Museum in Amsterdam: In den Echokammern der Kolonialzeit
Das Tropenmuseum Amsterdam zeigt die Schau „Unser koloniales Erbe“. Sie reflektiert kritisch die Verflechtungen von Kolonialismus und Ethnologie.
Im ältesten Stadtpark Amsterdams, dem Oosterpark, steht eine Figurengruppe aus Bronze. Frauen und Männer halten sich an den Händen oder strecken die Arme einer besseren Zukunft entgegen. Sie stehen für die Gräuel, aber auch den Widerstand in der niederländischen Kolonialzeit.
Empfohlener externer Inhalt
Entworfen hat das Nationale Denkmal für Sklaverei Erwin de Vries. In seinem Herkunftsland Surinam schafften die Niederlande die Sklaverei 1863 zwar offiziell ab, die Kolonie gehörte aber bis 1975 zu den überseeischen Teilen der niederländischen Krone. Mit der Einweihung des Denkmals 2002 erkannten die Niederlande spät die Unrechtmäßigkeit ihrer Kolonialherrschaft an.
Und es ist sicher kein Zufall, dass am anderen Ende des Oosterparks seit knapp hundert Jahren in einem mächtigen Backsteinbau Objekte aus Surinam und anderen einstigen Kolonialgebieten der Niederlande liegen, aus der Karibik und Indonesien.
Heute heißt der 1926 als Ergänzung des Kolonialinstituts errichtete Museumsbau Tropenmuseum. Seine neue Dauerausstellung „Unser koloniales Erbe“ reagiert auf die im Land schwelende Debatte über die Anerkennung der Gräueltaten in der Karibik und in Indonesien.
Neue Dauerausstellung im Tropenmuseum Amsterdam, “Unser koloniales Erbe“, Linnaeusstraat 2, 1092 CK Amsterdam. Di – So 10 bis 17 Uhr.
Gemeinsame Vergangenheit
Der Direktor des Museums, Wayne Modest, tut dies mit einer Haltung, die für den von ähnlichen Debatten beherrschten Museumsdiskurs in Deutschland ungewöhnlich ist: mit einem kritischen und zugleich einem optimistischen Blick auf die Gegenwart. Die Ausstellung erklärt die ökologischen Folgen der kolonialen Ausbeutung natürlicher Ressourcen, sie feiert die Vielfalt der niederländischen Einwanderungsgesellschaft.
Schon der Titel „Unser koloniales Erbe“ setzt auf das „Wir“. Für den Direktor des Tropenmuseums Wayne Modest liegt in dieser Rhetorik ein Schlüssel für das Gespräch zwischen den vielen Beteiligten in einer Debatte über das koloniale Erbe in den Niederlanden. „Lange Zeit sprachen Leute über Kolonialismus als Geschichte jener, die kolonisiert wurden. Wir wollen sagen, das ist unsere Geschichte, obwohl wir unterschiedlich mit ihr verbunden sind. Es ist unsere gemeinsame Vergangenheit, mit der wir zu kämpfen haben“, sagt Modest. In das „Wir“ bezieht er die Institution des Museums ein.
Dieser Anspruch, gemeinschaftlich zu denken, hallt in der Inszenierung der 500 Objekte wider. In der für sieben Jahre eingerichteten Schau spielen die ethnologischen Objekte keine hervorgehobene Rolle mehr. Stattdessen gibt es viele zeitgenössische Kunstwerke.
Fotografien, Videos und Installationen schaffen eine Art flexiblen, dokumentarischen Hypertext, der Geschichte und Gegenwart assoziativ verschränkt. Zusammengehalten werden die Elemente durch eine Fülle von Korrespondenzen zwischen den Objekten, die sich wie ein unsichtbares Netz über die Ausstellung legt.
Weiterfragen, eine dritte Ebene finden
Ein Beispiel für das Finetuning der Inszenierung: Im Auftrag des Tropenmuseums schuf die südafrikanische Künstlerin Marlene Dumas ein für sie typisches Tableau einzelner aquarellierter Porträts. Ihre „Coloured Drawings“ stellen unterschiedliche Personen und mit ihnen die Nuancen verschiedener Hautfarben dar. Nur wenige Schritte weiter im Themenbereich „Rassismus“ liegt dann Gustav Fritschs „Haut-Farben-Tafel“ in einer Vitrine. Das Dokument ist Zeugnis der um 1900 zu Hochform aufgelaufenen Rassenkunde.
Für Wayne Modest schließt sich an dieser Gegenüberstellung von ethnografischen Artefakten und zeitgenössische Kunst noch eine andere Frage an: „Emanzipiert uns die Sprache des Multikulturellen, die Sprache der Diversität, von den Fragen der Rasse, von den Fragen der Vergangenheit, oder aber stellt sie ähnliche Kategorisierungen auf?“ Gelungenes Kuratieren ist für ihn, wenn zwei Objekte zu einer dritten Aussage führen können. „In diesem Sinne setzen wir Kunst in den Ausstellungen ein, um eine dritte Ebene einzufügen, um eine weitere Frage anzubieten.“
Noch deutlicher werden die Echokammern, wo es um die Folgen der kolonialen Produktion und den daraus resultierenden Konsum geht, also um den Anbau von Kaffee, Tabak, Palmöl und die Förderung von Erdöl und Seltenen Erden in den Kolonien. Kommentarlos ziehen die Bilder verödeter oder verwüsteter Landschaften in Curaçao, Surinam und Neuguinea in einem Video vorbei, Aufnahmen von den Folgen einer rücksichtslosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen bis heute.
Koloniale Landschaftsansichten aus dem 19. Jahrhundert entwarfen da noch ein ganz anderes Bild, vermitteln Ruhe und Stille, Schönheit und Ordnung. Neben ordentlich angelegten Plantagen könne man aber auch schon erste Eingriffe in die Natur erkennen, etwa Bahnlinien, für die Berge gesprengt wurden, sagt Wayne Modest.
Tor zur Hölle
Wie soll man mit solchen Bildern umgehen? Der indonesische Künstler Maryanto denkt diese Landschaftsansichten in einem monumentalen Untergangsszenario der Ertsberg Mine in Papua-Neuguinea weiter. Die größte Kupfer- und Goldmine der Welt, die infolge mangelnder Schutzmaßnamen geschlossen wurde, erscheint auf seiner Malerei in Schwarz-Weiß als Tor zur Hölle, als Trichter, der alles zu verschlingen droht.
In dieser Ausstellung kommen auch Kolonisierte vor, Personen des Widerstands, die selten so herausragend präsentiert werden. Eine um 1900 entstandene Malerei eines javanischen Künstlers erinnert an einen Vorfall aus dem Jahr 1686. Sie zeigt die „Ermordung Kapitän Tacks in Kartasura“ durch Untung Surapati. Der aus Batavia, also dem heutigen Jakarta, entlaufende Sklave hatte Karriere als Führer der Truppen einheimischer Fürsten gemacht und gilt als indonesischer Nationalheld.
Aber auch ein Schnappschuss von einer Statue in Paramaribo auf Surinam schafft Aufklärung. Das Foto erinnert an Janey Tetary, eine Indigene, die Mitte des 19. Jahrhunderts gegen die Misshandlungen von Vertragsarbeitern protestierte.
Ein wichtiger Strang dieser Ausstellung – und damit kehrt ein weniger belastendes Motiv in ihr Narrativ ein – ist die Darstellung der gegenseitigen kulturellen Aneignung zwischen den Kolonisten und den Kolonisierten. Der Batikstoff mit einem stilisierten Baum und reifen Muskatfrüchten der Indo-Europäerin Carolina Josephina von Franquemont ist ein Beispiel von der Nordküste Javas dafür, wie bei den Besatzern auch eine Faszination für das kolonisierte Land entstehen konnte. Franquemont betrieb für sie ein lukratives Geschäft mit ihren Batikstoffen.
Der Kolonialismus im Alltag der Gegenwart
„Wir glauben an die Wichtigkeit der Verortung. Die Ausstellung ist sowohl global als auch lokal organisiert. Das größte Statement lautet: Kolonialismus spielt eine große Rolle bei der Gestaltung unseres täglichen Lebens heute“, sagt Wayne Modest, der zugleich Leiter des Forschungszentrums für Material Culture am Nationalen Museum der Weltkulturen der Niederlande ist. Die Ausstellung finde in Amsterdam statt, und das müsse klar werden. Es ginge nicht um etwas, was nebenan stattfinde oder hinter uns liege.
Einen konkreten Beitrag zur Aufarbeitung der Sklaverei in den niederländischen Kolonien soll das „Digital Names Monument“ leisten. Die Datenbank enthält 200.000 Namen von aktenkundig Versklavten. Ausgerechnet Gerichtsakten förderten ausführliche Zeugnisse einzelner Schicksale zutage. Eine Frau mit Namen Nora van Makassar aus Batavia etwa versuchte 1674 mit Dirk van Makassar zu fliehen. Ihr Plan wurde jedoch entdeckt, die Liebenden wurden verurteilt, ausgepeitscht, gebrandmarkt und 25 Jahre lang zu Zwangsarbeit auf Mauritius verbannt.
Eine Peitsche und ein Brandeisen tauchen an anderer Stelle der Ausstellung auf. Das Tropenmuseum hat sich von der erdrückenden Fülle der oftmals in Unrechtskontexten erworbenen Objekte in den Depots emanzipiert, von denen man früher möglichst viel zeigen wollte. Die Objekte sind zwar noch da, aber als Dokumente innerhalb des Ausstellungsnarrativs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen