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Musliminnen in DeutschlandJenseits des Kalifats

Islam? Seit den archaischen IS-Angriffen im Irak geht es nur um männliche Themen. Es ist Zeit, über moderne, junge Musliminnen zu reden.

Ehrgeiz: Viele Muslimas in Deutschland wollen hoch hinaus. Bild: dpa

Es ist höchste Zeit, über die Frauen zu reden, über junge Musliminnen in Deutschland. Ich mache sie hier zum Werkzeug meiner Absichten – so wie andere, mit anderen Absichten, sich das ihre herausgreifen.

Es ist an der Zeit, über moderne junge Frauen zu reden, weil sich der Islam aus Sicht der meisten Menschen in diesem Land erneut mit einem zementharten Firnis des Archaischen überzogen hat. Längst verweht jene historische Sekunde, als Muslimen etwas Emanzipatorisches zugetraut wurde, zu Beginn der Arabellion.

Brutale, männliche Gewalt ist in diesen Tagen das Gesicht des Islam, sein Fernsehgesicht. Eine Welt der Extreme, der albtraumartigen Szenen und mittelalterlichen Verbrechen, in der ausschließlich Männer Handelnde sind, Handelnde mit harten Konturen. Der Rest wie eine Fototapete, die Frauen-und-Kinder-Tapete, verwischte Konturen, wehende Tücher, zerzaustes, staubiges Kinderhaar.

Als die Zeitschrift Cicero die Frage stellte: „Ist der Islam böse?“, bedeckte das Titelblatt eine blaue Burka, hinter deren Sehgitter eine eingesperrte weiße Friedenstaube saß. Die Gefangenschaft der Frau und die kriegerische Gewalt bilden in dieser Religion also eine Einheit, und die Frauenfeindlichkeit des Islam ist ein integraler Bestandteil seines Böse-Seins.

Es ist nicht alles falsch an dieser grafischen Metapher. Krieg und Bürgerkrieg wirken als Patriarchatsverstärker, wie alle gewaltförmigen Prozesse. Nur gilt das eben auch für den Kongo oder die Ukraine. Letzterer fehlt es, um authentisch-archaisch zu wirken, am Wüsten- und Buschkolorit, ansonsten auch hier die hart konturierte Männlichkeit, schwarz Maskierte vor blassem weiblichem Hintergrund.

Keine Zeit für Hausarbeit

Was den Islam betrifft, möchte ich nur um der Abwechslung willen einmal von Frauen als Handelnden erzählen, zumal es sich um ein Phänomen handelt, das direkt vor unserer Haustür stattfindet: die Dominanz der Frauen im neuen muslimischen Aktivismus. Neulich bei der Bundeskonferenz von „Zahnräder“, einem Netzwerk muslimischer Akademiker, das soziales Unternehmertum fördert: im Saal zu 90 Prozent Frauen, meist mit Kopftuch. „Stellt euch die Frage: Wie schmeckt Erfolg für mich?!“, rief die Moderatorin. Sie arbeitet in England für Facebook.

Charlotte Wiedemann

ist freie Autorin und wurde mit ihren Reisereportagen aus muslimischen Ländern bekannt. Ihr neuestes Buch erscheint im September bei Pantheon: „Mali oder das Ringen um Würde. Meine Reisen in einem verwundeten Land“.

Auf den Zahnräder-Konferenzen wetteifern die Teilnehmenden mit Projektideen um die Gunst des Publikums und damit um ein Startgeld. Es zählt sozialer Elan; davon haben die jungen Frauen anscheinend mehr. Eine Kandidatin, die zertifiziertes Halal-Food zum Angebot großer Supermärkte machen wollte, begründete ihr Projekt so: „Wir arbeiten den ganzen Tag und sind noch sonst wie aktiv, da ist Hausarbeit einfach nicht drin.“

Beim neuen Avicenna-Studienwerk, das muslimische Studierende und Promovierende fördert, bewarben sich mehr Frauen als Männer; wer die Szene kennt, ist davon nicht überrascht. Von Frauen kam jüngst auch der Anstoß für ein Netzwerk angehender muslimischer Lehrkräfte. Das Urteil über die Verfassungsmäßigkeit des Kopftuchverbots für Lehrerinnen wird für diesen Herbst erwartet, und die Verschleierten nehmen ihre berufliche Diskriminierung nicht mehr widerstandslos hin.

Seit einigen Jahren schon zieht es Muslima in die Islamwissenschaft, ein bei Gläubigen sonst nicht gut beleumundetes Fach, weil des Orientalismus verdächtig. Das Studium zwingt junge Frauen, sich selbst mit den Augen der anderen zu sehen und Distanz zu Glaubensfragen zu entwickeln, ohne sich um einer besseren Note willen vom Glauben so weit zu entfernen, dass es ihnen selbst als Verrat erschiene. Eine Gratwanderung, und vielleicht ist gratwandern eher weiblich.

In den Islamverbänden, wo es um Macht geht, dominieren weiter die Männer; in der Zivilgesellschaft und in den Jugendorganisationen dominieren die Frauen. Warum das so ist? Musliminnen, die Kopftuch tragen, machen sich sicht- und angreifbar; sie verspüren mehr Druck als Männer und haben ein stärkeres Motiv, die sie umgebende Gesellschaft zu verändern. Aber es gibt einen weiteren, womöglich wichtigeren Grund: Ehrgeiz. Beruflicher, wissenschaftlicher Ehrgeiz. Der ist im deutschen Frauenbild ohnehin nur bedingt vorgesehen. Und nun wird der Ehrgeiz einer neuen Generation von Musliminnen lieber ignoriert, damit sie weiter in unsere Integrationsfototapete passen: mit Schlabbermantel und Petersilienbüschel in der Einkaufstasche. Verwischte Konturen.

Solange jede/r Zweite meint, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, bleibt der auswärtige Islam, der Islam der Abendnachrichten, immer der echte und eigentliche. Der IS-Kalif ist nicht nur wirkmächtiger als die Doktorandin im Nachbarhaus; er ist realer.

Der Islam wird weiblicher

Vor sieben Jahren schrieben Youssef Courbage und Emmanuel Todd, Forscher am Pariser Institut National d’Études Démographiques, ihr Buch „Die unaufhaltsame Revolution. Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern“. Sie stützten ihre These vor allem auf Frauen: Deren Alphabetisierung und der damit einher gehende Geburtenrückgang treibe die Modernisierung voran. Von Indonesien bis Iran erkämpfen sich Frauen Räume, von denen ihre Großmütter nicht zu träumen wagten. Der Islam wird weltweit weiblicher, auch wenn es in unseren Abendnachrichten nicht danach aussieht. Das Kalifat-Gedröhne greift auch eine Geschlechtermoderne an, die überall dort unterwegs ist, wo die Lebensumstände nicht von Waffenbesitzern diktiert werden. Womöglich erleben wir das letzte Aufbäumen archaischer Männlichkeit.

Für eine aktive, gebildete und ehrgeizige Muslima in Deutschland ist es übrigens nicht leicht, einen akzeptablen Partner zu finden. Das Phänomen ist ähnlich aus muslimischen Mehrheitsgesellschaften wie Oman oder Malaysia bekannt, wo Mädchen die Jungen bereits an den Schulen hinter sich lassen. Ein Mann, der sich in ein Netzwerk traut, in dem Frauen dominieren, hat sich als Bewerber qualifiziert. Kriterien, die vom IS-Kalifat weiter entfernt sind als der Wohnzimmersessel vom Fernsehapparat.

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24 Kommentare

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  • Interessanter und guter Artikel. Aber warum ist gratwandern vielleicht eher weiblich?

  • Danke, Charlotte Wiedemann: Nachdem hier die Herren Donath, Johnson, Yücel und Waibel bereits die Aufrüstung der NATO, den NATO-Bündnisfall, den Kampf gegen Rußland und die grundsätzlichen Vorteile des Waffentragens ausgerufen haben, ist es einfach wohltuend, eine weibliche Stimme der Vernunft zu hören. Auch die TAZ hat dies früher stärker thematisiert, als heute: Militarismus und Patriarchat stehen in engstem Zusammenhang, ja bedingen in der Welt von heute einander. Der Niedergang der bisherigen Wirtschafts- und Machtsysteme, den wir gerade erleben, kassiert die traditionellen männlichen Funktionen. Wo Bürgerkrieg und Katastrophen Alltag sind, halten oft nur noch Frauen das menschliche Leben aufrecht und sind oft auch die einzig ökonomisch relevanten Kräfte. Die deklassierte Männlichkeit meint, sich oft nur noch durch Tarnanzug, Maschinenpistole und Scharia (... zuttreffendes bitte einsetzen ...) behaupten zu können. Die Jüngeren von ihnen haben oft nie etwas anderes gelernt, ihre Vorstellung von "Leben" besteht in einer immerwährenden Soldateska, die sich nimmt, was ihr vermeintlich zusteht.

    Diese militaristische "Kultur" - egal, wo auf der Erde und egal, unter welchen ideologischen Auspizien - wird sich nie durch Gegenkrieg verändern lassen.

    Ich setze auf Zeit und Veränderung, auf Geduld und Gelassenheit: auf genau jenene Prozeß unter den hiesigen jungen Musliminnen, den Frau Wiedemann so trefflich beschrieben hat.

    • D
      D.J.
      @Albrecht Pohlmann:

      Der Artikel vermied sexistische Klischees weitgehend, Sie sind aber in Gefahr, sie zu bedienen. Zu jeder Zeit nämlich habe auch Frauen selbstverständlich militaristische Denkmuster unterstützt oder bedient. In unserem Zusammenhang betriff dies Frauen, die teils voll hinter dschihadistische Denkweisen stehen. Manchmal auch frauenverachende Strukturen stützen oder gar fordern. Denken Sie z.B. an die kuweitische "Frauenrechtlerin", die (es war keine Ironie) forderte, Sexsklaverei (von Nichtmusliminnen) wieder einzuführen, um die Rechte der muslimischen Frau auf Unantastbarkeit zu wahren. Oder was unseren Kulturbereich betrifft: Denken Sie an Marlene Dietrichs trauriges, kluges Lied von den Frauen, die die Uniformen bewundern ("Und nur wegen dem Tschinderassassa...").

  • Was aber, wenn "Islam" und "Moderne" unvereinbare Gegensätze sind? Religionen sind so eine Sache. Da es keine Götter gibt, sind sie alleine Abhängig von den Menschen, welche die jeweilige Religion ausüben. Was aber, wenn der Islam gerade deshalb zu einer Chiffre für die Ablehnung von Freiheit, Verantwortung und Gerechtigkeit ist? Religionen sind doch schon immer sehr gut darin gewesen, diese Begriffe zu kapern und zu ihren eigenen Zwecken zu missbrauchen. Am Ende aber sind es immer die Menschen, die sich hinter dieser Chiffre versammeln und sie als Monstranz vor sich hertragen. Das Christentum kannte beispielsweise die vorauseilende Absolution für alle Sünden, welche die Kreuzfahrer auf ihren Zügen nach Jerusalem unternommen haben. Da vergewaltigt, mordet und brandschatzt es sich dann ganz ohne störendes Gewissen. Bei der Hamas oder der IS oder Boko Haram oder welche Sekte gerade diesen Monat im Fokus steht, ist es doch genauso. Als Halbamerikanerin ist mir nur zu bewusst, das ein vor sich hergetragener Glaube (diesmal christlich-evangelikal) vor allem auch heißt: "Ich bin ein Arschloch, aber ihr könnt nichts machen, weil mein Gott will es so!"

    • D
      D.J.
      @Perdita Durango:

      Islam als reiner Glaube ohne politische Macht wäre keinneswegs ein Hindernis für Modernisierung - oder nur ein geringer. Leider erleben wir fast überalls auf der Welt derzeit eine Reklerikalisierung. Die hat (hoffentlich) ihren Höhepunkt überschritten, was die amerikanischen Evangelikalen betrifft. Hinsichtlich des Islam feiert er fröhlich Urständ. Bedauerlich, dass einige (nicht die klügsten) Linken noch nicht die Dimension begriffen haben. Ein seltsames "der Feind meines Feindes ist immer noch besser als mein Feind". Liegt wohl daran, dass Linke Marx nicht mehr lesen. Der verachtete solch schlichte Denkweisen.

  • Das Problem in diesem Kontext sind ja jene islamischen Frauen, die sich dem Kopftuch und anderen Normierungsritualen gerne verweigern würden und diese als Teil einer patriarchalischen Unterdrückungsstruktur empfinden. Diese Frauen finden bei der taz und bei Frau Wiedemann schon lange keine solidarische Stimme mehr, vermutlich, weil sie irgend einen übergeordneten Kontext stören würden.

  • Hat zwar nur am Rande mit dem Thema zu tun, aber ich wundere mich immer, wenn z.B. vom "modernen" Islam die Rede ist. Hä? Und diese Frage geht an ALLE Religionen - seit wann ist es modern, an (einen) Gott zu glauben? Ich meine, vor 2000 Jahren, o.k., aber HEUTE??? Und wie will jemand, der wirklich gläubig ist, sich ernsthaft mit Wissenschaft befassen?

    "GOD made me an atheist. Who are you to question HIS wisdom?"

  • Als Atheist/in fällt es schwer, sich nicht über ein Set religiöser Pflichten zu ärgern

     

    Angesichts der Besorgnis über die Kalifatsbewegung und ihre faschistischen Auswüchse seien zwei Beiträge hier empfohlen:

     

    Stefan Weidner, 2011, Aufbruch in die Vernunft : Islamdebatten und islamische Welt zwischen 9/11 und den arabischen Revolutionen, Bonn: Dietz Verlag und

     

    Thomas Bauer, 2011, Die Kultur der Ambiguität : eine andere Geschichte des Islams, Berlin, 464 S.

     

    Thomas Bauer, Uni Münster, zeigt, wie die Entwicklung eines Islams hin zu eindeutigen und strengen Regeln in der Moderne von den Kolonialregimes gelernt wurde und umgekehrt die islamische Welt in früheren Jahrhunderten viel mehr Vielfalt und Nebeneinander kannte: Toleranz gegenüber einer Menge von Koranauslegungen u.a.

    http://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2011/mai/PM_Eine_andere_Geschichte_des_Islams.html

  • @D.J. @Velofisch

     

    Auch bei uns gibt es mehr Abiturientinnen als Abiturienten, und die Mädchen haben durchweg bessere Leistungen. Nicht nur im Iran gibt es eine Männerquote an der Uni, die gibt's auch an einigen US-Unis.

     

    Frauen sind für's Lernen, fürchte ich, einfach besser geeignet. Mehr Sitzfleisch, bessere Konzentration, mehr Anstrengungsbereitschaft. Warum sollte das religionsabhängig sein?

     

    Problematisch doch eher dies:

     

    "In den Islamverbänden, wo es um Macht geht, dominieren weiter die Männer; in der Zivilgesellschaft und in den Jugendorganisationen dominieren die Frauen."

     

    Liegt bestimmt nicht am Kopftuch, ist doch bei "uns" genauso. Parteien, Unternehmen, alles männerdominiert.

     

    Gläserne Decke? Oder haben Frauen letztendlich andere Interessen?

    • D
      D.J.
      @Cededa Trpimirović:

      "Auch bei uns gibt es mehr Abiturientinnen als Abiturienten, und die Mädchen haben durchweg bessere Leistungen."

       

      Dazu habe ich mich weiter unten auch geeäußert - aber wie gesagt ist bei Musliminnen die Differenz nach meiner Erfahrung noch größer.

  • Ich bin jetzt nicht wirklich so in der Materie des Islams. Aber modern setzt nach meinem Verständnis eine kritische Auseinandersetzung auch mit der Religion voraus. Also gewissermaßen eine Aufklärung! Mir wäre nicht bekannt, wann dies im islamischen Raum geschehen wäre. Weiter gehört dazu eine selbstbestimmte Einstellung, welchen Stellenwert die Religion in der eigenen Gestaltung des Lebens einnimmt und ob man Sie als Maßstab oder als Regel versteht und ob diese verhandelbar oder sakrosankt sind.

     

    Bei allem guten was die Religion hervorgebracht hat, zeigt sich doch immer mehr, dass die Mehrzahl der Weltreligionen doch erheblichen Anpassungsbedarf an die Zivilisatorische Entwicklung aufweisen. Diese Anpassung halte ich bei der derzeitigen Geschwindigkeit mit der sich die Gesellschaften entwickeln kaum noch für möglich. Und gerade der Islam erscheint mir da extrem rückständig. Die Kreuzzüge des Christentums endeten vor über 500 Jahren. Während das islamische Pendant weltweit fröhliche Umstände feiert.

     

    Es wird langsam Zeit den Aberglauben abzuschütteln.

    • D
      D.J.
      @insLot:

      Ich sehe in dem Zusammenhang folgendes Problem: Ein Herr Mayzek z.B. wird von den Salafisten gehasst. Das ehrt ihn. Aber er macht es sich zu leicht, wenn er sagt: das und da hat nichts mit dem Islam zu tun. Was soll das heißen? Was IS macht, hat eben doch in vielerlei Hinsicht mit der sunnitischen Scharia zu tun. Nun könnte Herr Mayzek sagen: Die Scharia hat nichts mit dem islam zu tun, dies war ein Irrweg bereits seit der frühen Zeit des Islam. Aber wetten, dass er sich das nicht traut? Selbst wenn er es meinen würde?

  • "Längst verweht jene historische Sekunde, als Muslimen etwas Emanzipatorisches zugetraut wurde, zu Beginn der Arabellion."

    In dieser historischen Sekunde wurde von Anfang an die Befürchtung geäußert, dass die urbanen, säkularen Muslime zwar das Regime ins wanken bringen, dann aber islamistische Hardliner das Ruder an sich reißen. So wäre es in Ägypten beinahe passiert - bis das Militär dem einen Riegel vorschob. In Libyen und Syrien ist von den säkularen Kräften kaum noch etwas zu sehen.

     

    "Von Indonesien bis Iran erkämpfen sich Frauen Räume, von denen ihre Großmütter nicht zu träumen wagten."

    Also wenn die iranischen Großmütter die 50er erlebt haben, hatten sie damals vermutlich Freiheiten, von denen Iranerinnen heute nur träumen können. Das gilt vermutlich sogar für die Zeit während der Schah-Diktatur.

    • @Anton Gorodezky:

      Hierauf könnte man antworten - ohne jetzt die alle möglichen Implikationen dieser Aussage zu bedenken: In der DDR haben vor 25 Jahren zwar die urbanen, säkulären Bürger das Regime ins Wanken gebracht, aber die christlichen Hardliner haben danach das Ruder an sich gerissen. Mit allen verheerenden Folgen: statt daß die reformbedürftige BRD-Gesellschaft vom emanzipatorischen Elan der DDR-Linken (der tatsächlichen) profitierte, dominiert seitdem das Rollback in jeder Hinsicht: Sozialgerechtigkeit, Mitbestimmung, feministische Errungenschaften wurden seitdem zurückgedrängt, stattdessen haben wir heute Kapitalismus pur, "neue Bürgerlichkeit" (=Spießigkeit), Gender-Backlash, erstarkenden Militarismus und Expansionismus (Fehlendes bitte ergänzen). - Ich wüßte zu gerne, wie man diesen Prozeß abändenr könnte: daß die mutigen jungen Leute, das revolutionäre Subjekt, allemal ins Hintertreffen geraten gegenüber den Konservativen und Reaktionären, die mühelos die Früchte der Mutigen ernten.

      • D
        D.J.
        @Albrecht Pohlmann:

        Viel komplizierter als Sie behaupten. Schließlich gab es in der DDR ein breites Bündnis zwischen demokratischen oppositionellen Atheisten und demokratischen opositionellen Christen (im dt. Osten anders als in Polen naturgemäß eher Protestanten). Ich sehe in D auch keineswegs den Kulturkampf, den Sie implizit behaupten. Anders als in musl. Ländern mit den Auseinandersetzungen zwischen Säkularen (offene Atheisten gibt es ja leider kaum) und Scharia-Propagandisten. Jenseits von ganz Rechts und ganz Links, unabhängig von Religiosität, gibt es in D ja einen Grundkonsens, was Menschenrechte und Demokratie betrifft.

    • D
      D.J.
      @Anton Gorodezky:

      Das gilt mehr noch für Afghanistan, wo man auf Fotos der letzten Jahre der Königszeit Miniröcke sieht (jedenfalls in Kabul). Der Rückfall in finsterste Zeiten der Reaktion hat viele Ursachen, in Afghanistan teils andere als im schiitischen Iran. In sunnitischen, v.a. arabischen, Staaten aber Spiel das verflixte Öl eine wichtige Rolle, das es den am meisten reaktionären Ideologien der arab. Halbinsel ermöglicht hat, ihre Agenda weiterzuverbreiten (ja, auch in D, siehe z.B. die Fahd-Akademie in Bonn). Ohne das Öl und ohne die schwachsinnige amerikanische Freundschaftspoltik mit SA und Co. würden wir heute wahrscheinlich über so manche Albernheit nur lachen.

      Dennoch sagt üble Repression nicht unebdingt etwas aus über das Selbstbild und auch Selbstbewusstsein der Frauen (siehe mein Kommentar ganz unten).

      • D
        D.J.
        @D.J.:

        Spiel > spielt

  • D
    D.J.

    Es entspricht auch meinen Erfahrungen, dass muslimische Stiudenten durchschnittlich besser sind als muslimische Studenten. Das ist zwar auch bei Nichtmuslimen in meinem Fach so, aber die Differenz ist hier nicht so groß. Ich vermute, dass eine Erziehung, die (zumindest unbewusst) den Eigenwert der Jungs mehr betont als der Mädchen (deren Wert nach wie vor oft als zukünftige Mutter gesehen wird), Jungen dazu verführt, sich weniger anzustrengen als Mädchen.

     

    "Das Urteil über die Verfassungsmäßigkeit des Kopftuchverbots für Lehrerinnen wird für diesen Herbst erwartet"

     

    Ein in einer liberalen Gesellschaft überaus schwieriges Thema. Aber unabhängig von der Rechtmäßigkeit würde ich nie - so ich welche hätte - meine Kinder an eine Schule, v.a. Grundschule, schicken, in der Lehrereinnen ein Kopftuch tragen. Ich würde nicht wollen, dass meine Kinder mit einem Geschlechterbild aufwachsen, wonach der Anblick von Frauen vor Männern geschützt werden müssen, die sich ihrer Natur gemäß nicht beherrschen können. Abgesehen von der nach außen gestellten Religiosität, die ich an der Schule ablehne. Und nun dürfen selbstvergessene Pseudolinke darob toben.

    • @D.J.:

      "..Und nun dürfen selbstvergessene Pseudolinke darob toben..."

       

      Die Wertigkeit ihrer Kommentare verliert (aus meiner Sicht) leider durch ihre zu häufig offenbarte, leicht ideologische, Linksphobie.

    • @D.J.:

      Warum tragen muslimische Frauen ein Kopftuch? Viele behaupten, sie würden es "freiwillig" tun, viele werden sicherlich dazu gezwungen - sei es durch ihr Umfeld, sei es aus einer selbstverordneten oder anerzogenen Schere im Kopf. In jedem Fall ist es ein öffentliches Bekenntnis (wie wenn jemand ein Kreuz um den Hals trägt). Und ich gebe Ihnen, D.J. recht, so jemanden würde ich auch nicht auf meine Kinder loslassen mögen. Zum Glück ergab sich die Situation nicht, aber ich habe mich furchtbar aufgeregt, als die Schulklasse eines meiner Kinder mal "überraschend" vom örtlichen Pastor heimgesucht wurde.

      Und ja, es scheint mir auch so, daß sich muslimische Mädchen mehr anstrengen als ihre männlichen Pendanten. Wahrscheinlich läßt bei letzteren die anerzogene Rolle als Boss die Gehirnwindungen etwas einrosten...

      • D
        D.J.
        @Der_Peter:

        Nee, überwiegend läuft es subtiler. Klar gibt es nach wie vor die Macho-Familie. wo der 7jährige Junge sagt, dass er der "Boss" der 15jährigen Schwester sei. Aber eher selten, jedenfalls in D. Meist sind es auch in traditionellen Familien eher das unausgesprochene Tradieren archaischer Denkmuster. Was das Kopftuch betrifft: Im Alltag oft reine Tradition, manchmal auch nach Tageslaune weggelassen. Kein Problem. Wer es aber an der Schule als Lehrerin trägt, transportiert damit aber fast immer ein Bekennnis. Kann sie machen, aber es ist auch mein Recht, damit familiär-erzieherisch nicht unmittelbar berührt zu werden.

  • Viele Frauen in islamischen Ländern nutzen ihre beschränkten Möglichkeiten konsequenter als viele Männer ihre weniger beschränkten. Frauen bilden die grosse Mehrheit der Studierenden im Iran - auch in technischen Fächern. Die Regierung versucht mit Quoten zu regulieren um das Geschlechterverhältnis ein wenig auszugleichen.

    In Deutschland ist es umgekehrt. Frauen werden gefördert und bevorzugt und lassen sich doch nur wenig davon überzeugen, technische Fächer mit guten Berufsaussichten zu wählen.

    Das stimmt nachdenklich vielleicht bewirkt ja Förderung manchmal das Gegenteil dessen was beabsichtigt wurde?

    • @Velofisch:

      Je freier Gesellschaften sind, desto weniger Frauen studieren typische "Männerfächer". Der norwegische Komiker Harald Eia hat sich (unter anderem) damit beschäftigt, das Video ist ganz sehenswert: https://www.youtube.com/watch?v=xMmLDRhoZ7s

    • D
      D.J.
      @Velofisch:

      Ja, ich habe kaum je so selbstbewusste Frauen erlebt wie im Iran in den 90ern, als die Zügel noch stärker angezogen waren als heute. Gilt ähnlich, wenn auch nicht so stark, auch in vielen arabischen Ländern.