Musiklabel Noisolution wird 30 Jahre alt: Schon wieder 30 Jahre rum
Das Berliner Independent-Label Noisolution übersteht mit DIY-Ethos, Loyalität und einer Menge Gitarren seit drei Jahrzehnten Trends und Krisen.
Unbeirrbares Weitermachen gegen alle Widrigkeiten hat auch seinen Charme. Und der ist kein geringer. Seit dreißig Jahren betreibt Arne Gesemann in Berlin-Kreuzberg das Label Noisolution, von eigentlich allen die Branche in schöner Regelmäßigkeit heimsuchenden Krisen zwar betroffen, aber irgendwie nicht existenziell bedroht.
Was das zuerst unter dem Dach des 2005, also zehn Jahre nach der Gründung verblichene Vielklang Musikproduktion gestartete Label als offenbar tragende ideologische Basis mitbringt, ist ein klares Ethos: „Der Künstler, das Album und die Musik sind das Zentrum unserer Arbeit. (…) Noisolution ist DIY, Punkrock, selbstständig, unabhängig und alternativ.“
So steht es auf der Website. Entscheidend ist aber wie immer auf'm Platz. Der Ausstoß ist groß, gerade wenn man weiß, dass Noisolution als Ein-Mann-Betrieb gestartet ist. Inzwischen hat sich das Team verdoppelt, inzwischen machen zwei Leute alles: Demos durchhören, Verträge aufsetzen, Konzerte buchen, Poster designen, Fotosessions organisieren, Promo generell, Pressearbeit.
Alles selbst machen müssen ist für Arne Gesemann allerdings keine Last, sondern, sagt er, ein „Glück“. Zum einen ließe die Situation in der Branche – Streaming kills the physischen Tonträger – auch wenig anderes zu. Zum anderen macht es Spaß. „Ich finde es gut, wenn ich mal aufstehen und hundert Promo-Päckchen packen kann. Da kann ich dann körperlich was tun. Dann muss ich wieder einen längeren Text schreiben oder baue Regale neu. Das gehört alles dazu.“
Die Musik hält alles zusammen
Zusammengehalten wird das alles, auch die Regale vermutlich, von der Liebe zur Musik und zu denen, die die Musik machen. „Ich hab selbst früher in Bands gespielt, mit 14 hab ich angefangen Kassetten zu verkaufen.“ Dann ging es los bei Vielklang. „Irgendwann konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, was anderes zu machen.“
Der kleinste musikalische Nenner ist Gitarrenmusik, die in den Neunzigerjahren als Alternative rubriziert worden wäre. In den Gründungsjahren war die sehr agile Hardcore-Band Steakknife eine Hausband. Mother Tongue, ein in den Neunzigerjahren mit Fug und Recht gehypter Blues-Blues-Indierock-Hybrid, wechselten von Sony zu Noisolution, was Band und Label beide nicht als Abstieg verstehen.
Aber auch ein experimentelles Industrial-Rock-Projekt wie Foetus hat auf Noisolution zwei Platten veröffentlicht. Oder Great Machine, eine Garage-Band aus Israel, deren neues Album im September erscheinen wird.
Die aktuell mit erfolgreichsten Noisolution-Bands sind, obwohl beide gitarrenlastig, sehr unterschiedlich. Das Trio 24/7 Diva Heaven spielt Gitarrenmusik in der Riot-Grrrl-Tradition und reißt live routiniert alles ab. Rotor spielen instrumentalen Stoner Rock, und das mit großer Präzision und Wucht.
Auch Stoner Rock findet auf dem Label statt
Das Subgenre Stoner – schwere, groovende Gitarrenriffs, alles eher langsam bis mittelschnell und atmosphärisch eher hypnotisch und psychedelisch – hat zuletzt eh eine größere Bedeutung für Noisolution bekommen. „Die erste Stoner-Band bei uns waren Coogan's Bluff, die haben ihren Retro-Stoner-Sound mit Bläsern versehen. Das fand ich sehr auffällig und eigen. Durch die sind wir dann immer tiefer in die Stoner-Geschichte reingekommen. Das ist eine sehr loyale Szene.“
Loyalität und Eigensinn sind maßgeblich und wahrscheinlich auch Bedingung, um die zahlreichen Krisen durchzustehen. Corona war das eine und ging vorbei, auch wenn die Einschläge im Noisolution allemal spürbar waren.
Eine wirklich grundlegende, weil die komplette Branche verändernde Entwicklung hingegen ist der Durchmarsch der Streaming-Portale und der damit einhergehende Rückgang beim Verkauf physischer Tonträger, der kleine Labels ungleich härter trifft als die großen. „Das war in gewisser Weise der Anfang der Entwertung von Musik“, sagt Gesemann.
Heute würden die Streams kleinerer Bands, bei zurückgehenden Verkäufen von Alben, nur geklickt, wenn die Band gerade auf Tour ist, sonst nicht. „Inzwischen ist das in meinen Augen der Todesstoß der Branche.“
Bedroht Streaming das Geschäft?
Ist das Projekt „unabhängiges Label“ dadurch infrage gestellt? „Veränderung war immer – von der LP zur CD und jetzt zum Digitalen. Wir müssen die Möglichkeiten im Auge behalten.“ Das Geschäftsmodell hat Noisolution in den letzten Jahren angepasst: Promo-Arbeit für andere Labels und klassische Verlagsarbeit. Es gibt inzwischen mehrere Standbeine, die das Kerngeschäft mitfinanzieren.
Aber: „Ich bin zum ersten Mal ein wenig pessimistisch, entgegen meinem Naturell. Man weiß nicht, wo es hinläuft.“ Im Zweifelsfall einfach immer weiter, und vielleicht ist der sanft anachronistische Underground-Ethos, den alles abstrahlt, was mit Noisolution zu tun hat, am Ende dauerhafter und unkaputtbarer als die Versuche, sich mittels Trend-Hopping zu retten.
Einfach weitermachen mit dem, was man liebt und kann. Und bei jeder Gelegenheit feiern: Im November findet ein „30 Jahre Noisolution“-Abend in der Neuen Zukunft statt. Um die Musik zu feiern. Aber vielleicht auch, dass man immer noch da ist.
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