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NS-Dokumentationszentrum HamburgInvestor will NS-Gedenken steuerlich absetzen

Das NS-Dokuzentrum am Hannoverschen Bahnhof in Hamburg sollte 2026 fertig werden. Nun kommt raus: Die Planungen sind wegen des Investors gestoppt.

Verschlepptes Gedenken: Bau des Dokuzentrums am Denkmal Hannoverscher Bahnhof verzögert sich weiter Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Hamburg taz | Der Bau des NS-Dokumentationszentrums Hannoverscher Bahnhof in Hamburg verzögert sich weiter und ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Das hat eine kleine Anfrage der Linksfraktion Hamburg ergeben, die der taz vorliegt. Aus der Antwort des Senats und der Kulturbehörde geht hervor, dass die Planungen für das Dokuzentrum schon seit mehr als einem Jahr gestoppt sind – weil der private Investor Harm Müller-Spreer, der den Bau finanziert, seine Kosten schon jetzt steuerlich absetzen will und die Stadt das prüfen möchte.

Das Dokumentationszentrum sollte 2026 eröffnen. Auf der Webseite der Stadt Hamburg steht das noch so. Es hat sich aber schon länger abgezeichnet, dass das nichts wird. Bisher wurde nicht mal ein Bauantrag gestellt. Dabei steht schon seit mehr als zehn Jahren fest, dass der Dokumentationsort eingerichtet werden soll, für den Historiker*innen, Ak­ti­vis­t*in­nen und Betroffenenverbände jahrelang gekämpft hatten.

Das geplante Dokumentationszentrum soll den 2017 eingeweihten Gedenkort „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ in der heutigen Hafencity ergänzen und über die Geschichte des Ortes informieren. Von dort aus wurden während des Nationalsozialismus mehr als 8.000 Jü­din­nen*­Ju­den sowie Rom*­nja und Sin­ti*­ze aus Hamburg und Norddeutschland in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager in Mittel- und Osteuropa deportiert.

Überfälliges Erinnern am Hannoverschen Bahnhof

Dass daran endlich umfassend erinnert wird, hält Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die die Dauerausstellung im Dokuzentrum mit erarbeitet, für überfällig. „Es gibt bisher keinen Ort in Hamburg, der explizit an diejenigen erinnert, die selbst Teil der Stadtgesellschaft waren, die hier als Nach­ba­r*in­nen gelebt haben und während des Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen sukzessive verfolgt, deportiert und ermordet worden sind.“ Dafür sei das Dokumentationszentrum am ehemaligen Hannoverschen Bahnhof ein geeigneter Ort, und die erneute Verzögerung „nicht erfreulich“, sagt von Wrochem.

Dass die Eröffnung des Dokuzentrums verschoben wurde, passiert nicht zum ersten Mal. Die Verzögerungen hängen unter anderem mit dem privaten Immobilieninvestor zusammen: der ehemalige Segel-Weltmeister und Hamburger Harm Müller-Spreer. Der hat 2022 einen Schenkungsvertrag mit der Stadt Hamburg geschlossen, in dem er sich bereit erklärt, das Gebäude für das Dokuzentrum zu bezahlen. Das kam allerdings nicht von ungefähr, sondern war das Ergebnis eines Mediationsprozesses zwischen Müller-Spreer, der Stadt Hamburg und Betroffenenverbänden.

Zuvor war der Investor in die Kritik geraten, weil er den Großteil eines seiner Gebäude am Lohsepark, in dessen Erdgeschoss das Dokuzentrum ziehen sollte, an die NS-belastete Firma Wintershall DEA vermietet hatte. Erst Betroffenenverbände und die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte wiesen darauf hin, dass das Unternehmen, das als Profiteur des NS-Regimes ab 1936 selbst Verantwortung für die Verbrechen trägt, an deren Opfer an dem Ort erinnert wird, wohl kaum als Mit-Mieter eines Dokumentationszentrums in Betracht kommen konnte.

Seit einem Jahr steht der Planungsprozess still

Der Entwurf für das neue Dokumentationszentrum beinhaltet ein zweigeschossiges Gebäude mit rund 1.000 Quadratmetern Fläche. Die Stadt Hamburg will den Innenausbau und den Einbau einer Dauerausstellung bezahlen. Den Rest übernimmt Müller-Spreer. So steht es im 2022 geschlossenen Schenkungsvertrag.

Seit einem Jahr steht der Planungsprozess aber still. Auf taz-Anfrage schreibt die Kulturbehörde: „Die baulichen Planungen sind im September 2024 vom Schenker ausgesetzt worden, um steuerrechtliche Fragen zur Absetzbarkeit seiner Aufwendungen klären zu lassen.“ Die Stadt hat daher „eine externe rechtliche Prüfung“ veranlasst, deren Ergebnis noch nicht vorläge, so ein Sprecher der zuständigen Kulturbehörde.

Der Bau des Dokumentationszentrums verzögert sich jetzt schon so lange, dass sich in der Zwischenzeit der Grund für das extra Gebäude quasi erledigt hat: Das Unternehmen Wintershall DEA wurde Ende 2023 (mitsamt seiner NS-Vergangenheit) vom britischen Ölkonzern Harbour Energy aufgekauft und wird seine Firmensitze in Deutschland aufgeben.

Wenn Leute wie Harm Müller-Spreer oder Klaus-Michael Kühne nicht mehr weitermachen wollen, finden sie Mittel und Wege dafür und am Ende steht die Stadt vor dem Scherbenhaufen

Marco Hosemann, Die Linke

Welche Auswirkungen das auf die Eröffnung des Dokuzentrums hat, ist unklar. Fest steht: Je mehr sich der Baubeginn verzögert, desto näher rückt eine Frist, ab der sowohl der Investor Müller-Spreer als auch die Stadt, den Schenkungsvertrag wieder aufheben könnten. Das ist der Fall, wenn bis zum 28.02.2028 kein bewilligter Bauantrag vorliegt.

Für Marco Hosemann, erinnerungspolitischer Sprecher der Linken liegt das Problem darin, dass Hamburg die Aufgabe der Erinnerung an NS-Verbrechen überhaupt erst in die Hände eines privaten Investors gelegt habe. Er zieht Parallelen zum Vertrag der Stadt mit dem Milliardär Klaus-Michael Kühne über die Schenkung einer neuen Oper. „Wenn Leute wie Müller-Spreer oder Kühne nicht mehr weitermachen wollen, finden sie Mittel und Wege dafür und am Ende steht die Stadt vor dem Scherbenhaufen.“

Wie die Linke fordert auch das Auschwitz-Komitee von der Stadt, sich vom privaten Investor zu trennen und das Dokumentationszentrum unter eigener Regie zu verwirklichen.

Ob es dazu kommen wird, ist derzeit ebenso offen wie die Frage, wann das Dokuzentrum gebaut wird. „Ein verbindlicher Zeitplan liegt derzeit nicht vor“ schreibt der Hamburger Senat.

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