Mutmaßlicher Menschenhandel: Odyssee im Charterjet
Frankreichs Behörden hindern 303 Inder am Weiterflug nach Nicaragua. Grund ist der Verdachts auf Menschenhandel.
Doch die behördliche Überprüfung der Flugroute und der Passagierliste verwandelte den Zwischenstopp in einen langen und mühsamen Zwangsaufenthalt für die Reisenden und die Crew – aber auch in einen administrativen Albtraum für die völlig überforderten Flughafenbehörden und die während der Weihnachtstage aufgebotenen Hilfsorganisationen, Übersetzer, Anwälte und Richter.
Wenige Tage vor dem geplanten Besuch von US-Außenminister Antony Blinken in Mexiko-Stadt ziehen erneut mehrere Tausend Menschen aus Mittel- und Südamerika durch Mexiko Richtung US-Grenze. Der Treck von etwa 6.000 Menschen, unter ihnen Familien mit Kindern, startete am Sonntag in Tapachula an der südlichen Grenze zu Guatemala Richtung Norden. Das zeigt, dass Bemühungen der Regierung von US-Präsident Joe Biden und seines mexikanischen Kollegen Andrés Manuel López Obrador, die Migration einzudämmen, wenig ausrichteten. Blinken will neue Abkommen aushandeln, um die Zahl der Migranten mit Ziel USA zu verringern. López Obrador hatte sich im Mai bereiterklärt, Migranten aus Ländern wie Venezuela, Nicaragua und Kuba aufzunehmen, die von den USA abgewiesen wurden, weil sie sich nicht an Regeln hielten, die neue legale Wege für Asyl und andere Formen der Migration vorsehen. Das sollte den Anstieg der Migration eindämmen, doch tatsächlich steigt die Zahl. (ap)
Die französischen Behörden hatten angeblich einen anonymen Hinweis erhalten: Bei den 303 indischen Staatsangehörigen im Airbus-340 handle es sich um Immigranten aus Dubai, die von einer Schlepperbande nach Nicaragua gebracht würden. Von dort sollten sie illegal in die USA oder nach Kanada weiterreisen. Das sei eine Form von Menschenhandel.
Aufgrund dieser Information wurde die Maschine, die der rumänischen Chartergesellschaft Legend Airlines gehören soll, die auch die 30-köpfige Besatzung gestellt hat, in Vatry festgehalten und am Weiterflug nach Mittelamerika gehindert.
Überforderter Provinzflughafen
Der kleine Flughafen in der Nähe von Reims war keineswegs in der Lage, auch nur vorübergehend eine solche Zahl von Überraschungsgästen zu beherbergen. Doch die administrative Maschinerie war nun mal in Gang gesetzt.
In Vatry musste stark improvisiert werden, um die gesetzlichen Bestimmungen wie auch die Menschenwürde der unverlangt gestoppten Reisenden zu respektieren und zugleich die schwerwiegenden Verdächtigungen zu überprüfen.
In aller Eile – aber es wirkte auch ein bisschen beschämt – wurde darum die Glasfassade der Flughafenhalle mit Plastik verhüllt. Die Besatzung des Jets wurde nach kurzer Befragung schon mal auf freien Fuß gesetzt.
Doch für die Passagiere, unter ihnen mehr als 20 angeblich unbegleitete Minderjährige (darunter ein 21-monatiges Baby!) musste für die Zeit der Aufklärung ihrer Situation oder Rolle die Verpflegung und eine Unterkunft mit Klappbetten sowie Duschen eingerichtet werden.
Eine anderes nicht minder enormes Organisationsproblem an diesen Feiertagen bestand darin, dass ein Haftrichter für alle bei individuellen Befragungen entscheiden musste, was mit ihnen geschehen sollte. Die Dauer eines solchen Zwangsaufenthalts durfte laut Gesetz maximal vier Tage betragen.
Zunehmend inakzeptable Unterbringung in der Transitzone
Mit der Zeit befand die eingeschaltete Staatsanwaltschaft, dass die Bedingungen dieser Unterbringung in einer Transitzone nicht akzeptabel wären. Nur wollten die französischen Behörden nun nicht das Gesicht verlieren.
Eine Weiterreise nach Managua, mit der Aussicht, dass danach tatsächlich eine illegale Einreise in die USA geplant war, kam nicht in Frage. Inzwischen hatten 25 der Festgehaltenen nach Gesprächen mit Anwälten Asylanträge gestellt und erklärt, dass sie in Frankreich bleiben wollten.
Gegen zwei Personen bestand anfänglich der Verdacht, dass sie in eine Form von bandenmäßigem Menschenhandel verwickelt sein könnten. Zuletzt wurde gegen sie, vermutlich mangels stichhaltiger Belege, kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sie wurden lediglich mit einer richterlichen Anordnung aufgefordert, Frankreich umgehend zu verlassen.
Für Frankreich ist der Fall damit erledigt. Über Einzelheiten eines Epilogs in Mumbai ist bisher nichts bekannt in Frankreich, wo man sich immer noch fragt, ob diese behördliche Intervention zu Recht erfolgte oder die dramatische Konsequenz eines Übereifers oder Gerüchts war.
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