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Mut und PrivilegNervenkitzel genug

Unsere Autorin fand sich selbst nicht mutig. Dann hat ein Comedian ihr Selbstbild auf den Kopf gestellt. Denn Mut ist eine Frage des Privilegs.

Der südafrikanische Comedian Trevor Noah Foto: Mark Peterson/Redux/laif

F rüher dachte ich, ich wäre nicht mutig. Ich wollte nie Bungeespringen, mit dem Rucksack durch Südamerika reisen oder im Wald zelten. In der Schulzeit hielten mich meine Freundinnen für langweilig, weil ich nicht mit ihnen auf Festivals gehen und per Anhalter reisen wollte. Man zeichnete von mir das Bild eines Angsthasen, das ich hinnahm – dann war ich eben nicht mutig, so what.

Bis Trevor Noah mein Verständnis von Mut auf den Kopf stellte. Der Comedian fasst in einem seiner Stand-up-Auftritte zusammen, wie ich mich seit jeher fühle. Auch wenn ich weiß bin, kann ich mich als geflüchtete Person mit seinen Worten identifizieren: „Weiße Menschen lieben campen. Sie sagen, lass uns mal von allem weggehen, kein Wasser, keine Elektrizität. Dinge, wofür Schwarze Menschen hart gearbeitet haben, um sie sich leisten zu können, und jetzt sollen sie Geld für einen Campingurlaub zahlen, um das zu bekommen, vor dem sie geflohen sind?“, witzelt er.

Ich muss sofort an die Geschichten meiner Mutter denken, wie wir uns vor den Soldaten im Keller versteckten, das Essen ausging, wir uns nicht waschen konnten. „Selbst da haben wir es geschafft, keine Läuse zu kriegen. Kaum warst du im Kindergarten in Österreich, kam jede Woche Läusewarnung“, scherzt sie heute.

Noah fordert deshalb einen eigenen Trip­advisor speziell für People Of Color. „Weiße Leute empfehlen Abenteuersport, sie wollen den Nervenkitzel, das Adrenalin eines gefährlichen Lebens – das ist das Leben für Schwarze Menschen ohnehin.“ Ich muss wieder an meine Mutter denken, der ich mal (ohne wirkliches Interesse) sagte, ich fände es interessant, Kriegsreporterin zu werden: „Ich bin doch nicht mit dir aus dem Krieg geflüchtet, damit du dein Leben aufs Spiel setzt!“, war ihre Antwort.

Baliurlaub mit weißen Freunden

Das war tatsächlich, was mir bei allem Gefährlichen durch den Kopf ging: Ich hatte einen Krieg überlebt, wieso sollte ich mich von einem Turm werfen? Die Frage, ob wir in Österreich bleiben würden oder nicht, war Nervenkitzel genug. Als ich vor Jahren nach Bali reiste und davor leider keine Tollwutimpfung bekommen hatte, ärgerte ich mich über meine Begleitung, die – ebenfalls ungeimpft – mit den Affen spielen und nachts durch menschenleere Gassen fahren wollte. Wieso konnte ich nicht mutig sein?

War ich wirklich nicht mutig, obwohl ich Wege eingeschlagen habe, die davor keiner in meiner Familie gegangen ist? Mich vor Menschen, egal wie einflussreich, stelle, wenn sie ungerecht sind und andere diskriminieren? Wenn ich diese Kolumne schreibe, obwohl ich genau weiß, dass viele autochthone Personen solche Kolumnen hassen und mich das auch wissen lassen?

Vielleicht war ich einfach nur einem privilegiertem Verständnis von Mut aufgesessen. Vielleicht war ich mutig. Übrigens, es gibt einen großartigen Auftritt von Trevor Noah bei Jimmy Fallon, in dem er von seinem Baliurlaub mit seinen weißen Freunden erzählt.

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Melisa Erkurt
Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien
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4 Kommentare

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  • Zum einen gibt es Dinge, die prägen Menschen sehr tief. Ich kenne einen Mann, der hat den Bombenkrieg in einer deutschen Stadt als Kind überlebt, bedingten Schutz boten Keller und Bunker. Irgendwann ist mir mal aufgefallen, dass er Zeit seines Lebens einen überraschend großen Teil seiner Freizeit freiwillig in fensterlosen Kellerräumen verbracht hat, mit verschiedenen Beschäftigungen.

    Ich kann mir vorstellen, dass manche Menschen, die geflüchtet sind, genug vom Zelten haben.

    Das andere was mit einfällt, ist der Satz: "Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern das Handeln im Wissen, dass etwas anderes wichtiger ist als Angst."

    Und dann muss ich an Greta Thunberg denken. Sie hat als Mädchen mit Autismus in der Schule massives Mobbing erlebt und in einer bestimmten Phase ging es ihr so schlecht, dass ihre Eltern Sorge hatten, dass sie das nicht überlebt. Sie ist auch jemand, der sich nicht leicht tut mit reden, und von sich sagt, dass sie nur spricht, wenn es nötig ist.

    Aber andererseits hat sie den Mut, den Regierungschefs und Mächtigen dieser Welt mit großer Klarheit zu sagen, was die Situation ist.

    • @jox:

      Wow. Toller Satz!

  • G
    Gast

    Ich weiß gar nicht, ob es bei dieser Kolumne um Mut geht.

    Mutig ist (für mich), Gefahren zu überwinden, Menschenleben zu retten, sich Ängsten stellen.

    Zelten ist vielleicht die Antwort auf unsere menschliche Sehnsucht nach Einfachheit, Ruhe und Natur.

    Rucksack-Reisen entspricht vielleicht der Neugier oder Abenteuerlust. Aber mutig? Mutig würde ich anderes nennen.

    Ich habe den Eindruck, in unserer bisher sehr behüteten weißen, europäischen oder auch deutschen Welt geht es vielmehr um die Flucht vor Langeweile, Planbarkeit und sinnlicher Ödnis.

    Nicht, dass man nicht auch ohne spektakuläre Unternehmungen glücklich sein könnte und viel Schönes erleben könnte. Aber der Status spielt hier doch eine entscheidende Rolle.



    Urlaub? Ausland!



    Ferienhaus? Mit Kamin und Pool!



    Highlight? Freizeitpark!

    Oder gleich komplett: Kreuzfahrt mit Kinderclub!

    Menschen die tiefes Erleben kennen und wach sind - ich meine, zur Wahrnehmung fähig - haben meist keinen großen Drang nach Wuhling.

    Und nicht jeder braucht große Gefühlswellen. Wer in solche hineingezwungen war durch große Trauer oder Angst, verzichtet vielleicht auch gern darauf und freut sich an innerer Ruhe und Zufriedenheit.

    Just my 2 cents...

    Vielen Dank für die Kolumne! Gern gelesen.

  • Interessanter Text, der mich zum Nachdenken anregt. Ich kenne das auch von Menschen, die Krieg und Flucht erlebt haben, dass sie zu einem Vorschlag wie Picknick oder Zelten schon mal sagen "ich bin doch nicht mehr im Krieg" oder auch die geplante Schlauchbootfahrt so lange mit Ausreden (Wetter, falscher See, zu kaltes Wasser) vor sich herschieben, bis eindeutig Winter ist. Kann ich in Zukunft besser darauf achten, wie ich darauf reagiere.