piwik no script img

Musikalischer Brückenschlag Vereint im Chaos der Jugend

Eine iranische und eine israelische Band gehen gemeinsam auf Deutschland-Tournee. Das ist alles andere als selbstverständlich.

Die Mitglieder der iranischen Band Langtunes und der israelischen Band Ramzailech (v.l.n.r.): Garen, Amit, Kamyar, Gal, Behrooz, Hod, Sam, Roy und Mikey in Nürnberg. Foto: Daniel Karmann/ dpa

NÜRNBERG/ LEIPZIG taz | Die ehemalige Leipziger Fabrikhalle bebt noch nach, als Amit seinen blutigen Daumen in die Höhe hält, die Zunge herausstreckt und ruft: „I had fun tonight!“ In seinen Augen schimmert noch die leichte Manie, die ihn während des Konzerts ergriffen hat. Schweißüberströmt umarmt der Gitarrist seine israelischen Bandkollegen. Nun kommen auch die Musiker der anderen Band nach vorn und gratulieren: “L’Chaim! Salam Ati! Prost!“ Die Band stammt aus dem Iran. Klirrend treffen sich ihre Bierflaschen.

Es war ein erfolgreicher Auftakt für die „Secret Handshake Tour“, ein musikalischer Handschlag zwischen der israelischen Gruppe Ramzailech und den iranischen Langtunes. Zwei Konzerte an einem Abend, zwei völlig unterschiedliche Musikstile aus zwei Ländern, die als Erzfeinde gelten. Hardcore-Klezmer trifft auf Indierock. Für beide Bands war es der Auftakt einer Tour, die für den Frieden stehen soll – zwischen den Völkern, zwischen Iranern und Israelis.

Nur eine Nachricht trübt die Stimmung. Ein Radiosender eines iranischen Oppositionellen hat verkündet, dass die Langtunes mit einer israelischen Band auf Tour sind. Damit haben die vier iranischen Musiker nicht gerechnet. „Klar haben wir Angst. Wir wissen ja nicht, was passieren wird“, Behrooz, der sonst so selbstbewusste Sänger und Gitarrist der Band, ist verunsichert. Fast ein Jahr mussten er und seine Kollegen Kamyar, Sam und Garen auf das Künstlervisum für Deutschland warten. Kurz nach Ende der zweiwöchigen Tour läuft es aus – was danach kommt, ist unklar.

Gemeinsam ein Zeichen setzen

Am Tag zuvor in Nürnberg scheint schwach die Novembersonne. Fototermin in der „Straße der Menschenrechte“. Behrooz, mit Röhrenjeans, T-Shirt und Hut ganz in Schwarz gekleidet, steht vor einer der weißen, mehrsprachig beschrifteten Textsäulen und zieht an einer Zigarette. Der Sänger der Langtunes, 29 Jahre alt, zupft mit der linken Hand an einer der herunterhängenden Locken. „Alle denken, ich wäre jüdisch wegen meinen Haaren“, er lächelt.

Plötzlich zücken die Fotografen ihre Kameras. Eine Gruppe junger Männer läuft auf Behrooz zu, sie umarmen sich, klatschen sich ab – die Musiker der israelischen Band Ramzailech sind endlich da. Die Auslöser klicken, auf diesen Moment haben die Fotografen gewartet.

„Ich hörte damals Heavy Metal. So etwas fällt in einem Land wie dem Iran sofort auf“

Behrooz von Langtunes

Vor ziemlich genau einem Jahr haben sich die beiden Bands in Nürnberg kennengelernt. Die Iraner waren für die Aufnahme ihres Debütalbums „Teherantor“ nach Deutschland gekommen. Labelchefin Elnaz Amiraslani arbeitete zu der Zeit gerade mit Ramzailech zusammen. Spontan wurde ein Doppel-Konzert mit beiden Bands organisiert. Es war das erste Mal, dass die Iraner auf Israelis trafen und die Israelis Iraner kennenlernten.

„Für Europäer ist das vielleicht nichts Besonderes, aber mit unserem Hintergrund ist das anders. Wir sind damit aufgewachsen, dass wir Israel hassen sollen“, erläutert Behrooz auf Englisch den anwesenden Journalisten. Er ist eloquent und weiß, was er sagen will. „Wir müssen keine großen Reden schwingen, wir machen einfach etwas“, sagt sein israelischer Kollege nur.

Musik machen und dabei ein Zeichen setzen, diese Vision verbindet die beiden Bands, auch wenn sie völlig unterschiedliche Stile praktizieren. „Was wir gemeinsam haben, ist das Chaos in unserer Musik. Das kann nur den chaotischen Köpfen der Jugend in unseren Ländern entspringen“, versucht Behrooz zu erklären.

Im Teheraner Untergrund

In dem kleinen Studio des Labels Parvenue Records in einer alten Lagerhalle im Westen der Stadt Nürnberg liegen Pedale und Kabel herum, alte Instrumente stapeln sich bis unter die Decke. Mittendrin proben die Langtunes ein letztes Mal vor Tourbeginn. Mit ihrer Mischung aus Rock, Indie-Pop, Electro und Dance, dazu englische Texte, erinnern sie zunächst an eine britische Indie-Band. Jahrelang mussten die vier Musiker deshalb buchstäblich im Underground auftreten. Im Iran ist es verboten, westliche Musik zu verbreiten und auf Konzerten zu spielen.

Durch seinen Cousin kam Behrooz zum ersten Mal mit westlicher Musik in Berührung. Auf langen Autofahrten durch Teheran hörte er Lieder von Kraftwerk, Pink Floyd oder Guns N’ Roses. „Ich habe manches Album bis zu 200 Mal gehört, weil ich nur wenige Kassetten besaß“, erinnert er sich. Mit seinen Gruftie-Klamotten und den langen Haaren war er seinen Mitschülern suspekt, manche beschimpften ihn als Satanisten. Behrooz streckt seinen Unterarm hervor, wo eine kleine kreuzförmige Narbe zum Vorschein kommt: „Ich hörte viel Heavy Metal damals. Ich war schon ein bisschen verrückt. So etwas fällt in einem Land wie dem Iran sofort auf.“

Langtunes ist ein Kind der Protestbewegung von 2009. Die Bandmitglieder verteilen Demo-CDs im Untergrund und spielen auf illegalen Konzerten. Oft entkommen sie nur knapp der Polizei. Über das Internet gelangen einige ihrer Songs ins Ausland. 2011 spielen die Langtunes zum ersten Mal in Deutschland. „Ich war das erste Mal in einem Berliner Klub“, schwärmt Behrooz, „erst da habe ich gemerkt, wie anders hier alles ist – die Menschen, die Musik, die Partys.“ Elektro-Variationen, mal laut und schrill, mal melancholisch, verfeinern seitdem den Klang ihrer Band. „Unsere Herkunft ist auch unser größtes Problem“, sagt Beehroz genervt, fast wütend. „Oft bekommen wir nur Aufmerksamkeit, weil wir aus dem Iran kommen. Wir wollen aber an unserer Musik gemessen werden.“

Anfangs traditioneller Klezmer

Am nächsten Morgen bekommen die neun Musiker die letzten Informationen von Managerin Elnaz Amiraslani. Als Tourbus dienen zwei VW-Busse. Eingemummelt in eine rote Daunenjacke sitzt Amit, zusammen mit seinen Bandkollegen, der Managerin und Garen von den Langtunes in einem der beiden Fahrzeuge. Dicke Regentropfen trommeln auf die Frontscheibe, als sich der Bus in Bewegung setzt. Gelegentlich kann man ein schwaches Schnarchen hören. Bandleader Amit, 28, aufgewachsen in Kfar Sabar, einem Vorort von Tel Aviv, ist das Unterwegssein gewohnt. Seit fünf Jahren lebt er in New York und pendelt für die Proben mit Ramzailech.

Gal, der vorne sitzt, trägt eine Kipa und schnürt sich gerade den Tefillin – einen jüdischen Gebetsriemen – um den Kopf. Er betet. Der Klarinettist und Sänger von Ramzailech kommt aus einer streng gläubigen Familie, seine Eltern brachten ihm Jiddisch bei. Er ist es auch, der der Band ihre unverkennbare Klezmer-Identität gibt.

„Wir sind Gegensätze, aber wir ergänzen uns“, erklärt Amit. Während ihrer gemeinsamen Zeit auf der Musikschule gründen sie Ramzailech, zunächst als traditionelle Klezmerband. Schnell kommen weitere musikalische Einflüsse dazu, Surf Rock, Metal – und Hardcore. Amit liebt es zu experimentieren und verschiedene Musikstile zu verbinden, er braucht das Laute, das Unerwartete. An seinem Daumen klemmt ein Gitarrenplektrum. Unruhig zuckt sein Finger hin und her, während er spricht.

„Eigentlich war es nur ein Witz, der irgendwann Ernst wurde“ erzählt Amit von den Anfängen der Band. „Niemand hat geglaubt, dass es funktionieren würde.“ 2012 tritt Ramzailech erstmals auf dem International Klezmer Festival in Fürth auf, seither touren sie durch die Welt.

Tsuzamen

Ankunft am Werk II in Leipzig. Der zweite Bus, in dem sich auch die Instrumente befinden, hat vier Stunden Verspätung. Das wird knapp werden. Behrooz öffnet die Tür zum Backstage Raum, schaut sich um und lächelt: „Es ist so lange her, ich habe es vermisst!“ Garen, der Bassist der Langtunes, zwirbelt sich seinen Schnurrbart zurecht, ein paar letzte „Good Luck“-Wünsche von Ramzailech. Einige Minuten später stehen die Langtunes auf der Bühne.

„Alles gut, Leipzig?“, begrüßt Behrooz das Publikum und entschuldigt sich für die Verspätung. Etwa hundert Menschen sind gekommen, alt und jung gemischt. Schwer zu sagen, für welche der beiden Gruppen sich mehr Leute interessieren. Es befinden sich sowohl Iraner wie Israelis im Publikum. Behrooz greift zu den Drumsticks und haut mit voller Wucht auf die Tom-Drum, die vor ihm steht. Seine wilden Locken fliegen durch die Luft. Kamyars Rock- ’n’-Roll-Riffs schütteln das Publikum, zwingen es zum Tanzen, um es dann wieder mit subtilen, weichen Elektro Variationen zu besänftigen. Mit klugen Kompositionen wie „Teherantor“, dem kratzigen lauten Klang der iranischen Hauptstadt, verstören sie die Ohren der Zuhörer und füllen sie mit Chaos.

Kurze Pause, die Iraner überlassen den Israelis die Bühne. Bald ertönen die ersten Schreie aus Gals Klarinette, und sofort peitscht Ramzailech das Publikum mit knalligen Ska- und Klezmer-Rhythmen zum Tanz. Die vier Mädchen in der ersten Reihe schütteln ihre Köpfe im Takt, schmeißen sich gegeneinander. Eine ältere Frau tanzt mit geschlossenen Augen und in die Höhe gestreckten Händen. Amit schreit, dirigiert die Menge, nutzt die ganze Breite der Bühne. Waghalsige Tempowechsel, metallische Gitarrenriffs im Rammstein-Stil und immer wieder die unwiderstehlichen Melodien aus Gals Klarinette. Chaos ohne Kontrollverlust. Amit und Gal rennen durch die schwitzende Menge, zwingen sie zum Singen, Sitzen, Springen. „Tsuzamen!“ ruft Gal auf jiddisch ins Mikrofon.

Neutraler Boden

Beim ersten Konzert ist noch eine gewisse Scheu im Umgang miteinander zu spüren. Die israelischen Musiker wirken entspannter, eingespielter als die iranischen Kollegen, die nicht zurück in den Iran wollen und nicht wissen, was sie dort erwartet.

Schon beim nächsten Konzert in Rostock improvisieren und jammen Ramzailech und Langtunes zusammen. Für beide Bands ist Deutschland neutraler Boden. „Deutschland hat uns ausgesucht, nicht wir Deutschland“ sagt Behrooz aus Teheran. Die israelischen Fans von Ramzailech unterstützen zwar die Tour, ihre Regierung ist jedoch gegen solche Projekte im eigenen Land.

Am Ende stehen alle auf der Bühne: Ramzailech, die Langtunes und die Zuschauer selbst. Und für diesen Moment ist auch die Nachricht des iranischen Oppositionssenders ganz fern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen