Müll-Bußgelder in Berlin: Sauber!
Wer Berlin vermüllt, soll mehr Bußgeld bezahlen. Aber hilft das wirklich, damit die Stadt nicht im Dreck versinkt? Ein kommentierter Bericht.
B ei der dringend notwendigen Erhöhung der Parkgebühren lässt sich der schwarz-rote Senat noch Zeit. Aber wer Zigarettenkippen wegschnippt oder seinen Hausrat auf dem Gehweg entsorgt, soll nun deutlich mehr zur Kasse gebeten werden. Eine entsprechende Erhöhung des „Bußgeldkatalogs für Ordnungswidrigkeiten im Bereich des Umweltschutzes“ hat Umweltsenatorin Ute Bonde (CDU) am Dienstag im Senat eingebracht. „Der Senat ist zuversichtlich, mit diesem Katalog einen großen Beitrag zur Sauberkeit der Stadt zu leisten“, sagte Senatssprecherin Christine Richter am Dienstag im Anschluss an die Senatssitzung.
(Kommentar: Fast möchte man einwenden, die CDU – die SPD ist mitgemeint – hat thematisch nichts zu bieten und nervtötet daher die Stadt mit ihrem Pochen auf die deutsche Sekundärtugend Sauberkeit. Nur: Die Konservativen haben auch mit diesem Thema die letzte Abgeordnetenhauswahl gewonnen, ganz offensichtlich, weil es verfängt. Bei einer Haustürbefragung der Linken in Neukölln landete die Müllproblematik in den Top 3, selbst unter Nicht-Spießern sind Klagen über die verdreckte Stadt inzwischen nicht mehr verpönt. Erkennen wir es an: Eine lebenswerte Stadt muss nicht so aussehen.)
Wer seine Zigarettenkippe achtlos auf den Boden fallen lässt, muss künftig 250 Euro bezahlen. Der bisherige Katalog aus dem Jahr 2019 sah dafür eine Strafe von 80 bis 120 Euro vor. Allerdings kann der Verursacher zunächst auch verwarnt werden, sagt die Sprecherin der Umweltsenatorin, Petra Nelken, der taz. Dann sind nur 55 Euro fällig.
(Sind wir hier in Singapur? Nein, im Ernst: Schon die bisherigen Verwarn- und Bußgelder hat vermutlich noch nie jemand zahlen müssen. Allein höhere Strafen festzulegen, nützt nichts, wenn es nicht auch kontrolliert wird. Doch zusätzliches Personal für die Ordnungsämter wird es nicht geben. Besser wäre eh, Aufklärung darüber zu schaffen: Kippen sind klein, ihr Schaden groß, besonders als Verschmutzungsquelle fürs Trinkwasser.)
Richtig teuer wird es bei der illegalen Entsorgung von Sperrmüll. Statt 150 Euro werden nun mindestens 1.000 Euro fällig, bei größeren Mengen sogar bis zu 10.000 Euro. Die Senatsverwaltung für Umwelt weist zudem darauf hin, dass auch „Zu verschenken“-Kisten (oder Haufen) eine „bußgeldbewährte Ordnungswidrigkeit“ darstellen. Wer tatsächlich etwas zu verschenken hat, soll sich stattdessen an das Gebrauchtwarenkaufhaus, die NochMall an der Auguste-Viktoria-Allee, wenden oder sein Zeug zu den Recyclinghöfen am Hegauer Weg, in der Gradestraße, in der Lengeder Straße und am Ostpreußendamm bringen.
(Der Senat zeigt, er hat keine Ahnung, wie diese Stadt funktioniert, in der sich viele mit den Überbleibseln ihrer Nachbarn eindecken: von Kleidung, über Bücher bis zum Toaster. Sachen, die sonst im Müll landen würden, weil man dafür erst recht nicht durch die Stadt fährt, werden so weiter genutzt: Mehr Ressourcenschonung geht nicht.)
Nun hat nicht jeder, der seine alte Matratze oder den Kleiderschrank loswerden will, ein Auto zur Verfügung. In solchen Fällen verweist die Umweltverwaltung auf die App Tiptapp, die bei der Vernetzung für Fahrten auf Recyclinghöfe helfen soll. Tatsächlich ist die Entsorgung von Sperrmüll bei der BSR – anders als in anderen Städten – in vielen Fällen kostenlos, sofern es sich um „haushaltsübliche Mengen“ handelt. Wer alte Reifen bei der BSR abgibt, muss allerdings 2,60 Euro pro Stück zahlen. Das ist dennoch deutlich günstiger als das künftige Bußgeld. Das beträgt 700 Euro pro Reifen.
(Wir sind am Pudels Kern der Berliner Vermüllung. Doch Sperrmüll lässt sich nicht beseitigen durch Strafen und Hinweise auf Apps. Und auch nicht durch die theoretische Möglichkeit, ihn von der BSR abholen zu lassen. Der Irrsinn der Anforderungen hierfür reicht vom zentimetergenauen Ausmesssen der Kubikmetergröße des Mülls bis zur Beantragung von Halteverbotsschildern für das Müllfahrzeug. Nur auf die naheliegende Lösung kommt niemand: feste Termine, an denen Sperrmüll abgeholt wird. Da hilft es auch nicht, dass die BSR diesen Service seit einiger Zeit an unregelmäßig wechselnden Orten anbietet.)
Auch das Wegverfen von Coffee-to-go-Bechern wird nun teurer. Der neue Bußgeldkatalog sieht eine Strafe von 250 Euro aufwärts vor. Bisher ging es bei 80 Euro los. Auch Kaugummis fallen in diese Preiskategorie. Für Umweltsenatorin Bonde ist der aktualisierte Bußgeldkatalog, der nach der Kenntnisnahme im Senat nun an den Rat der Bürgermeister weitergeleitet wird, „ein wichtiger Baustein, um in Berlin zu mehr Sauberkeit zu gelangen“. Neben Prävention und Müllvermeidung sei auch Repression nötig, um für mehr Sauberkeit zu sorgen.
Hintergrund der Erhöhungen dürften auch die Mehrkosten sein, die auf die Berliner Stadtreinigung zugekommen sind. Seitdem die BSR 2023 für die Entsorgung des gesamten illegalen Mülls in Berlin zuständig ist, sind die Kosten gestiegen. Sie betrugen 2023 fast zehn Millionen Euro.
Am stärksten betroffen von illegalem Müll sind seit Jahren die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Mitte, berichtete im vergangenen Jahr der RBB. Besonders viel falle dabei in Grünanlagen an. Schuld daran dürften auch die vielen Touristinnen und Touristen in diesen Bezirken sein.
(So manchem dient das Müllthema dazu, Stimmung mit kulturell-rassistischen und sozialchauvinistischen Zuschreibungen zu machen. Schließlich sind es doch die armen Migrantenviertel Nord-Neukölln, Wedding oder Teile Kreuzbergs, die besonders verschmutzt sind! Doch erklärt ist damit nichts. Stattdessen lohnen Fragen danach, wo besonders viele Menschen auf engem Raum leben (müssen), wo es an Geld oder Pkw mangelt, um die kaputte Waschmaschine zum nächsten Werkstoffhof zu bringen. Oder auch, wo die Stadtreinigung ihre Prioritäten setzt?)
Die Berlinbesucher und jene Berlinerinnen und Berliner, die sich ihren Kaffee nicht in Mehrwegbecher füllen lassen, will Bonde nicht zur Kasse beten. Anders als in Tübingen plant Berlin keine Verpackungssteuer, wie sie zum Beispiel die Grünen fordern.
(Und das hat System: Probleme werden individualisiert – und die Wirtschaft wird geschont. Dabei beginnt Sauberkeit bei der Müllvermeidung; eine Steuer für Händler, die Einwegverpackungen oder -geschirr verwenden, wäre ein wichtiger Anreiz, die Abfallproblematik von Anfang an mitzudenken. Nötig wäre zumindest eine Initiative, um die seit 2023 geltende Pflicht für Einzelhändler Mehrwegbehälter für Speisen und Getränke anzubieten, auch zu kontrollieren. Aber: Fehlanzeige!)
Grüne und auch Linke sind darüber hinaus skeptisch, ob die Erhöhung der Bußgelder die Stadt tatsächlich sauberer machen. Die Bezirke, deren Ordnungsämter zuständig sind, erwarten nur dann eine Wirkung, wenn der Kontrolldruck zunimmt. Das steht und fällt mit dem zur Verfügung stehenden Personal. Überführt werden können Müllsünder oft nur dann, wenn sie auf frischer Tat ertappt werden.
CDU und SPD argumentieren dagegen, höhere finanzielle Strafandrohungen dämpften zumindest den Drang, Straftaten zur persönlichen Bereicherung zu begehen. Und mit den Einnahmen könnten Maßnahmen zur Überwachung einschlägiger Müllablagestellen etwa mit Hilfe von Kameras finanziert werden.
(Wenn die Müllbekämpfung letztlich nur der autoritären Formierung eines Law-and-order- und Überwachungsstaates dient, dann soll es lieber schmutzig bleiben.)
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