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Entscheidung BundesverfassungsgerichtKein pauschales Kopftuchverbot

Die Karlsruher Richter revidieren ihre Rechtsprechung: Künftig soll eine „konkrete Gefahr“ als Grundlage für ein Kopftuchverbot bei Lehrerinnen gelten.

Eine generelle Kopftucherlaubnis ist die Entscheidung der Richter nicht. Bild: imago/Westend61

FREIBURG taz | Ein pauschales Kopftuchverbot bei Lehrkräften ist nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar. Das hat jetzt das Bundesverfassungsgericht entschieden. Eine entsprechende Grundsatzentscheidung wird an diesem Freitag veröffentlicht. Aufgrund einer Computerpanne des Gerichts wurde der Kern des Beschlusses allerdings schon am Donnerstag bekannt.

Geklagt hatten zwei muslimische Pädagoginnen aus Nordrhein-Westfalen, die in der Schule aufgrund ihres Glaubens eine Kopfbedeckung tragen wollten. Eine trug ein klassisches Kopftuch, die andere eine Art Mütze. Damit verstießen sie aber nach Ansicht der Behörden gegen das nordrhein-westfälische Schulgesetz. Dort werden den Lehrkräften religiöse „Bekundungen“ verboten, die geeignet sind, die Neutralität des Landes und den Schulfrieden zu gefährden. Eine Klägern wurde gekündigt, die andere abgemahnt.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass dieses Verbot „verfassungskonform einzuschränken“ ist. Künftig soll keine abstrakte Gefahr für Neutralität und Schulfrieden mehr genügen, vielmehr muss eine „hinreichend konkrete Gefahr“ von den jeweiligen Kopftüchern ausgehen.

Eine generelle Kopftucherlaubnis ist das allerdings nicht. Sollten konservative Eltern gegen eine erkennbar muslimische Lehrerin Proteste organisieren, könnte darin eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden gesehen werden, die ein Kopftuchverbot im konkreten Fall doch erlaubt.

Privilegierung christlicher Symbole

Eine weitere Klausel des NRW-Schulgesetzes wurde von den Richtern ganz gekippt. Danach gab es eine Ausnahme vom Verbot religiöser Bekundungen für die „Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen“. Diese Privilegierung christlicher Symbole verstoße gegen das Grundgesetz, das Benachteiligungen aus religiösen Gründen verbietet, so die Richter.

Damit korrigiert das Verfassungsgericht seine eigene Rechtsprechung aus dem Jahr 2003. Im Fall der Stuttgarter Lehrerin Fereshta Ludin hatte Karlsruhe damals entschieden, dass auch vorsorgliche Kopftuchverbote möglich sind – wenn es hierfür eine gesetzliche Grundlage gibt. Viele Bundesländer schufen daraufhin entsprechende Kopftuchverbote in ihren Schulgesetzen.

Der Wandel der Rechtsprechung hat auch damit zu tun, dass 2003 der konservativere Zweite Senat entschieden hatte und diesmal der liberalere Erste Senat zuständig war. Grund: 2003 ging es um das Beamtenrecht, für das der Zweite Senat verantwortlich ist, während die jetzt klagenden Pädagoginnen nur angestellt waren.

Die neue Entscheidung war aber auch nicht unumstritten und fiel im Ersten Senat mit 6 zu 2 Richterstimmen. Ausgerechnet der konservative Richter Wilhelm Schluckebier, der das Urteil vorbereitet hatte, musste ein Minderheitsvotum schreiben. Ein zweites Sondervotum stammt von Richterin Monika Hermanns, die in dem Verfahren den befangenen Senatspräsidenten Ferdinand Kirchhof vertrat.

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25 Kommentare

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  • Es ist bedenklich, dass das BVerfG mit diesem Urteil dem Prinzip der Trennung von Staat und Kirche faktisch eine Absage erteilt hat: "Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist nicht als (...) eine strikte Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als (...) eine die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung". Wie der Umgang mit Religion gegenüber meinen Kindern gefördert wird und vor allem von wem, will ich schon selbst entscheiden können - auch ohne eine Privatschule bezahlen zu müssen.

     

    Aber auch in der Sache ist das Urteil schwammig und vielleicht sogar kontraproduktiv. Bei Vorliegen einer "hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens" durch das äußere Erscheinungsbild der Lehrerin soll nämlich plötzlich doch ein Kopftuchverbot angemessen sein, wenn "in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht wird". Wer entscheidet das? Überall, wo Pegida stark ist und unter Schülern eine anti-muslimische Haltung vorherrscht, kann/soll also das Kopftuch verboten werden? Um den Konflikt nicht ins Klassenzimmer zu tragen, gibt man dem Aggressor Recht? Das kann es doch wohl nicht sein!

  • Wie man überhaupt auf die Idee kommen kann... Gerade Lehrkräfte haben sich dann ja wohl selbst dafür entschieden. Also ist doch Sache der Frau und nicht des Staates. Die einen tragen es, andere halt nicht. Wie man nur so intolerant sein kann.

  • Es gibt keine neutrale Bekleidung. Kleidung ist immer auch Ausdruck des Lebensstils und der Weltanschauung.

    Neutralität in Schulen kann nur über Vielfalt und Toleranz verwirklicht werden und nicht über Uniformität.

    Jede Bekleidungsvorschrift ergreift Partei für einen bestimmten Lebenstil und verletzt die Neutralität.

  • Ich weiß es bis heute nicht:

    In welchem heiligen Text steht geschrieben, daß das Kopftuch ein religiöses Symbol & Gebot & Ausdruck des Glaubens ist ?

     

    I no know ...

    • @adagiobarber:

      Ich fürchte, den Leuten, die die zweite Lehrerin entlassen haben, ist es so ähnlich gegangen. Sie haben ihre Kündigung ja angeblich wegen des Tragens einer "Art Mütze" ausgesprochen, nicht wegen eines Kopftuchs.

       

      Lustig finde ich es übrigens, dass nach dem Urteil all jene Christen, die meinen, sie müssten in der Schule missionieren oder wenigstens "Gesicht (sprich: Kreuz) zeigen" unfreiwillig zu "Leidensgenossen" der Muslime geworden sind. Bin gespannt, ob sich daraus irgend eine Art von Solidarität ergibt – und wie die offiziell begründet wird.

       

      Übrigens: Meine Englischlehrer haben seinerzeit zwar nicht erkennbar an einen Gott geglaubt, aber dafür daran, dass Schüler "I don't know" schreiben sollten, wenn sie behaupten möchten, dass sie keine Ahnung haben. So weit ich weiß, hat bisher auch noch kein Gericht die Propagierung dieses Glaubens untersagt. Meine Kinder jedenfalls sind auch damit traktiert worden.

      • @mowgli:

        Hammer und Sichel Fans dürfen sich ebenfalls mit den Christen, Muslimen etc etc in einem Boot befinden (-;

  • Religiöse Zeichen und Bekundungen haben grundsätzlich nichts in der Schule verloren. Die Schule sollte ein NEUTRALER Ort der Bildung sein, nicht der Indokrination - aber das sollte nicht nur für Moslems gelten, sondern auch für Christen, Juden, Scientologen und Anhängern des Spaghetti-Monsters.

    • @tazzy:

      Schauen Sie...womit ich ein Problem habe sind z.B Konfessionsschulen, die gewaltig im Vormarsch sind. Schulen wo die Lehrkräfte und das Personal an die christliche Konfession gebunden sind. Dagegen regt sich kein Widerstand, das wird nicht thematisiert.

       

      Und dieses Problem hätte ich genauso wenn es um den Islam, Buddhismus oder sonst was ginge. Nicht dass wir uns falsch verstehen. Sein Recht Religion auszuüben oder auch gelehrt zu bekommen sollte hingegen jeder haben, auch Molsems.

       

      Ein Kopftuch das eine Lehrerin trägt, ist für mich halt nicht der Stein des Anstoßes und meiner Meinung nach ihr Menschenrecht. Sie zwingt damit niemanden ihre Religion anzunehmen oder nach dem Islam zu leben. Wohingegen eine Konfessionsschule eben genau das tut und Menschen teils entlassen werden weil sie ein 2. Mal heiraten, lesbisch oder schwul sind usw.

       

      Was manche Leute dann im Kopftuch sehen ist deren Problem und nicht das der Trägerin.

    • @tazzy:

      Solange es an Schulen Religionsunterricht gibt, wird es an Schulen auch religiöse Indoktrination geben.

       

      Jedoch: Das Tragen eines Kopftuchs ist eben genau KEINE Indoktrination und bringt somit kein einziges Kind irgendwie in Gefahr.

  • tja, also dann sollte der Papst und sein Gefolge erst mal die Frauenkleider ablegen, zudem müsste nun weltweit das Tragen von Ordenstrachten verboten werden !

    • @Georg Schmidt:

      Seit wann unterrichtet denn der Papst an staatlichen deutschen Schulen? Und sind Sie wirklich sicher, dass deutsche VerfassungsrichterInnen über die Einhaltung weltweiter Regeln entscheiden dürfen oder auch nur sollten?

      • @mowgli:

        es geht für mich, nicht nur um Schulen, auch um die Schaustellungen von religiösen Zeichen, obs nun das Kreuz an der Wand ist oder eben die Ordenstracht, oder nehmen Sie mal die Fronleichnamsprozession, Erntedank fest die ganzen Christlichen Veranstaltungen, wo Geistliche in ihrer Tracht, sag ich mal in er Öffentlichkeit, ich persönlich halte die Kopftuchdiiskussion für sowas von sinnlos, aber wer fragt mich schon!

