Müde Gestalten in der „Berliner Runde“: Es waren mal Elefanten
Geisterhaft wie der Wahlkampf insgesamt: Vorbei sind die Zeiten, in denen es hoch herging in der „Berliner Runde“ nach der Wahl. Ein Gastbeitrag.
D as war absehbar, könnte man sagen. Dennoch ist es etwas anderes, wenn man einsehen muss, dass alles Hoffen und Bangen nichts genützt hat. Weder Olaf Scholz war ein Wahlwunder vergönnt, noch konnte Friedrich Merz sein ausgerufenes Ziel von über dreißig Prozent erreichen.
Als um 20.15 Uhr die Berliner Runde auflief, zu der Zeit, in der im Ersten normalerweise ein „Tatort“ und im ZDF ein Liebesfilm läuft, konnte man auch den politischen Akteuren, die für dieses Wahlergebnis verantwortlich waren, ihre Überforderung ansehen.
Früher saßen an gleicher Stelle in der Regel nur wenige – die Elefanten. Diejenigen also, die in den darauffolgenden Jahren die politischen Geschicke des Landes lenken würden. Es ging hoch her in diesen Runden und manche von ihnen sind uns bis heute lebhaft in Erinnerung.
Empfohlener externer Inhalt
Legendär ist beispielsweise der selbstbesoffene Auftritt Gerhard Schröders 2005, der den Wahlsieg von Angela Merkel nicht akzeptieren wollte, oder auch die 2002er-Runde, in der Edmund Stoibers Vorsprung im Laufe der Sendung plötzlich dahinschmolz.
Acht müde Gestalten
Am Wahlabend des 23. Februar jedoch saßen da acht müde Gestalten, die es kaum schafften, einander wie sonst üblich ins Wort zu fallen.
Das mag zum einen daran liegen, dass trotz der Diversifizierung der Parteienlandschaft die Koalitionsmöglichkeiten zusammengeschrumpft sind. Nun noch einmal die wichtigen Punkte wiederholen? Ein paar Pflöcke einrammen für die anstehenden Koalitionsverhandlungen? Sinnlos, denn nach dem Wahlabend stand bereits fest, dass Koalitionsoptionen nicht von Verhandlungen, sondern vom Abschneiden der kleinen Parteien abhängen.
Das mag aber auch daran liegen, dass bei der Hälfte der Politiker*innen in der Berliner Runde noch nicht klar war, ob sie zukünftig überhaupt noch eine Rolle spielen würden. Der abgelöste Kanzler wird nicht in ein Kabinett Merz eintreten. Und inzwischen wissen wir, dass auch Christian Lindner (FDP) und Amira Mohamed Ali (BSW) ihre politische Arbeit im Bundestag nicht werden fortsetzen können. Robert Habeck (Grüne) kündigte am Montag ebenso seinen Rückzug aus der Parteispitze an.
Aber auch der Wahlsieger Friedrich Merz wirkte eher abgekämpft als euphorisiert. Markus Söder hatte es nicht einmal geschafft, sich zu rasieren. Sein Zwei-Tage-Bart und der Rollkragenpulli unter dem Sakko waren sicher ein Statement. Vielleicht wollte er deutlich machen, dass für ihn noch Wochenende ist und er sich für Berlin ganz sicher nicht herausputzt.
Keine neuen Gesichter
Die Runde hatte etwas Geisterhaftes. Ganz so, als wären ihre Protagonisten aus der Vergangenheit plötzlich und unerwartet in die Zukunft gefallen. Ein Phänomen, das auch den Wahlkampf geprägt hatte. So krachend wie die Ampel ist noch keine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik gescheitert. Trotzdem präsentierten weder die SPD noch die Grünen oder die FDP neue Gesichter mit neuen Ideen – bitte wählt uns noch mal, dann machen wir es bestimmt besser!
Und auch der Wahlsieger Friedrich Merz wirkt wie ein Wiederkehrer aus einer Zeit, die inzwischen so lange her ist, dass sie bereits ihr modisches Revival erlebt hat. Auf das, was diese neue Zeit, dieses neue Land prägen wird, hat er keine Antwort. Das sitzt nämlich zwei Plätze weiter und fantasiert genüsslich den Untergang herbei.
Kürzlich wurde im Bundestag noch über ein mögliches AfD-Verbotsverfahren debattiert, nun ist es Alice Weidel gelungen, jede*n fünfte Wähler*in für sich an die Urne zu bringen. In Ostdeutschland ist die AfD mit Abstand die stärkste Kraft und gewinnt nahezu alle Direktmandate. Und natürlich hat Alice Weidel Friedrich Merz schon um kurz nach 18 Uhr ein Angebot gemacht.
Empfohlener externer Inhalt
Dass es sich um ein vergiftetes handelt, das ist klar. Und deshalb prophezeit Weidel Friedrich Merz ein schnelles Ende seiner Kanzlerschaft und unterstellt ihm Wahlbetrug, noch bevor er tatsächlich sein Amt antreten kann.
Merz’ Reaktion darauf offenbart bereits seine ganze Hilflosigkeit. Er grinst breit. Lächerlich, möchte er sagen, das ist doch alles lächerlich. Doch er selbst war es, der im Wahlkampf dafür gesorgt hat, dass man seine Beteuerungen, man habe mit der AfD inhaltlich keine Gemeinsamkeiten, nicht ruhigen Herzens glauben kann.
Griff in die rechtspopulistische Trickkiste
Nicht nur die gemeinsame Abstimmung mit den Rechtsextremen im Bundestag, sondern auch seine Rede zum Wahlkampfabschluss in München am Tag zuvor zeigen, dass er durchaus bereit ist, tief in die rechtspopulistische Trickkiste zu greifen.
Er würde nun wieder Politik für die Leute machen, die „noch alle Tassen im Schrank haben“. Die Zivilgesellschaft, die von demokratischen Parteien in der Regel zu Engagement gemahnt wird, wenn rechtsextreme Wahlergebnisse, Machtfantasien und Straftaten überhandnehmen, kanzelt er als „linke und grüne Spinner“ ab. Seinen politischen Gegnern Geisteskrankheit zu unterstellen, das schafft sonst wirklich nur die AfD. Und es ist ein gefährliches Bild. Wer kann es denn ernsthaft verantworten, mit den Vertretern derjenigen zu koalieren, die man für verrückt hält?
Später am Abend wird in den Auswertungsrunden bei Caren Miosga und Maybrit Illner deutlich, dass die veränderte politische Landschaft in Deutschland mit der sich andeutenden neuen Weltordnung kollidiert. Denn die brennendste internationale Frage ist nicht die Frage der Migration, die den Wahlkampf in Deutschland so maßgeblich geprägt hat. Es ist der Fortbestand der Nato und die Sicherheitsordnung in Europa.
Um die wachsenden Verteidigungsausgaben für Deutschland zu stemmen, kommt Friedrich Merz nicht um ein Lösen der Schuldenbremse herum. Doch dafür fehlt ihm nun die nötige Zweidrittelmehrheit. Die erstarkte Linke und die AfD werden das (aus sehr unterschiedlichen Gründen) nicht mittragen. Aus parteipolitischen Gründen hatte Friedrich Merz es verpasst, dieses Problem gemeinsam mit Olaf Scholz zu lösen, als es noch möglich war.
Die Bundesrepublik ist seit Sonntagabend ein anderes Land. Es ist eines, in dem eine Regierungsmehrheit an ihre gestalterischen Grenzen stößt, noch bevor sie ihre Arbeit begonnen hat.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!