Multikulti-Stadt Osnabrück: Muslime in der Defensive
Osnabrück versteht sich als „Friedensstadt“, man ist dort stolz auf den Dialog zwischen den Kulturen. Doch der fällt beiden Seiten nicht immer leicht.
In letzter Zeit bekommt dieses Selbstbild allerdings Risse. So verprügelten vor zwei Wochen, am 7. Juli 2018 um 1.15 Uhr, Unbekannte einen 30-Jährigen, der mit seiner Freundin in der Nähe eines Springbrunnens im Osnabrücker Schlossgarten saß – ein Vorfall, der in nationalistischen Internetforen schnell Karriere machte: Aus Tätern, die „Deutsch mit Akzent“ sprachen, wurden Migranten, aus Migranten Muslime. Erst als das Opfer sich zu Wort meldete und sagte, das mit dem Migrationshintergrund der Täter könne zwar stimmen, aber auch die Passanten, die ihm zu Hilfe geeilt seien, hätten möglicherweise einen gehabt, war ziemlich schnell Ruhe.
Ein anderer Zwischenfall, der in Osnabrück zum Stadtgespräch wurde, ereignete sich an einem Samstagnachmittag im April dieses Jahres an der Tannenburgstraße, in der Nähe des Fußballstadions „Bremer Brücke“. Ein 44-jähriger Hooligan, wütend über die Niederlage des VfL Osnabrück gegen den FC Carl Zeiss Jena, riss an einer Bushaltestelle einem 11-jährigen türkischen Mädchen das Kopftuch herunter. Der Mann bestieg mit seinen Freunden den Bus und fuhr davon. Das Mädchen, dem bei dem Übergriff Haare ausgerissen wurden, lief weinend nach Hause.
Die Tat, deren Fremdenfeindlichkeit der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) als „Alltagsrassismus“ bezeichnete, war ein Schock für die Stadt, die so stolz ist auf ihre Willkommenskultur und auf ihre Weltoffenheit, auf ihre „Internationalen Wochen gegen Rassismus“, ihr „Fest der Kulturen“, ihr „Büro für Friedenskultur“, ihr „Morgenland-Festival“, ihre Flüchtlingsinitiative „Exil“ und das Institut für Islamische Theologie ihrer Universität. Auf ihr eingespieltes Gutmenschen-Netzwerk, in dem jeder jeden kennt, seit Jahren, oft seit Jahrzehnten, in dem die Dienstwege klein sind und die Effizienz groß.
Eine, die in diesem Netzwerk eine wichtige Rolle spielt, ist Sabina Ide, seit 2011 Dialogbeauftragte der Polizeidirektion Osnabrück. Ide kennt den Fall mit dem angegriffenen Mädchen gut. Und sie weiß, dass er sich wiederholen kann. Sicher, der Täter ist identifiziert. Die örtliche „Koordinierungs- und Beratungsstelle gegen Radikalisierung, Islam- und Demokratiefeindlichkeit“, zu deren Initiatoren Ide gehört, leistete Opferhilfe. Und auf einer Kundgebung, mitten in der Innenstadt, mit Infostand und Menschenkette, mitorganisiert vom städtischen „Runden Tisch der Religionen“, themenerweitert zu „Osnabrück gegen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus!“, trat Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) ans Rednerpult.
Aber je inflationärer Populisten Worte wie Radikalisierung und Islamismus in die Debatte werfen, desto stärker wird das Gefühl von Bedrohung bei der nicht-muslimischen Mehrheit. Und je mehr Angst, desto mehr Gewalt.
So war es für die Muslime in Osnabrück auch keine gute Nachricht, als Uwe Kolmey, Präsident des Landeskriminalamts Niedersachsen, die Stadt im November vergangenen Jahres als einen „Brennpunkt des Salafismus“ bezeichnete.
Zwar ruderten die offiziellen Stellen später zurück – Osnabrück, sagte etwa Hans Retter, Pressesprecher des LKA, stehe bei einer „gesamt-niedersächsischen Betrachtung nicht an erster Stelle“ und habe im Vergleich zu den anderen Salafisten-Hotspots des Landes wie Hildesheim oder Wolfsburg „eine quantitativ und qualitativ geringere Bedeutung“ –, doch bleibt so etwas wie ein Stempel zurück, der schwer loszuwerden ist.
„Personen aus dem islamistischen Spektrum haben ihre Aktivitäten an einem einzelnen Objekt in Osnabrück so zentriert, dass im konkreten Einzelfall von einem Brennpunkt gesprochen werden kann“, teilt die Polizeidirektion Osnabrück mit. Um welches Objekt es sich handelt, sagt sie nicht. Immerhin verrät Nadine Kluge-Gornig vom örtlichen Pressebüro der Polizeidirektion, die Zahl der „eingestuften Personen“ beziffere sich „im einstelligen Bereich“. Die Zahl der ausgereisten, mehrheitlich zurückgekehrten Islamisten ebenfalls.
Obwohl es sich bei den Salafisten also um einen überschaubaren Personenkreis handelt, tragen solche Meldungen dazu bei, dass die muslimische Community in die Defensive gerät. Die Zeiten sind nicht gut für Muslime, der Ton wird schrill, mitunter auch von muslimischer Seite. Wie die Multikulti-Vorzeigestadt Osnabrück und die in ihr lebenden Muslime damit umgehen, versuchen wir auf den folgenden Seiten zu zeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?