Mutmaßliche Gruppenvergewaltigung: Der Frau ist erstmal zu glauben
Im Görli-Prozess zeigt ein Video wohl einvernehmlichen Sex. Doch es wäre falsch, die Aussage des mutmaßlichen Opfers nun komplett anzuzweifeln.
E s ließ wohl niemanden kalt, als im vergangenen Sommer bekannt wurde, dass eine Frau im Görlitzer Park in Kreuzberg mehrfach vergewaltigt worden sein soll. Von einer ganzen Gruppe Schwarzer Männer und im Beisein ihres Ehemanns, hieß es. Letzterer wiederum soll mit Stöcken und Schlägen daran gehindert worden sein, seiner Frau zu Hilfe zu kommen. Der Fall brachte eine Debatte ins Rollen: über sexuelle Gewalt, über Parks als Angsträume für Frauen. Über Sicherheit und die Frage, inwieweit ein Zaun rund um den Görli diese herstellen kann – oder auch nicht.
Nun sind innerhalb weniger Verhandlungstage grundlegende Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen die mutmaßlichen Täter zerbröselt. Die Verteidiger haben ein Video als Beweis vorgelegt. Eine Anklage wegen besonders schwerer Vergewaltigung scheint zumindest gegen einen der Tatverdächtigen kaum noch haltbar. Denn das Video zeigt wohl deutlich sexuelle Handlungen, aber ebenso deutlich, dass diese einvernehmlich sind. Auch er habe einvernehmlichen Sex mit der Frau gehabt, auf Bitte ihres Ehemanns, und nachdem er sich mehrmals versichert habe, dass sie es wolle, sagt der Angeklagte D.
Das Video, dass ein Verteidiger als „Wende“ im Prozess sieht, stammt von D.s Handy. Und dass es erst zu Prozessbeginn auftauchte, liegt daran, dass weder Polizei noch Staatsanwaltschaft das Handy vorher untersucht haben. Die Justiz-Mitarbeiter*innen hatten es D. abgenommen, als er in Untersuchungshaft kam. Dort lag es mit seinen anderen persönlichen Dingen. D. selbst hatte lange gedacht, dass er das Video direkt gelöscht hatte.
Hat die Polizei wichtige Beweise bei ihren Ermittlungen übersehen? Und hat die Staatsanwaltschaft ihre Anklage auf wacklige Füße gestellt? Sie hatte sich in erster Linie auf DNA-Treffer verlassen. Denn von allen drei Angeklagten waren Spermaspuren gefunden worden. Unstimmigkeiten in den Aussagen des Ehepaars blieben dabei unbeachtet: Diese hatten etwa gesagt, dass sie wegen der Dunkelheit niemanden erkennen konnten. Doch zur angegebenen Tatzeit war es am 21. Juni bereits taghell.
Passt ins Vorurteil
Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Darstellung der Zeug*innen einfach zu gut in verbreitete Vorurteile passte: In Vorstellungen von Schwarzen Männern als Tätern, und von einer weißen Frau als Opfer. Von wohnungslosen Dealern auf der einen Seite und einem Ehepaar mit Kindern auf der anderen. In das Muster von einem Aufschrei, wenn Nicht-Deutsche tatverdächtig sind, und von der allgemeinen Weigerung, sich grundsätzlich mit den Strukturen sexualisierter Gewalt zu befassen.
Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien bekam der Fall zu Recht: Dass Frauen in Parks von Männergruppen vergewaltigt werden, ist eher eine Ausnahme. Ein Großteil sexualisierter Gewalt, ein Großteil aller Vergewaltigungen findet in privaten, vermeintlich geschützten Räumen statt, etwa der eigenen Wohnung. Doch auch die Behörden hätten dem Fall ihre ganze Aufmerksamkeit widmen müssen. Denn möglicherweise sitzen gerade Menschen zu Unrecht in Untersuchungshaft.
Aufmerksamkeit in diesem Fall verdient aber weiterhin die Aussage des mutmaßlichen Opfers. Sie sei vergewaltigt worden, soll die Frau den Polizist*innen gesagt, die in der Tatnacht zum Görli kamen. Ein Anwohner hatte die Polizei gerufen, nachdem er Hilfeschreie aus dem Park gehört hatte. Nach Informationen der taz sollen es dezidiert auch Schreie einer Frau gewesen sein, und sie soll laut „help me“ gerufen haben.
Ihr muss unbedingt zugehört und erst einmal auch geglaubt werden. Denn auch das ist ein Vorurteil: dass Frauen lügen und Vergewaltigungen erfinden. Sexuelle Kontakte, die im Einvernehmen beginnen, können in Gewalt enden. Wer nun direkt die Glaubwürdigkeit der Frau komplett in Zweifel zieht, droht auf die nächste vorschnelle Erklärung hereinzufallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut