Mozilla-Chefin über Googles Marktmacht: „Chromes Erfolg hat uns überrannt“
Mitchell Baker, Mitgründerin und Chefin von Mozilla, über den Konkurrenten Google, mündige NutzerInnen und die nächsten großen Veränderungen im Netz.
taz: Frau Baker, große Tech-Firmen wie Facebook und Amazon haben im vergangenen Jahr mit zahlreichen Skandalen Schlagzeilen gemacht. Haben Sie den Eindruck, die Menschen verlieren allmählich das Vertrauen in die Internet-Giganten?
Mitchell Baker: Ja, ich denke, da verändert sich gerade etwas. Wenn wir mal zurückdenken, an die Ära des Arabischen Frühlings. Damals herrschte die Wahrnehmung: Was gut für die großen IT-Konzerne ist, das ist gut für die Welt, weil sie zum Beispiel zu mehr Gleichheit beitragen und die Demokratie stärken. Diese Wahrnehmung gehört mittlerweile der Vergangenheit an, und das ist ein Anfang.
Wie muss es nach dem Anfang weitergehen?
Die Produkte müssten sich ändern. Wir brauchen Produkte, die die Nutzer selbst in den Mittelpunkt stellen und nicht das Interesse der Konzerne, möglichst viele Daten zu sammeln. Das betrifft praktisch alles: von Apps über die Betriebssysteme von Smartphones bis hin zum Smart-Home-System, das die Heizung steuert. Nehmen wir die Autoindustrie. In den ersten Autos gab es weder Sicherheitsgurte noch Airbag – das Fahren war ziemlich gefährlich. Heute hat sich das geändert, Autos sind viel sicherer geworden.
Zumindest für die Insassen.
Jahrgang 1957, ist Vorstandsvorsitzende. 2005 wurde sie vom Time Magazine zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt gewählt.
Ja, aber im Internet sind wir alle Insassen. Und die Produkte müssen so sein, dass auch der Internet-Anfänger sie sicher nutzen kann, ohne dabei seine persönlichen Daten an einen großen Konzern zu geben und komplett überwacht zu werden.
Mozilla nimmt für sich in Anspruch, solche Produkte anzubieten – aber in den vergangenen Jahren sind die Nutzer abgewandert. Viel weniger Menschen verwenden heute den Browser Firefox als vor zehn Jahren.
Ja, der Erfolg von Googles Chrome hat uns völlig überrannt. Wir mussten erst einmal daran arbeiten, Firefox überhaupt wieder konkurrenzfähig zu machen. Und, um es ganz klar zu sagen: Niemand wird siegen, wenn der Wettbewerber Google heißt. Wären wir keine Non-Profit-Organisation, dann hätten wir längst aufgegeben. Jeder Unternehmensberater würde uns sagen, kommt Leute, macht einfach etwas anderes.
Aber?
Wir haben ja als Non-Profit-Organisation so etwas wie eine Mission. Das hilft enorm, um den Stein immer wieder den Berg hinaufzurollen. Und mittlerweile merken wir auch wieder, dass sich etwas tut auf dem Markt. Zum Beispiel haben wir ein Browser-Add-on im Programm, das quasi einen Zaun um Facebook zieht: Wenn Nutzer das Add-on aktivieren, kann Facebook nicht sehen, was sie auf anderen Webseiten machen. Dieses Add-on wurde so schnell und häufig runtergeladen wie kein anderes.
Auch wenn es das Überwachungsproblem nicht löst, sondern nur eindämmt?
Natürlich, die Lösung ist es nicht, aber vielleicht ein Teil davon. Denn Facebook selbst können wir nicht ändern. Aber man darf nicht vergessen: Produkte können auch dazu beitragen, Bewusstsein zu schaffen. Als wir damals Firefox erschaffen haben, haben alle gesagt: Nutzer werden nie einen anderen Browser nutzen als Microsofts Internet Explorer. Die meisten wüssten doch gar nicht mal, was ein Browser ist. Aber es hat sich gezeigt: Nutzer sind schlauer als meistens angenommen. Sie sind durchaus in der Lage, eine Wahl zu treffen, sofern sie eine Wahl haben – und die Alternativen gut und bequem genug sind. Jetzt klinge ich, als käme ich aus Kalifornien, was ja auch der Fall ist, aber: Ich glaube an die Macht des Marktes.
Bislang hat der Markt es aber nicht gelöst, eher im Gegenteil: Die Monopolisierung im Netz nimmt zu. Und ein anderes Projekt, bei dem Mozilla mit Google konkurriert hat, haben Sie aufgegeben: ein Betriebssystem für Smartphones.
Solange sich nicht etwas in diesem System ganz dramatisch ändert, so lange gibt es auf dem Markt keine Luft neben Googles Android und Apples iOS. Microsoft hat ja mittlerweile auch aufgegeben – ich sehe gerade nicht, dass wir es schaffen sollten, eine dritte Alternative aufzubauen.
Aber die Software, die in Dingen steckt, wird immer wichtiger – perspektivisch werden wir nicht nur smarte Telefone und Uhren, sondern auch Autos und Zahnbürsten nutzen.
Absolut. Es ist unglaublich wichtig, diese Marktmacht aufzubrechen. Daher ist die Frage: Was ist so mächtig, dass es für eine solche Veränderung sorgen könnte? Und passiert das noch zu unseren Lebzeiten? Die letzte große Veränderung entstand durch die Erfindung von Internet und World Wide Web.
Viele sagen, dass die nächste Veränderung durch Künstliche Intelligenz angestoßen wird.
Das kann gut sein. Aber da haben wir derzeit das gleiche Problem, das wir auch aktuell schon haben: Die ganzen Daten liegen bei wenigen großen Plattformen. Die Frage ist also: Wie können wir das ändern?
Und?
Momentan bleibt uns nicht viel anderes übrig, als auf den Dreiklang zu setzen. Erstens: technische Alternativen anbieten, damit die Nutzer zumindest die Wahl haben. Das machen wir, und deshalb kämpfen wir ja mit Google – und nicht, weil uns das so viel Spaß macht. Zweitens: Die Nutzer sensibilisieren dafür, dass Bequemlichkeit vielleicht nicht alles ist. Und als Drittes brauchen wir – obwohl ich an die Macht des Marktes glaube – komplementär natürlich politische Regulierung.
Bislang rennt die Politik mit ihren Regulierungsversuchen immer der technischen Entwicklung hinterher. Wie kann sich das ändern?
Ich bin mir gar nicht sicher, ob es sich überhaupt ändern lässt. Man müsste ja in der Lage sein, Veränderungen zu sehen und vor allem zu verstehen, bevor sie passieren. Das ist unglaublich schwierig. Die Möglichkeit, die ich sehe, ist: Man muss sich fragen, wie eine gute, solide Gesellschaft aussehen kann, und sich dann überlegen, welche Veränderungen eine Technologie auslösen könnten und wie man das steuern möchte.
Im Bereich Künstliche Intelligenz ist doch genau jetzt der Zeitpunkt, das zu tun. Zum Beispiel bei selbstfahrenden Autos. Was sind denn hier die entscheidenden Punkte?
Zentral ist hier natürlich das Blackbox-Problem.
Sprich, dass selbstlernende Algorithmen etwas tun, das nicht einmal ihre Programmierer verstehen?
Genau. Das ist das erste Blackbox-Problem, aber es gibt noch ein zweites: dass die Programmierer etwas in ihre Algorithmen hineinschreiben, das sie der Öffentlichkeit nicht verraten.
Zum Beispiel also, dass selbstfahrende Autos im Fall eines Unfalls die Insassen besser schützen als die Passanten.
Zum Beispiel. Und zumindest dieses zweite Blackbox-Problem lässt sich vermeiden. Nämlich dadurch, dass es eine Pflicht gibt, Algorithmen offenzulegen. Und zwar nicht nur gegenüber einer Behörde.
Und das erste Problem?
Wir müssen als Gesellschaft entscheiden: Ist die Blackbox etwas, das wir akzeptieren können? Und welchen Preis verlangen wir dafür? Sagen wir mal beispielhaft, selbstfahrende Autos reduzieren die Unfallrate um 50 Prozent im Vergleich zu menschlichen Fahrern. Ist das okay? Reicht uns das, um die Blackbox in Kauf zu nehmen? Das ist eine Frage, die kein Konzern entscheiden sollte, sondern die Gesellschaft für sich. Und die Antworten können ganz anders aussehen, je nachdem, um was es geht: selbstfahrende Autos, die Auswahl von Bewerbern, Entscheidungen über eine Kreditvergabe oder juristische Urteile. Und natürlich kann die Politik auch festlegen, ob ein Konzern all die Daten bekommt. Ob er überhaupt Daten bekommt. Das sind die nächsten Schritte, die wir gehen müssen.
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