Moskaus enger Partner in Afrika: Neurussland in den Tropen
Die Zentralafrikanische Republik ist Russlands wichtigster Partner in Afrika. Der russische Einfluss geht weit über die Söldnertruppe Wagner hinaus.
Wer die beiden jungen Afrikaner waren und ob sie wirklich im Donbass getötet wurden, lässt sich nicht unabhängig bestätigen. Doch es mehren sich die Anzeichen, dass die russische Söldnerfirma Wagner afrikanische Kämpfer rekrutiert hat, um in der Ukraine für Russland zu kämpfen. Auf den Uniformen der beiden mutmaßlich gefallenen Kämpfer prangt an der Schulter das schwarze Wagner-Abzeichen mit dem Totenkopf. Beide tragen schwere Uhren – ein mögliches Anzeichen, dass sie als Kämpfer gut bezahlt wurden.
Joseph Siegle, Washington
Die einst von Veteranen des russischen Ukrainekrieges 2014 gegründete und später in Syrien und Libyen eingesetzte „Wagner Group“ hat sich nirgends so festgesetzt wie in der Zentralafrikanischen Republik. Das bitterarme Land zerfiel in den Bürgerkriegen von 2013 und 2014, als erst die muslimische Rebellenallianz Seleka aus dem Norden die südlich gelegene Hauptstadt Bangui stürmte und dann antimuslimische Milizen sie wieder vertrieben. Die Armee zerfiel, Milizen und Bürgerwehren machten sich breit, der Staat war kaum existent: ein perfektes Umfeld für Wagner.
Präsident Faustin Touadéra, der 2016 durch Wahlen an die Macht kam, schloss einen geheimen Vertrag mit Moskau: Russische Ausbilder sollten die Regierungsarmee trainieren, so hieß es offiziell. Doch als die ersten russischen Ausbilder 2018 landeten, erklärte der damalige Innen- und Sicherheitsminister Sergej Bokassa, Sohn des ehemaligen Diktators Jean-Bédel Bokassa, der taz, es seien weit mehr Russen gekommen als die vereinbarten 300. „Wer dort einreist und was diese Leute mit sich führen – darüber hat unsere Regierung keine Kontrolle, ich durfte nicht einmal deren Pässe kontrollieren“, beschwerte er sich.
Wagner soll in Kämpfe verwickelt sein
Zweifel hatte Bokassa auch an der offiziellen Mission dieser „Ausbilder“. Zeugen, darunter Soldaten der Armee, berichteten der UN-Expertengruppe, die das geltende Waffenembargo gegen die Zentralafrikanische Republik überwacht, dass die Russen in direkte Kampfhandlungen verwickelt seien. Auf bis zu 2.100 schätzen die UN-Experten ihre Zahl mittlerweile.
Erst am vergangenen Freitag gerieten Rebellenoffiziere im Norden des Landes, in der Nähe zur Grenze zum Tschad, in einen Hinterhalt – von Wagner-Söldnern gelegt. Die Russen, so die zentralafrikanische Onlinezeitung Corbeau News, hätten drei Motorradtaxifahrer mit Waffen bedroht, um ihnen Informationen zu entlocken. Als sie sich weigerten, sei einer erschossen worden. Letztlich zeigten die anderen beiden den Russen die Rebellenstellung. Die wurde am nächsten Morgen mit Artilleriefeuer bombardiert.
Dass russische Militärtrainer in Kämpfe verwickelt seien, streitet Russland ab. Als die UN-Ermittler im vergangenen Jahr solche Vorfälle untersuchten, erklärte der russische Ausbildungskoordinator in Bangui, sie seien lediglich „zum eigenen Schutz bewaffnet“. Außerdem seien alle Ausbilder „vom Verteidigungsministerium der Russischen Föderation rekrutiert“. Sie seien „nicht angeheuert von einem Privatunternehmen“, also Wagner.
„Wagner ist wie der Muskel eines umfassenden Pakets“, so Joseph Siegle, Direktor des Afrika-Zentrums für Strategische Studien in Washington, der seit Jahren zu Wagner forscht. Das Schema sei immer das selbe, so Siegle: „Russland sucht sich einen schwachen Präsidenten und bietet ihm Unterstützung an.“ In Syrien, in Sudan, neuerdings in Mali – und eben in der Zentralafrikanischen Republik. Dort stellt Wagner die Leibgarde des Präsidenten Touadéra. „Ihr Auftrag ist es wohl, ihn als Proxy für Russland an der Macht zu halten“, so Siegle: „Das schließt das aggressive Vorgehen gegen Oppositionelle mit ein.“
Russisch ist an Schulen erste Fremdsprache
Dafür bekomme Russland Zugang zu strategischen Ressourcen. Mit Touadéra hat Moskau eine umfassende Partnerschaft vereinbart: Russische Firmen sollen die vom Krieg zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen, mit Krediten von russischen Banken. „Wir haben Straßenbauprojekte im Wert von sechs Milliarden Dollar, Eisenbahnprojekte von drei Milliarden Dollar sowie Städtebauprojekte von zwei Milliarden Dollar ausgeschrieben“, so Pascal Bida Koyagbélé, Zentralafrikas Minister für strategische Investitionen, in einem Interview mit dem russischen Radiosender Sputnik. Der staatliche russische Sender sendet mittlerweile in Zentralafrika.
Seit 2019 lernen zentralafrikanische Kinder in der Schule Russisch als erste Fremdsprache. Wagner-Kämpfer schützen zentralafrikanische Gold- und Diamantenminen, die das russische Goldunternehmen M-Invest über Tochterfirmen erworben hat. M-Invest ist eine in Sankt Petersburg registrierte Firma, die dem russischen Oligarchen und Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin gehört, dem Finanzmogul hinter Wagner. Die Russen kassieren Zölle an den Grenzen zu Tschad und Sudan. Wagner sei ein „profitorientiertes Unternehmen“, das sich selbst trägt, erklärt Pauline Bax von der International Grisis Group (ICG). Erhalte Wagner keine lukrativen Minenaufträge, dann „bezahlen sie sich durch Raubzüge und Plünderungen“.
Für Siegle ist Wagner der „verlängerte Arm des russischen Militärgeheimdienstes GRU“. Dieser lasse sich „kostengünstig und effektiv im Ausland einsetzen“ – unter Umgehung von Recht und Gesetz. „Bei Wagner gibt es keine Menschenrechtsstandards und Verantwortlichkeiten für ihr Handeln“, so Siegle. „Wagner operiert unter dem Radar, so lässt sich alles abstreiten, auch Menschenrechtsverbrechen.“
Eine UN-Expertengruppe veröffentlichte 2021 einen 250 Seiten langen Bericht über Menschenrechtsverletzungen durch Wagner-Kämpfer in der Zentralafrikanischen Republik: Journalisten, Zivilisten, Mitarbeiter von Hilfswerken sowie der UN-Mission Minusca seien „gewaltsam belästigt und eingeschüchtert“ worden, heißt es darin. Zu den Verstößen zählten „Massenhinrichtungen im Schnellverfahren, willkürliche Festnahmen, Folter bei Verhören, Verschwindenlassen, Zwangsvertreibungen der Zivilbevölkerung, wahllose Angriffe auf zivile Einrichtungen, Verletzungen des Rechts auf Gesundheit und zunehmende Angriffe auf humanitäre Akteure“.
Wagner soll an Kriegsverbrechen beteiligt sein
Reporter des US-Fernsehsenders CNN interviewten Überlebende in der zentralafrikanischen Stadt Bambari, wo sich Zivilisten vor Kämpfen in einer Moschee versteckt hatten. Ein Mann, der mit einer Kugel im Bein davonkam, berichtete, wie russische Söldner die Moschee beschossen. CNN zeigte Bilder der Leichen auf dem Gebetsteppich: 12 Tote. Eine Frau aus Bambari berichtete, wie ihr 15-jähriger Sohn von einem russischen Kampfhubschrauber aus erschossen wurde. Als ihr Ehemann aus dem Haus lief, um den Jungen zu retten, sei auch er erschossen worden.
Das klare Fazit des UN-Expertenteams: Kriegsverbrechen. „Vertreter der Wagner-Gruppe haben Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt begangen gegen Frauen, Männer und junge Mädchen“, so der Bericht. Überlebende hätten Angst, ihre Fälle vorzubringen. Da Wagner auf Geheiß von Präsident Touadéra im Land sei und ihn beschütze, bestünde hier faktisch Straflosigkeit. Die UN-Experten forderten die Regierung in Bangui auf, „alle Beziehungen zu privatem Militär- und Sicherheitspersonal zu beenden, insbesondere der Wagner-Gruppe“.
Am Mittwoch beschäftigte sich damit in Genf der UN-Menschenrechtsrat. UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet äußerte sich besorgt über zunehmende Menschenrechtsverletzungen in der Zentralafrikanischen Republik durch die Regierungstruppen und „ihre bewaffneten Verbündeten“ – UN-Sprachregelung für die Wagner-Kämpfer. Der unabhängige UN-Experte für die Menschenrechtslage in der Zentralafrikanischen Republik, Yao Agbetse, berichtete, er habe „mehrere übereinstimmende Zeugenaussagen erhalten, in denen von Verstößen russischer bilateraler Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung berichtet wird“. Dazu gehören „sexuelle Gewalt, Einschüchterung, Zerstörung von Wohnungen, Drohungen, Erpressung“.
Der Nigerianer Chris Kwaja ist zuständig für Afrika in der UN-Expertengruppe über Söldnereinsätze. Er fürchtet, dass das Beispiel Zentralafrika Schule macht: „Wenn wir uns nicht mit Land A auseinandersetzen, ist die Tendenz, dass die selben Sachen in Land B oder C geschehen, sehr hoch“, so Kwaja zur taz. Die größte Herausforderung sei, die Identitäten der Täter festzustellen – Russland streite offiziell alle Verbindungen zu Wagner ab. „Wir gehen von der Tatsache aus, dass jeder Söldner ein Heimatland hat und in diesem Land registriert ist“, so Kwaja: „Unabhängig davon, welche Menschenrechtsverletzungen diese Leute außerhalb dieses Landes begehen, ist es wichtig, dass das Heimatland informiert wird und angemessene Schritte zur Rechenschaftspflicht einleitet. Denn es gibt keine staatenlosen Personen und Organisationen.“ Und die mutmaßlichen Täter, die in der Zentralafrikanischen Republik ermittelt wurden, seien „alle Russen oder zumindest russischsprachig“.
Russland blockiert Erneuerung einer Expertengruppe
Im Juni 2021 kam es im UN-Sicherheitsrat zum Eklat: Die USA forderten Moskau auf, die Vorwürfe gegen russische Bewaffnete in der Zentralafrikanischen Republik zu untersuchen. Der russische Vertreter Ivan Khoroshev tat die Anschuldigungen als „Propaganda“ ab: „Was Berichte betrifft, dass Ausbilder Hühner und Matratzen von Zivilisten stehlen – diese Berichte diskreditieren nur diejenigen, die solche Anschuldigungen erheben“, sagte er und höhnte, russische Ausbilder erhielten „volle Unterstützung und Zulagen, einschließlich Betten, Matratzen und Bettwäsche.“
Danach blockierte Russland im UN-Sicherheitsrat mit seinem Veto monatelang die Erneuerung von UN-Expertengruppen, die Sanktionen und Waffenembargos in Kriegsgebieten überwachen – die Demokratische Republik Kongo, Mali, Somalia, Libyen, Syrien, die Zentralafrikanische Republik. Bis heute bleibt die Expertengruppe für die Zentralafrikanische Republik blockiert – durch Russland.
UN-Ermittler geben gegenüber der taz zu, dass sie bei Recherchen um ihr Leben fürchten. 2018 reisten drei russische Investigativreporter in die Zentralafrikanische Republik, um über Wagner zu recherchieren. Auf dem Weg von der Hauptstadt Bangui gen Norden, wo Wagner-Truppen stationiert waren, fuhren sie in einen Hinterhalt: Alle drei starben an Schussverletzungen. Das UN-Expertenteam stellte seine Ermittlungen letztlich ein. „Aus Angst vor Wagner.“
Kurz darauf ging in Russland der Journalist Pjotr Wersilow den Spuren seiner Kollegen nach. Wersilow ist der Ehemann von Nadeschda Tolokonnikowa, Mitglied der Punkrockband Pussy Riot. Er wurde krank, fiel ins Koma. Ehefrau Tolokonnikowa konnte ihn über Kontakte in die Berliner Charité ausfliegen, ähnlich wie der Oppositionspolitiker Alexei Nawalny 2020. Die Diagnose bei Wersilow: Vergiftung. „Wir erhalten ständig Warnungen“, so UN-Experte Kwaja. „Das ist Teil des Jobs, wenn man zu Wagner arbeitet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“