Mysteriöses Elefantensterben in Botswana: Tod mit dem Rüssel voraus
Eigentlich ist das Okavango-Delta in Botswana ein Paradies für Elefanten. Doch nun sterben reihenweise Dickhäuter.
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„Erst laufen sie im Kreis und wirken desorientiert – dann fallen sie tot um, meist mit dem Kopf voraus“ – so beschreibt es Vicky Boult, Elefantenforscherin von der britischen Universität Reading. Mittlerweile ist die Zahl der auf diese mysteriöse Weise umgekommenen Elefanten nahe des Ortes Seronga im Okavango Delta im Norden Botswanas auf mutmaßlich 356 gestiegen. Die Ursachen des Sterbens stellt ExpertInnen weltweit vor ein Rätsel.
Luftaufnahmen, geschossen von Flugzeugen und Drohnen der Tierschutzorganisation Elephants without Borders, zeigen: Viele der Tiere liegen mit dem Rüssel voraus im trockenen Sand der Kalahari-Wüste oder neben Wasserquellen im Delta.
„Das ist merkwürdig“, sagt Boult. Denn: „Wenn Elefanten sterben, dann legen sie sich meist auf die Seite.“ Dass sie mit dem Kopf voraus auf die Knie fallen, lasse darauf schließen, dass „die meisten einen plötzlichen Tod sterben“. Dies spreche dafür, dass die Ursache eine neurologische Krankheit ist, die bei den Dickhäutern erst Orientierungslosigkeit verursache und sie letztlich tot umfallen ließe.
Bereits im März wurden die ersten Meldungen über die toten Elefanten bekannt. Damals handelte es sich nur um einige Dutzende – noch kein Grund zur Sorge. Doch in Forscherkreisen klingelten die ersten Alarmglocken, bestätigt Boult.
Im Mai meldete eine Zählung aus der Luft mit Kleinflugzeugen von Elephants without Borders bereits 169 Kadaver. Im Juni wurden weitere 187 ausgemacht. Seitdem grübeln ExpertInnen auf der ganzen Welt über die Todesursache. „Selbst Corona können wir nicht ausschließen“, sagt Boult.
Elefanten-Paradis Botswana
Botswana galt bislang als eines der sichersten Gebiete für die vom Aussterben bedrohten Tiere. Vor allem das gewaltige Okavango-Delta im Norden der Kalahari-Wüste ist für Elefanten quasi ein Paradies. Hier finden sie fruchtbare Graslandschaften, ausreichend Trinkwasser – und: Sie sind relativ sicher vor Wilderern, die es auf die Stoßzähne und deren wertvolles Elfenbein abgesehen haben, denn die Region ist fast unbesiedelt und nur schwer erreichbar.
Weltweit schrumpfte die Elefantenpopulation in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch, nicht nur in Asien, sondern auch in Afrika. In vorkolonialen Zeiten war der Kontinent ein unbegrenztes Habitat für schätzungsweise über zehn Millionen der charismatischen Tiere. Mittlerweile sind in Afrika nach jüngsten Zählungen gerade einmal rund 350.000 Elefanten übrig. Ein Drittel davon lebt in Botsuana.
Besonders in der jüngsten Hochzeit der Elefanten-Wilderei in Afrika – 2008 bis 2011 – migrierte ein Großteil der Herden von West- und Ostafrika gen Süden: zur bislang unerschlossenen Tiefebene der Kalahari und in das fruchtbare Okavango-Delta.
Botswana erließ 2014 ein drastisches Antiwildereigesetz zu ihrem Schutz, es gab sogar einen Schießbefehl auf Wilderer – als Abschreckungsmaßnahme. 2015 wurde in den Medien publik, dass botswanische Wildhüter 30 Namibier und 22 Simbabwer getötet hatten, die sie in den grenznahen Parks als Wilderer angetroffen hatten. Tshekedi Khama, Botswanas Umwelt- und Tourismusminister, bekräftigte 2018 seine Null-Toleranz-Politik: „Wenn du nach Botsuana kommst, um zu wildern, dann besteht die Möglichkeit, dass du nicht lebend zurückkehren wirst“, warnte er.
Zu viele Dickhäuter
Dies führte in den vergangenen Jahren dazu, dass sich Botswanas Bestände erholten und immer mehr Nachwuchs geboren wurde. Zudem wurden auch Herden aus anderen Regionen Afrikas, die noch immer von Wilderei betroffen sind, in Botswana heimisch. Die Zahl der Tiere verdoppelte sich in den vergangenen 30 Jahren. Dann kam es 2018 und 2019 zu einer Trockenzeit im südlichen Afrika, Landstriche verdorrten. Dies führte zu Konflikten zwischen der zumeist ländlichen Bevölkerung Botswanas und den stetig wachsenden Elefantenherden, die den Bauern die Ernte wegfressen.
Deswegen erließ die Regierung im Mai 2019 ein Gesetz, welches die Jagd auf Elefanten im Rahmen von vorgeschriebenen Quoten und Lizenzen wieder zulässt. Die Zahl der Elefanten sei „weit größer als Botswanas zerbrechliche Umwelt, die bereits unter Dürre und Folgen des Klimawandels leidet, verkraften kann“. Kurz darauf stellte Botswana auf der Sitzung des Washingtoner Artenschutzabkommens (CITES) den Antrag, wieder legal mit Elfenbein handeln zu dürfen. Weltweit gingen Tier- und Umweltschützer auf die Barrikaden. Der Antrag wurde abgelehnt.
Forscherin Boult vermutet, dass das mysteriöse Massensterben etwas mit der Überbevölkerung der Elefanten zu tun haben könnte. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit hat sie Zusammenhänge zwischen dem raschen Anstieg der Elefantenbestände und dem Ökosystem in engen Gebieten untersucht – vor allem im südlichen Afrika und in Kenia, wo immer mehr Wildtiergehege zum Schutz gegen Wilderer eingezäunt werden und die Elefanten nicht mehr migrieren können.
„Elefanten sind zerstörerische Tiere, denn sie fressen alles, was ihnen in den Weg kommt“, sagt Boult. Sie verwandeln so in kurzer Zeit Gras- und Buschlandschaften in Wüsten, tragen zum Absterben der Baumbestände bei. Wenn die Herden nicht abwandern und sich die Umwelt nicht erholen kann, können sie Ökosysteme nachhaltig zerstören.
Dies könne dazu führen, dass sich Bakterien, Viren oder Pilze vermehren und die Tiere sich mit Krankheiten infizieren. „Wir vermuten, dass sie einer Infektionskrankheit ausgesetzt sind, die sich aufgrund der vielen Herden in diesem recht kleinen Gebiet schnell verbreitet“, so Boult.
Keine Wilderer am Werk
Bereits die ersten Untersuchungen des botswanischen Departments für Wildtiere und Nationalparks an den Kadavern schlössen einige Mutmaßungen aus, betont die Zoologin: So lasse sich mit Sicherheit sagen, dass die Tiere nicht Wilderern zum Opfer gefallen sind, „weil die Stoßzähne alle vorhanden sind“.
Auch eine mögliche Vergiftung durch verseuchtes Trinkwasser käme nicht in Frage, „da keine anderen Tiere, die von den selben Wasserstellen getrunken haben, betroffen sind“, weiß Boult. Sie erinnert an die systematischen Tötungen im benachbarten Simbabwe, wo Wilderer in den vergangenen Jahren mehrfach Wasserstellen mit Zyanid verseucht hatten, um an die Stoßzähne heranzukommen. Auch dort verendeten ganze Herden plötzlich.
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Boult erinnert auch an ein Massensterben von bis zu 400 Elefanten kurz nach anhaltender Dürre in Kenia vor elf Jahren. „Die Toten waren meist ältere oder ganz junge Tiere, deren Kadaver wirklich in erbärmlichen Zustand waren – ganz abgemagert.“
Wenn sie sich aber die aktuellen Fotos der toten Elefanten in Botsuana anschaue, dann seien deren Körper eigentlich im guten Zustand, sagt sie. „Sie sind nicht abgemagert und es sind auch nur einzelne Tiere, keine ganzen Familien, die eingehen“, sagt sie. Dies lasse darauf schließen, dass die Krankheit, die die Elefanten dort befalle, sich langsam ausbreite und nicht alle Tiere einer Herde gleichzeitig verendeten.
Auch Covid-19 kann ausgeschlossen werden
Eine Covid-19-Infektion, wie sie bei Tigern im New Yorker Zoo im April festgestellt wurde, schließt sie daher eher aus: „Das Coronavirus breitet sich sehr rasch aus und die Tiere zeigen Symptome von Atemwegserkrankungen wie Husten“, so Boult. Dies würde bei Elefanten nicht zu einem plötzlichen Tod führen.
Dennoch: Auch Elefanten leiden an zoonotischen Krankheiten, also Infektionen, die auf Menschen übertragbar sind. Meist stecken sie Haustiere wie Kühe und Ziegen an, mit welchen sie an den Wasserstellen in Kontakt kommen. Auch um dieses Risiko auszuschließen, will Boult die Ergebnisse der Laboruntersuchungen der toten Elefanten abwarten.
Laut Botswanas Umweltministerium sind die entnommenen Blut- und Gewebeproben in Labore in Simbabwe, Südafrika und Kanada geschickt worden. Das Ministerium stellte auch klar, dass Wildhüter vor Ort nur 275 Kadaver gefunden haben – und nicht wie von Medien und NGOs berichtet, 356 tote Elefanten.
Auch wenn noch keine Ergebnisse der Untersuchungen vorliegen, steht für Elefantenforscherin Boult schon fest: Das Sterben in Botswana unterstreiche wie die Coronakrise die Dringlichkeit, „der Frage zu begegnen, wie wir Menschen mit Wildtieren koexistieren können“. Sie sieht darin einen „Weckruf“ an alle, eine Diskussion in Gang zu bringen, wie wir gesunde Ökosysteme erhalten und schaffen können.
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