünfjähriger Pause neu.
Der hat kürzlich getagt, besetzt unter anderem mit VertreterInnen von Kirchenvorstand, Gemeinde und Geschichtswerkstatt sowie Elke Gryglewski von der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten und Christian Staffa, Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche mit Schwerpunkt Antijudaismus und Antisemitismus. „Das Treffen markiert den Beginn einer erneuten intensiven Auseinandersetzung mit der historischen Last der Glocke und ihrer symbolischen Bedeutung für die Kirchengemeinde Faßberg“, heißt es in der Pressemitteilung der Bischöfin. Ziel der Gruppe sei, „einen Lern- und Gedenkort zu entwickeln, der die Glocke in ein umfassendes pädagogisches Konzept einbettet“.
Gemeinde soll beteiligt werden
Wichtig sei, ergänzt Gorka, dass die Gemeinde beteiligt werde. „Deshalb werden wir am 16. Januar zu einem ‚Welt-Café‘ einladen, wo Menschen zunächst in Kleingruppen überlegen könnten: Was für einen Gedenkort wünsche ich mir, was verbinde ich persönlich mit dieser Glocke, was bedeutet es mir, in einer Kirche getauft zu sein, deren Glocke ein Hakenkreuz trägt?“
Wobei der Denkort nicht nur die Glocke kommentieren müsste, sagt Springhorn von der Geschichtswerkstatt, sondern auch besagte Evangelistengemälde, den Vogel auf der Kanzel und den Grundstein mit Luftwaffen-Adler und Spuren des 1945 herausgefrästen Hakenkreuzes.
„Welt Café“: 16.1., 17 bis 20 Uhr, Faßberg, Michaelkirche
Noch sei nichts entschieden, betont indes Regionalbischöfin Marianne Gorka. Sie könne sich beispielsweise einen – sei es durch Beschriftungen, sei es durch QR-Codes – geleiteten Rundgang vorstellen. Aber darüber müsse in einem partizipativen Prozess diskutiert werden.
Im niedersächsischen Schweringen, in deren Kreuzkirche man eine weit größere „Vaterlandsglocke“ mit Hakenkreuz fand, wurde anders entschieden. Nachdem Unbekannte eines Nachts Hakenkreuz und NS-Inschrift abgefräst hatten, ließ man einen Psalm über die NS-Beschriftung drucken, weihte die Glocke 2020 neu und hängte sie wieder auf. Vor die Kirche stellte man ein „Hörmal“ mit der Hohlform der Glocke. Auch hier musste Bonhoeffer herhalten: mit dem vielfältig deutbaren Zitat „Vergebung ist ohne Anfang und Ende.“
In Rheinland-Pfalz hängt die Hakenkreuz-Glocke bis heute
Auch im rheinland-pfälzischen Herxheim, wo die Debatte um die NS-Glocken 2017 begann, hängt die Glocke mit der Aufschrift „Alles fuer’s Vaterland – Adolf Hitler“ bis heute. Der Stadtrat ließ sie „als Anstoß zur Versöhnung und Mahnmal gegen Gewalt und Unrecht“ hängen. Die Klage eines jüdischen Deutschen, der darin die Verhöhnung der Holocaust-Opfer sah, wies das Oberverwaltungsgericht Koblenz 2018 ab.
Warum Menschen ausgerechnet in Zeiten massiver Kirchenaustritte an ihren Glocken hängen, kann auch Bischöfin Gorka nur vermuten. „Trotz allem besteht eine emotionale Bindung an die Kirche im Dorf, mit der man sich identifiziert“, sagt sie. Da sei es schwer zu verkraften, dass die Glocke, unter der man zum Beispiel geheiratet habe, plötzlich „böse“ sei.
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