  • Kein Respekt mehr vorm höchsten deutschen Gericht?

     

    Mit dieser unnötigen Indiskretion der TAZ wird die Reputation des BVerfG nachhaltig beschädigt - und nebenbei auch die Quelle arbeitslos gemacht. Wem nützt das?

     

    Die Konsequenz ist Zurückhaltung im Umgang mit der TAZ.

    • @stadtlandmensch:

      Na, ich hoffe doch, dass der Rechner, der die Panne verursacht hat, arbeitslos wird. Handarbeit ist eh' besser...

  • "Sollten konservative Eltern gegen eine erkennbar muslimische Lehrerin Proteste organisieren" - warum nur konservative Eltern? Vielleicht ist auch progressiven Eltern nicht recht, wenn Religion so in die Schule gebracht wird. Soweit ich weiß gab es bereits Klagen atheistischer Eltern gegen das Anbringen von Kreuzen in Kindergärten.

    • @Anton Gorodezky:

      Genau. Bei Kreuzen an der Wand von Klassenzimmern und Kindergärten geht's ja auch um die Neutralität der Institution.

      Jedoch hat bisher kein Gericht Lehrerinnen oder Kindergärtnerinnen untersagt, Kreuze am Hals zu tragen.

    • @Anton Gorodezky:

      Beim Haten gegen Religionen kommen sich Rechte Atheisten (Pegiden sind zu 75 % konfessionslos) und Linke Atheisten normalerweise nicht in die Quere. Die haben die Religionen fein unter sich aufgeteilt. Die einen gg. Den Islam, die anderen gg. das Christentum.

  • Na endlich kehrt Vernunft ein!

  • Ich würde mich freuen noch weniger religiöse Symbole in der Öffentlichkeit zu sehen.

    Jeder Schritt in Richtung Toleranz für Religionen ist ein Schritt zurück ins Mittelalter.

    Den Islam erst gar nicht Fuß fassen lassen und der katholischen Kirche ihre Privilegien nehmen. Bonzenpriester verfressen, versaufen und verschleudern unsere Steuergelder. Und wofür verdienen sie das Ganze Geld? Weil sie eine Versammlung abhalten in der man Wein und Kekse bekommt und sie dort konservative tausendjahrealte Märchen vorlesen die einen emotional von ihrer Institution abhängig machen sein. Religion ist heilbar!

    • @AufklärungstattIgnoranz:

      Schon interessant, wie einfach du es dir machst mit der "Heilung" von Religion. Ich teile deine Ansicht zumindest teilweise zur Steuerverschwendung und Institutionalisierung von Religionsgemeinschaften. Auf der anderen Seite versuche ich mir vorzustellen, wie einfach dein Leben sein muss, so ganz ohne ernste Grundfragen an das Leben und die Welt. Ich meine, du wirst doch sicherlich anerkennen, dass Menschen durchaus in Lebenssituationen geraten, in den sie wissen wollen warum Dinge geschehen (weil es sie ganz persönlich betrifft) oder welchen Einfluß sie auf den Lauf der Welt nehmen können (und nicht nur machtlos daneben stehen). Und ich glaube, dass du dir auch vorstellen kannst, dass verschiedene Menschen bei diesen Fragen zu ganz unterschiedlichen Ansichten, ja, Weltanschauungen kommen. Religionen und Atheismus haben zumindest die eine Gemeinsamkeit, dass sie versuchen (mit durchaus unterschiedlichen Mitteln) Geschehnisse der Welt und zwischen Menschen erklärbar, greifbar zu machen.

       

      Welches Ziel also soll Aufklärung damit verfolgen, wie dein Name ja vorgibt, Weltanschauungen zu verbieten?; etwa auf derselben absolutistischen Basis, die einzig richtige, wahrhaftige Weltanschauung zu sein, wie Religionen in dem von dir gezeichneten Mittelalter? Und wohin würde uns solch ein Handeln führen wenn nicht in genau dasselbe Mittelalter?

       

      Ja, Aufklärung statt Ignoranz. Weltanschauungen und ihre Vertreter zu ignorieren ist ja nicht dein Handlungsansatz, oder doch?

    • @AufklärungstattIgnoranz:

      Ich wollt ja grad schon den Atheismus überdenken... wenn er intolerantere Individuen produziert als die drei Weltreligionen, ist er vielleicht doch nicht richtig. In Wahrheit ist es aber egal was man auf das Brett schreibt welches man vor dem Kopf hat.

      • @Matthias Haider:

        Wann haben Atheisten das letzte mal Journalisten getötet wie die radikalen Muslime?

        Oder Abtreibungsärzte erschossen wie die radikalen Christen in den USA?

         

        Der Konservativismus in den Religionen macht diese intolerant, nur wenn man sie davon reinigt wären sie gesellschaftsverträglich.

        Aber dann bleibt kaum was von der Religion übrig...