NGOs in Ungarn unter Druck: Von Russland lernen
Die Regierung in Budapest gängelt NGOs immer stärker, jetzt mit einer Registrierungspflicht für „Agenten“. Kritiker sehen Parallelen zu Russland.
WIEN taz | Viktor Orbán wolle „seine politische Macht gegen die Grundwerte und Prinzipien der EU zementieren“. Diesen Vorwurf erhob am Montag der EU-Abgeordnete der ungarischen Demokratischen Koalition Peter Niedermuller. Der Sozialdemokrat sieht in einer Razzia im Büro einer NGO in Budapest den Versuch, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern.
Montag vergangener Woche war die Polizei in die Räume der Ungarischen Umweltpartnerschaftsstiftung (Ökotárs) in Budapest eingedrungen, nahm Dokumente, Festplatten und Laptops mit und eskortierte die Vorsitzende nach Hause, um dort auch noch deren Laptop zu beschlagnahmen. Kurz darauf wurde Ökotárs aufgefordert, speziell die von der Schweizer DEZA geförderten Projekte offenzulegen.
Die Regierung von Viktor Orbán stellte tags darauf vor der Presse klar, dass sie die Kontrolle über die aus dem Ausland fließenden Gelder übernehmen wolle. Die Ökotárs-Stiftung verwaltet einen von Norwegen gesponserten Fonds zur Stärkung der Zivilgesellschaft. Ungarische NGOs können um Förderung nachsuchen.
Im Vertrag mit Norwegen ist vereinbart, dass die Gelder von Kommissionen kontrolliert werden, die von der Regierung und den Vereinen besetzt werden. Zudem wacht ein Kontrollamt in Brüssel darüber. Der Ökotárs Stiftung, die den ungarischen Grünen der LMP nahesteht, wird vorgeworfen Gelder aus dem norwegischen Fonds „missbräuchlich verwendet“ zu haben.
Prinzip der „illiberalen Demokratie“
In Wahrheit dürfte die Regierung aber erzürnt haben, dass von ihr geschaffene Gruppen, die auch mitnaschen wollten, abgelehnt worden waren. Kanzleramtsminister János Lázár kündigte im Frühjahr die Vereinbarung auf. Er erklärte die Regierung zur einzig zuständigen Kontrollstelle. Norwegen spielte nicht mit und suspendierte im Mai die weiteren Mittel.
In der ungarischen NGO-Szene erkennt man Parallelen zur Vorgehensweise von Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Der schickte 2013 die Polizei in die Büros mehrerer Organisationen, die Projektgelder aus dem westlichen Ausland erhalten. Sie müssen sich jetzt alle als „ausländische Agenten“ registrieren lassen. Ganz ähnlich Orbán vor wenigen Wochen: „Wir haben es nicht mit Mitgliedern der Zivilgesellschaft zu tun, sondern mit politischen Aktivisten, die ausländische Interessen vertreten.“
Er macht kein Hehl daraus, dass ihm die autoritären Männer in Moskau, Ankara oder Peking imponieren. Im Juli kündigte er an, er wolle einen „illiberalen Staat“ errichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen