Münsteraner Band Messer: Im Namen der Marginalisierten
Im minimalistischen Post-Punk-Delirium: Die Band Messer orientiert sich mit ihrem neuen Album „Die Unsichtbaren“ an den Fehlfarben.
Man hört sie nicht, nimmt sie nicht wahr und bekommt sie nicht zu Gesicht. „Die Unsichtbaren“, von denen die Münsteraner Band Messer auf ihrem zweiten Album erzählt, sind mehr als nur unauffindbar. Oft sind sie einsam, zuweilen orientierungslos, manchmal auch verarmt. Gut geht es keinem von ihnen.
Das legt nicht nur ein brummender Bass nahe, die krächzende, mit ordentlich Hall unterlegte Stimme von Sänger Hendrik Otremba und die düster klimpernde Gitarre. All diese Elemente sind gleich zum Auftakt des Albums – das auch „Die Unsichtbaren“ heißt – zu hören.
Auch sprechen Messer gleich im Auftakt mit einigen Songzeilen im Namen der Marginalisierten: „Bitte sprich, oh, sprich mit mir / Auf der Flucht vor der Verachtung / Bitte sprich, oh, sprich mit mir / Und es gibt nichts anderes hier“, heißt es in „Angeschossen“, diesem knalligen Opener. Klingt nach harter Kost, die uns Messer damit aufs Brot schmieren. Ist es auch.
Messer: „Die Unsichtbaren“ (This Charming Man/Cargo)
Live: 6. 12., Köln, Stereo Wonderland, 7. 12., Karlsruhe, Stadtmitte
„Die Unsichtbaren“ ist ein düsteres, ein poetisches, ein wütendes Album geworden. Die westfälische Band vereint darauf die schneidenden Momente von Bands wie Joy Division, Wire und den Fehlfarben.
Durchaus lyrische Qualitäten
Messer? Ja, das waren die, um die es im vergangenen Jahr einen kleinen Hype gab, als das Quartett sein Debütalbum „Im Schwindel“ veröffentlichte. Bis zum nächsten großen Ding schien es von da nur noch ein kleiner Schritt zu sein. Schon beim Erstling der Band um Hendrik Otremba waren die Referenzen klar festgelegt: Postpunk-Delirium, New-Wave-Kühle, generell die düstere Seite der Achtziger – dazu deutsch gesungene Texte, die durchaus lyrische Qualitäten offenbaren. Die Musik von Messer verkommt trotz dieser eindeutigen Reminiszenzen nie zur bloßen Retromanie.
Auf Song Nummer 4 „Tollwut (Mit Schaum vor dem Mund)“ liefert die Band die Antwort, wie Popgeschichte in Popgegenwart repräsentiert wird, gleich selbst. Otremba singt da: „Während ich nach der Vergangenheit grabe / Passiert so viel damit / Während ich nach all den Fragen frage / Nimmt mich nichts mehr mit.“ Musikalisch könnte man nach dem ersten kursorischen Hören fürchten, im Vergleich zum Debütalbum findet zu wenig Weiterentwicklung statt. Aber: „Die Unsichtbaren“ braucht mehrere Durchläufe – und die Mühe lohnt sich.
Denn Messer sind nicht nur ein großes Stück düsterer geworden, was sich in den manchmal auch quälend mäandernden Gitarrenläufen zeigt. Sie haben ihren scharfkantigen Sound auch um einiges perfektioniert. Das fängt schon bei der Produktion von Tobias Levin an, jenem Hamburger Toningenieur, der bereits die halbe hiesige Indie-Welt (von Tocotronic, über Ja, Panik, bis Jens Friebe) mit seinem Knowhow am Mischpult nach vorne gebracht hat. Levin holt aus dem charmanten Minimalismus der Band einige Quäntchen raus. So kommt die Gitarre mit wenigen angeschlagenen Saiten aus, die Effektgeräte tun ihr Übriges.
Gitarrist Pascal Meyburg erzeugt auf diese Weise so viel Atmosphäre, wie es andere Bands mit drei Keyboards nicht schaffen. Die knarzenden Bassläufe Pogo McCartneys sind dann bewusst monoton und zuweilen nur in Halbtönen variierend – und trotzdem funktionieren sie nicht nur als Begleitung, sondern sie tragen die Musik.
Klaustrophobisch
Manchmal wünscht man dem Bass noch mehr Raum – was für die gesamte Rhythmussektion gilt. Über die Musik, die ein klaustrophobisches Gefühl transportiert, legt sich der dringliche Gesang Otrembas, der sich allmählich zu einem der besten Texter hierzulande entwickelt. Seine Zeilen klingen so, als ob Gottfried Benn im Punk gelandet wäre: „Wie eine Spinne / Von einer Lampe / Lässt sie sich herab / Schmeiß die Pennys / Gegen die Wand / Vom Dunst verschluckt verschwindet sie“.
Die Abwandlungen altbekannter Pop-Zitate sind zuweilen brillant gesetzt, wenn in „Tollwut“ etwa auf einen Song der Berliner Band Malaria! („Kaltes klares Wasser“) verwiesen wird. Bei Messer wird daraus „warmes trübes Wasser“ und man bekommt so ein exaktes Bild davon, in welcher fiesen Suppe Messer rühren. Von einer unappetitlichen Gegenwartssuppe, in der wir schwimmen, handelt das gesamte Album; Messer kontextualisieren die Ängste unserer Zeit – und erzählen die Storys jener, die im kollektiven Bewusstsein der Gegenwart nicht vorkommen oder nicht vorgesehen sind.
Der Titel ist dabei nicht – wie man vielleicht vermuten könnte – an Nanni Balestrinis Roman über die italienischen Revoluzzer von 77 angelehnt, sondern an Ralph Ellisons „Der unsichtbare Mann“, dem einzigen publizierten Roman des afroamerikanischen Autors. Ellison verarbeitete darin die Erfahrung von sozialer Unsichtbarkeit des schwarzen Amerika.
Messer verstehen ihr Werk als eine Widmung an die Scheiternden, Verkannten, Untergehenden. Ihnen ist eine sehr hörenswerte Widmung gelungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!