Mozzarella aus Kampanien: Schneeweißchen und Büffeltod
Der Büffelmozzarella aus der Nähe Neapels ist bekannt und überaus beliebt. Doch bei näherer Betrachtung kann er einem im Halse stecken bleiben.
Eine Autostunde hinter Salerno liegt die kleine Stadt Paestum. Sie ist berühmt für ihre archäologischen Ausgrabungen, die jedes Jahr Hunderttausende Tourist*innen anziehen, natürlich war auch Goethe schon mal da: während seiner ersten italienischen Reise 1787, gerade 35 Jahre nachdem die Tempelanlage wiederentdeckt wurde. Doch sie ist nicht die einzige Attraktion hier. Neben den breiten Schnellstraßen rund um die Stadt stehen große Plakatwände wie an amerikanischen Highways. Auf ihnen wird der beste mozzarella di bufala der Region gepriesen.
Die Gegend rund um Paestum ist berühmt für Büffelmozzarella – diesen runden, weichen Käse, der in der Mitte zart zu zerfließen beginnt, wenn er von guter Qualität ist und der durch den rund doppelt so hohen Fettgehalt von Büffelmilch besonders reichhaltig schmeckt. Es gibt ihn hier fast an jeder Ecke zu kaufen.
Und weil neben der Landwirtschaft der Fremdenverkehr die zweite große Einkommensquelle der Region ist, wird auch der Käse touristisch vermarktet. Wer möchte, kann sich einer organisierten Gruppenführung auf einer Mozzarellafarm anschließen und lernen, wie der Käse hergestellt wird. Wer alleine und ungeführt bleiben möchte, wird in Paestum ebenfalls fündig: Die Käserei Barlotti liegt unweit der Ausgrabungen und kündigt sich durch große Hinweisschilder und für italienische Verhältnisse ungewöhnlich viel Parkplätze an.
Spielende Kinder, hungrige Erwachsene
Auf dem Gelände laufen Kinder zu den Stallungen der Büffel, um sie zu streicheln. Vor den Produktionsräumen – schon von Weitem riecht man die säuerliche Milch – stehen Kartons voller Mozzarella und warten auf die Abholung. Betreten darf man die Räume als Besucher nicht, höchstens mal einen heimlichen Blick durch das Fenster werfen. Drinnen dampft es wie in einer Waschküche, die Arbeiterinnen (es sind nur Frauen) tragen Haarnetze, weiße Kittel und formen in einem Wasserbecken fermentierte Büffelmilch zu Kugeln. Sie werden anschließend in Tüten mit Salzwasser gelegt und schließlich verstaut.
Gegenüber der Käserei befindet sich die degusteria. Etwas, das früher wohl mal ein normaler Hofladen war, hat sich zur Touristenattraktion gemausert, durch die bodentiefen Fenster kann der Blick weit über die Landschaft des Cilento gleiten. Während die Kinder draußen spielen, essen ihre Eltern zu Mittag. Auf der Karte steht so ziemlich jedes denkbare Produkt aus Büffelmilch: Büffelmilchricotta, Kuchen mit Büffelmilch, geräucherter Büffelmilchkäse, Joghurt aus Büffelmilch und natürlich Büffelmozzarella. Den kann man hier in der degusteria bestellen wie Fleisch im Steakhaus: pur, nach Gewicht, ab 250 Gramm aufwärts. Dazu gibt es Beilagen nach Wahl.
Am beliebtesten ist die 300-Gramm-Version. Schlicht auf einem Teller wird der makellos weiße Käse serviert, er hat in etwa die Größe einer geballten Faust und glänzt im Licht. Viele wählen dazu Tomaten und Basilikum – der insalata di caprese in den Farben der italienischen Fahne wurde nur ein paar Dutzend Seemeilen weiter westlich auf der Insel Capri erfunden.
Im Einflussbereich der Mafia
Doch auch wenn er noch so lecker ist: Der mozzarella di bufala ist nicht so unschuldig, wie es seine Farbe vermuten lässt. Denn je weiter im Süden Italiens, desto größer auch der Einfluss der Mafia. Weil das Geschäft mit Büffelmozzarella so lukrativ ist, hat in Kampanien die Camorra ihre Finger im Spiel – und das hat mitunter schlimme Folgen.
Im Jahr 2007 wurden mehrere Tausend Büffel entdeckt, die mit Brucellosebakterien infiziert waren. Die Krankheit kann über die Milch der Tiere auch an Menschen weitergegeben werden, deswegen wollten die Behörden mit Massenschlachtungen schnell gegen die Ausbreitung vorgehen. Die Camorra schmierte Tierärzte und fälschte Berichte, um das Schlachten ihrer Büffel zu verhindern. Die Folge war eine weitere Ausbreitung des Virus und schließlich die Notschlachtung von 40.000 Tieren.
Nicht einmal ein Jahr später kam es zu einem weiteren Skandal, der wieder zur Camorra führte. Bei Kontrollen des Gesundheitsamts wurden der Dioxingrenzwert in einigen Käsereien rund um Neapel überschritten. Offenbar stammte das Gift aus illegalen Müllkippen, auf denen Mafiosi Giftmüll entsorgt hatten und auf denen die Büffel geweidet hatten.
Zwar sind die Mozzarella-Krisenjahre vorbei, doch die Produktion des Büffelmozzarellas bleibt vielerorts ein schwieriges Geschäft – und das hängt mit den männlichen Büffelkälbern zusammen. Denn Büffelbullen erzeugen keine Milch und auch für ihr Fleisch interessiert sich der Markt nicht. Im besten Fall wird es zu Hundefutter verarbeitet.
400.000 Büffel werden in Italien gehalten
50.000 Tonnen Büffelmozzarella wurden 2019 in Italien produziert – so viel wie niemals zuvor. Rund 400.000 Büffel werden dafür in Italien gehalten, doch für die Hälfte ihres Nachwuchses stellt sich die Frage, was mit ihnen anzustellen ist. Die Bauern bekommen zwar eine Prämie vom Staat, wenn sie die männlichen Kälber erst zwei Wochen nach der Geburt schlachten, aber das Futter für die Zeit kostet in der Regel mehr. Deshalb tötet man die Kälber früher oder lässt sie im Stall verhungern – eine Situation, die an die Debatte über die Tötung von männlichen Hühnerküken hierzulande erinnert.
Doch wer sich informiert, findet auch alternative Anbieter*innen, die ihre männlichen Jungtiere leben lassen. Ob Barlotti dazu gehört, ist unklar. Die Käserei schreibt auf ihrer Webseite, sie behandele die Büffel als Teil ihrer Familie. Doch ob das auch für männliche Kälber gilt? Dazu hat sich Barlotti auf mehrmalige Anfrage nicht geäußert.
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Die Tourist*innen vor Ort machen sich diese Gedanken wohl kaum. Nach einer Kugel Büffelmilcheis schlendern sie gemeinsam zu den Stallungen, in denen die Büffel Heu futtern, sich in den Schlamm legen und unermüdlich wiederkäuen. Der Mozzarella zieht auch so viele Menschen an, weil er für viele der Inbegriff Italiens ist: ein einfaches Produkt, das allein durch seine Qualität besticht.
Im Urlaubsmodus fällt es schwer, sich daran zu erinnern, dass die Verantwortung für Tierwohl und Nachhaltigkeit immer auch bei den Konsument*innen liegt. Vielleicht würden die Käsereien anders reagieren, wenn ihre Gäste nach original italienischen Büffelgerichten fragten. Davon könnte sich das eine oder andere ja möglicherweise in der Schublade der italienischen Großeltern finden. Für diese Generation war es selbstverständlich, das ganze Tier zu verwerten – nicht nur die Milch.
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