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NPD-Vizechef zu Ortsvorsteher gewählt„Blackout der Demokratie“ in Hessen

SPD und CDU sind entsetzt: In Altenstadt-Waldsiedlung wurde ein bekannter NPD-Mann zum Ortsvorsteher gewählt – von ihren eigenen Vertretern.

In Altenstadt wurde ein NPD-Funktionär zum Ortsvorsteher gewählt – einstimmig (Symbolbild) Foto: dpa/Matthias Balk

Altenstadt dpa | In einer hessischen Gemeinde hat der Ortsbeirat einen NPD-Funktionär zum Ortsvorsteher gewählt – einstimmig. Alle sieben anwesenden Vertreter des Ortsbeirats von Altenstadt-Waldsiedlung, darunter Vertreter von CDU, SPD und FDP, wählten am Donnerstagabend den stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Stefan Jagsch zum Vorsteher, wie die regionalen Verbände von CDU und SPD am Samstag bestätigten.

Zwei Abgeordnete von SPD und CDU waren bei der Abstimmung nicht anwesend. Nach einem Bericht der Zeitung „Kreis-Anzeiger“ gab es keinen anderen Kandidaten für die Nachfolge des bisherigen Ortsvorstehers, der für die FDP angetreten war und bereits im Juni seinen Rücktritt angekündigt hatte.

Die Kreisvorsitzende der CDU Wetterau, Lucia Puttrich, und der Vorsitzende der CDU Altenstadt, Sven Müller-Winter, reagierten in einer gemeinsamen Erklärung „mit Entsetzen und absolutem Unverständnis“ auf die Wahl des NPD-Funktionärs. „Zur einstimmigen Wahl haben leider auch zwei Ortsbeiratsmitglieder beigetragen, die bei der letzten Kommunalwahl über die CDU-Liste als Mitglied und als Nicht-Mitglied in den Ortsbeirat gewählt wurden.“

Die NPD verfolge nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungsfeindliche Ziele, die Wahl eines Politikers dieser Partei sei „für die CDU unfassbar und untragbar“, erklärten Müller-Winter und Puttrich, die auch hessische Ministerin für Bundes- und Europa-Angelegenheiten ist. Die „falsche Entscheidung“ müsse korrigiert worden, wozu bereits Gespräche aufgenommen worden seien.

„Menschenverachtende Hetze“

„Völlig fassungslos“ zeigte sich die SPD-Vorsitzende im Wetteraukreis, die Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl. Die NPD falle auch im Wetterauer Kreistag „immer wieder mit ihrer menschenfeindlichen Hetze“ auf. Jetzt müssten alle Konsequenzen geprüft werden, fügte Gnadl in einer schriftlichen Erklärung hinzu.

Der Vorsitzende der Wetterauer FDP, Jens Jacobi, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir sind unfassbar entsetzt über diese Wahl.“ Bei den an der Wahl beteiligten FDP-Vertretern handle es sich nicht um Mitglieder, sondern um Bürger, die als Parteilose auf die FDP-Liste aufgenommen worden seien. „Umso mehr empfinden wir dies jetzt als herbe Enttäuschung.“

Auch Bundespolitiker von CDU, SPD und FDP zeigten sich entsetzt. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte gar, die Wahl wieder aufzuheben. „Die SPD hat eine ganz klare Haltung: Wir kooperieren nicht mit Nazis! Niemals!“, schrieb Klingbeil auf Twitter. „Die Entscheidung in Altenstadt ist unfassbar und mit nichts zu rechtfertigen. Sie muss sofort rückgängig gemacht werden.“

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Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber (CDU), zu dessen Wahlkreis der Ort gehört, drohte mit Konsequenzen. „Wem der politische und moralische Kompass fehlt und (wer) als Demokrat eine solch verantwortungslose Wahlentscheidung trifft, ist in der CDU und auf einer CDU-Wahlliste untragbar“, twitterte er.

Der Parlamentsgeschäftsführer der FDP im Bundestag, Marco Buschmann, nannte die Wahl in dem Internetdienst „doppelt schlimm: erstens, dass Demokraten so jemanden wählen; zweitens, dass kein demokratischer Kandidat bereit stand, um die Aufgabe zu übernehmen“.

Eine Sprecherin des Kreisverbands der Grünen in der Wetterau, Myriam Gellner, sprach am Samstag von einem „Blackout der Demokratie“. Die im Ortsbeirat nicht vertretene Partei sei „wie vor den Kopf gestoßen, dass Mitglieder demokratischer Parteien einen Verfassungsfeind in das repräsentative Amt eines Ortsvorstehers wählen“.

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4 Kommentare

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  • Interessant.

    Gerade mal in Wiki nachgeguckt, warum der bisherige FDP-Politiker das Amt niedergelegt hat. In seiner Rücktrittsbegründung heißt es lt. Wiki:



    "Der Grund der Funktionsniederlegung ist die politische Wirkungslosigkeit des Gremiums Ortsbeirat, da hier keinerlei Entscheidungsbefugnis besteht, und durch viele Beispiele belegt, die Unterstützung des Gemeindevorstandes oder gar der Gemeindevertretung nicht gegeben ist. Herr Dietrich verzichtet auf eine detaillierte Darstellung der Ihn bewegenden Problematik, bringt aber deutlich zum Ausdruck, dass der Ortsbeirat Waldsiedlung kein nörgelndes, ständig kritisierendes Organ der Verwaltung war und ist, sondern für den Ortsteil und seine Bürger die Stimme erhoben hat."

    Ich denke, wenn man endlich den unteren kommunalen Gremien auch wieder wirkliche Entscheidungsbefugnisse gibt, werden dafür auch Menschen kandidieren, die sich einer Verantwortung bewusst sind und keine Partei ist mehr darauf angewiesen, jeden als Kandidat aufzustellen, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.

    • @Age Krüger:

      Danke für's Nachschauen.

      Ich sehe auch vor Allem darin ein Problem, dass es niemand sonst hat machen wollen.

      Nach Ihrem Bericht finde ich interessante Parallelen.



      Man ersetze Altenburg-Waldsiedlung durch Brandenburg-Ost etc. und ...

      Uups...

      ..sehe ich begrenzte aber deutliche Ähnlichkeiten.

  • Demokratische Wahlen sind keine Garantie dafür, dass die richtigen Personen gewählt werden. Das sollte bekannt sein.



    Einen NPD-Mann als Ortsvorsitzenden zu wählen, ist viellicht falsch, aber demokratisch zu Stande gekommen. Die „falsche Entscheidung“ müsse korrigiert werden....". " Sie muss sofort rückgängig gemacht werden, ...". Diese und ähnliche Statements von Politikern, die sich für Vertreter und Vertreterinnen demokratischer Strukturen halten, sind völlig fehl am Platz.



    Man macht eine korrekt abgelaufene, demokratische Wahl nicht rückgängig, weil der Kandidat von der NPD ist. Das wäre tatsächlich eine ernsthafte Gefährdung der Demokratie. Wenn der Gewählte nicht passt, wird einfach die Wahl rückgängig gemacht! Das geschieht nur in Diktaturen. Zudem spielt man der NPD den Opferstatus zu. Das ist immer schlecht, denn damit holt sie Stimmen.

    Jetzt müssen eben alle echten Demokraten aushalten, dass in Altenstadt-Waldsiedlung ein Nazi Ortsvorsteher ist. Das ist ja noch nicht das Ende aller Tage. Nächste Wahlen finden so oder so statt. Dann kann man ihn wieder abwählen, - ein grosser Vorteil einer Demokratie - falls eine der demokratischen Parteien einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für ihn findet. Stefan Jagsch kann definitiv nichts dafür, dass sie es diesmal nicht geschafft haben.

    • @ecox lucius:

      Falsch, nicht jede demokratische Entscheidung ist rechtens und legitim. Zum Beispiel Selbstjustiz. Die Bundesrepublik ist eine wehrhafte Demokratie. Das heißt konkret, das jeder, der ein öffentliches Amt bekleidet, nach den 'althergebrachten Grundsätzen des Beamtentums', siehe Grundgesetz, auf dem Boden der Verfassung stehen MUSS.

      Das BVerfG, das höchste Gericht, hat bereits festgestellt, daß die NPD als faschistische Partei eindeutig verfassungswidrig ist. Sie ist keine demokratische Partei.

      Daher können deren Vertreter auch nicht in ein öffentliches Amt gewählt werden. Allein die Kandidatur ist also rechtswidrig, die Wahl allemal, also ungültig.

      Man erkennt, daß Sie nicht wissen, was Demokratie ist. Es ist keine Volksdiktatur, die Sie herbeireden wollen.