NPD-Mann wird Ortsvorsteher: Neonazi mit Computerkenntnissen
In Hessen ist ein aktiver Neonazi zum Ortsvorsteher gewählt worden – mit Stimmen von CDU, SPD und FDP. Die Begründung ist bemerkenswert.
FRANKFURT/MAIN taz | Der Ortsbeirat der beschaulichen Waldsiedlung im hessischen Wetteraukreis beschäftigt sich normalerweise mit Müllsammelaktionen, alkoholisierten Jugendlichen auf Kinderspielplätzen, Hundetoiletten oder nächtlicher Ruhestörung. Das direkt gewählte Gremium des 2.500 Einwohner*innen zählenden Ortsteils der Gemeinde Altenstadt soll Interessen von Bürger*innen sammeln und an höhere Verwaltungsebenen weitergeben. All dies erreicht selten überregionale Aufmerksamkeit.
Das hat sich nun geändert: Am 5. September wurde der Neonazi Stefan Jagsch zum Ortsvorsteher gewählt, was bundesweit Empörung auslöste. Denn nicht nur ist Jagsch Mitglied der NPD – mehr noch, ermöglicht wurde seine Wahl durch die Stimmen der Vertreter*innen von CDU, SPD und FDP.
Kurz nach Bekanntwerden distanzierten sich viele aus den Nachbargemeinden. „Mit Entsetzen und absolutem Unverständnis“ reagierten etwa der Kreisvorstand der Wetterauer CDU, der Altenstadter Ortsvorsitzende sowie die Landtagsabgeordnete Lucia Puttrich (CDU) auf die Wahl von Jagsch. Diese sei „unfassbar und untragbar“, man erwarte ein Umdenken der CDU-Vertreter im Gremium. „Wir werden alle Konsequenzen prüfen müssen“, betonte die Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl (SPD) und erinnerte an die nationalsozialistische Verfolgung von Sozialdemokrat*innen. Die FDP kündigte an, dass die betreffenden Ortsbeiräte künftig nicht mehr für die Partei auftreten sollen.
Vor Ort indes versteht man die Aufregung nicht. „Da musste sich einer mit Computern und modernem Kram auskennen“, sagte Norbert Szielasko der taz, „deswegen wurde Herr Jagsch gewählt.“ Szielasko sitzt für die CDU im Ortsbeirat Waldsiedlung und hat, wie sämtliche anwesenden Mitglieder des Gremiums, seine Stimme für Stefan Jagsch abgegeben. Schließlich habe sich Jagsch im Beirat immer „einwandfrei“ verhalten und sei nicht durch rechtsextreme Parolen aufgefallen. „Bei uns ist er kein NPD-Mann, sondern ein Bürger des Ortes, eine Privatperson“, so Szielasko. Ein „böser Bub“ sei Jagsch schon gar nicht.
Der Neonazi ist bundesweit aktiv, beteiligte sich im Frühjahr etwa an der NPD-Aktion „Schutzzonen“, bei der die Neonazis Streife gegen angebliche Gewalt von Migranten laufen
Stefan Jagsch kandidierte erstmals bei den hessischen Landtagswahlen 2008 für die NPD. Der Neonazi ist bundesweit aktiv, beteiligte sich im Frühjahr etwa an der NPD-Aktion „Schutzzonen“, bei der die Neonazis Streife gegen angebliche Gewalt von Migranten laufen, oder demonstrierte an der Seite militanter Kameraden beim „Trauermarsch“ in Dresden. Dennoch sucht er immer wieder Kontakt auch in bürgerlichere Kreise, etwa bei der antifeministischen „Demo für Alle“ in Wiesbaden im Oktober 2016.
Dem Ortsbeirat gehört er seit der Kommunalwahl im März 2016 an. Die 865 Stimmen von 2016 für die NPD entsprechen 14,4 Prozent. Der Wetteraukreis gehört zu den Schwerpunkten der hessischen Neonaziszene, regelmäßig finden im nahegelegenen Büdingen große Parteiveranstaltungen der NPD statt.
Am Ortsbeirat nahm Jagsch bislang als stellvertretender Schriftführer teil. Außer um Müllsammelaktionen oder Maßnahmen gegen Falschparker geht es dabei eben auch um Standorte von Flüchtlingsunterkünften in dem kleinen Ort.
2014 wurde bekannt, das Jagsch am Empfangsschalter des Jobcenters in Frankfurt arbeitete, eine Kündigung wurde später vom Arbeitsgericht für nichtig erklärt. Bundesweite Aufmerksamkeit erregte es, als Jagsch im März 2016 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt und durch einen Syrer erstversorgt wurde.
Leser*innenkommentare
nzuli sana
Ja, Boykott ist auf jeden Fall eine Option.
Die andere Option: ich melde mich und biete meine Computer- und email-Kenntnisse an. Ich kann auch etwas hessisch.
die Bedingungen im Gegenzug: viel üben, viel Skype, viel Hochdeutsch und viel Free Jazz hören z.B. von Grumpf "Segeln in der Wetterau".
05158 (Profil gelöscht)
Gast
@nzuli sana Das ist das tolle an der" neuen "Zeit. Man kann aus ernsten Themen auch unterhaltsames" absaugen". Mit Grumpf die Montagsstarre entfernt!.(Ich wollte erst Grumpf mit "Segeln inder...". verbinden. Das ging schief!! na, ja, alt..;);)..
apfelkern
Altenstadt hat schon lange ein echtes Problem mit Rechtsradikalen, da gibt es breite Unterstützung für Herrn Jagsch aus der braunen Bevölkerung.
Überhaupt die Wetterau! Wächtersbach ist nicht weit, wo letztens ein Mensch meinte, aus dem Auto auf People of Colour schießen zu müssen...
LesMankov
Ich plädiere dafür diesen Ort in Zukunft von allen staatlich finanzierten Infrastrukturprogrammen auszunehmen. Wenn sich dort keiner mit Technik auskennt, lohnt sich auch die Förderung nicht. Machen wir den Ort zur einzigen Milchkanne ohne 5G
Thomas Brunst
Rechtsextreme BeamtInnen in der hessischen Polizei (39 Verdachtsfälle in denen ermittelt wurde und noch wird), zwei rechtsextreme/ rechtsterroristische Morde in Nordhessen (Walter Lübcke, Juni '19 u. Halit Yozgat, April '06), ein Ex-Vefassungsschützer (LfV Hessen) und ehem. V-Mann-Führer, der seit seiner Jugend den Spitznamen “klein Adolf“ trägt, vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen für 120(!) Jahre gesperrte NSU-Untersuchungsausschuss-Akten; und nun ein von CDU-, SPD – und FDP-Ortsbeiräten gewählter – also demokratisch legitimierter – NDP-Ortsvorsteher, der NPD-Funktionär und stellvertretende Landesvorsitzende dieser Partei, Stefan Jagsch. Aber, ansonsten ist das Bundesland Hessen „in bester Verfassung“...
de.indymedia.org/node/37268
05158 (Profil gelöscht)
Gast
@Thomas Brunst Ich gebe ihnen recht! Meine Hoffnung besteht darin, das die Mehrzahl der im verborgenen agierenden Damen und Herren sich an die vorgegebenen Spielregeln(naiv??...)hält.Während wir in unseren eingerichteten Blasen(neues Wort oder alt!..) agieren, gibt es Menschen, die ihren Arsch für uns riskieren!