Muslimischer Alltag: Gehört Deutschland zum Islam?
Für viele scheint klar: „deutsch“ und „muslimisch“, das geht nicht zusammen. Wir haben nach Spuren gesucht, wie dieses Land die Religion prägt.
Wenn man viele Leute aufmalen lassen würde, wie sie sich das Verhältnis von Islam und westlicher Welt vorstellen, kämen wahrscheinlich sehr oft zwei Kreise heraus, die sich kaum überschneiden: Der eine sind wir, der andere sind die.
2001, nachdem in den USA die Flugzeuge in das World Trade Center gelenkt worden waren, hatte die Theorie vom „Kampf der Kulturen“ Konjunktur. Der Politikwissenschaftler Samuel Huntington hatte das gleichnamige Buch geschrieben, und nun, da islamistische Terroristen die USA angegriffen hatten, schien ein Kampf der klar voneinander abgrenzbaren Kulturen tatsächlich vielen vorstellbar.
Der Gedanke prägt bis heute weite Teile der gesellschaftlichen Debatte über den Islam. Die AfD hat die Fremdheit von Muslimen zum Programm gemacht.
Viele Islamkritiker, die es in allen politischen Lagern gibt, halten Islam und Grundgesetz für unvereinbar. 61 Prozent der Deutschen sind laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2015 der Meinung, der Islam passe nicht in die westliche Welt – Tendenz steigend. Dass klar getrennt wird zwischen „Deutschland“ und „Islam“, so als sei klar, was damit gemeint ist, gehört für viele zu den Prämissen der politischen Debatte. Sie steckt auch schon in der Frage, ob „der Islam“ zu „Deutschland“ gehört.
Der Islam in der Pfalz
Wir haben den „Kampf der Kulturen“ verworfen und die Frage in der taz.am wochenende vom 24./25. Juni anders gestellt: Wie prägt das Leben in Deutschland den religiösen Alltag der deutschen Muslime? Wie ändert sich das Bild, wenn man nicht von abgeschlossenen Kulturklötzen ausgeht, sondern die Dinge betrachtet, wie sie ja nun einmal sind: durchlässig und im Prozess?
Im pfälzischen Germersheim haben wir die Modedesignerin Meriem Lebdiri besucht, die eines der wenigen deutschen Labels für Modest Fashion führt, dezente Mode, die muslimische Frauen tragen – die aber auch andere tragen können. Lebdiri machte die ersten eigenen Entwürfe mit elf, in einer Phase der Selbstfindung. Hüfthosen und bauchfreie Blusen wollte sie aus religiösen Gründen nicht mehr tragen, die traditionelle importierte muslimische Frauenmode aber war ihr zu sackartig. Also entwarf sie eigene Kleidung, nur für sich: ein pfälzisches Mädchen islamischen Glaubens.
Deutsch ist diesem Verständnis nach das, was in Deutschland geschieht. In einem pluralistischen Land, in dem die Gedanken derer zusammenfließen, die hier leben. Lebdiri etwa setzt italienische Wolle und algerische Spitze zu einem Mantel neu zusammen und wird damit, der Farben und der schlichten Eleganz wegen, auf Fashion Shows als deutsch erkannt.
Es ist nur ein Beispiel dafür, wie muslimische und deutsche Gepflogenheiten und Feinheiten zusammenfließen. Eine große Kölner Moschee wurde etwa von einem katholischen Architekten entworfen.
Ein evangelischer Friedhof
Die taz.am wochenende war auf einem evangelischen Friedhof, der 2015 einen muslimischen Bereich eingerichtet hat. Wir haben Unterschiede gesehen, aber vor allem festgestellt: Die Muslime gleichen ihre Bestattungsrituale den deutschen an.
Wir haben mit einer Konvertitin gesprochen. Und wir waren in einer Moschee in Berlin, die auf türkischem Boden steht. Doch dort geschehen Dinge, die in der Türkei so nicht passieren würden – weil sich die Gemeindemitglieder als Teil der deutschen Gesellschaft verstehen und ihre Debatten mitführen.
Kennen Sie weitere Beispiele dafür, wie muslimische und nicht-muslimische deutsche Kultur zusammenwachsen? Oder halten Sie die Theorie vom Kampf der Kulturen – die letztlich auch der sogenannte Islamische Staat propagiert – für geeigneter, die Wirklichkeit zu beschreiben? Diskutieren Sie mit!
Die Geschichte „Gehört Deutschland zum Islam?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 24./25. Juni. Dort finden Sie auch ein Interview mit Milad Karimi, der an der Universität Münster Kalām, islamische Philosophie und Mystik lehrt. Er beantwortet Fragen zur Theologie.
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