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Monika Herrmann über Flüchtlingsschule„Der Bezirk ist am Ende“

Monika Herrmann vollzieht die Kehrtwende: Verlassen die Besetzer die Hauptmann-Schule nicht, werde sie die Polizei um Räumung bitten, so die Bezirksbürgermeisterin.

Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) am Mittwoch im Bezirksparlament. Bild: dpa

taz: Frau Herrmann, die Besetzer sollen bis zum Freitag die Schule verlassen. Wann wird geräumt?

Monika Herrmann: Wir haben das Amtshilfeersuchen an die Polizei noch nicht gestellt. Wir haben angeboten, dass sich die Leute am Freitag Hostelgutscheine abholen. Wir bieten auch Beratung dazu, was es für Möglichkeiten über das Jobcenter gibt. Es wohnen ja einige Leute dort, die eine Duldung oder eine Aufenthaltserlaubnis haben. Unsere Wohnungsangebote haben sie aber abgelehnt.

Ihr Sprecher hat angedeutet, es werde diese Woche geräumt.

Nein. Man muss ja so ein Amtshilfeersuchen erst einmal unterschreiben. Und wir sind immer noch sehr optimistisch, dass wir das gar nicht machen müssen.

Aber wenn doch?

Wenn alle Angebote abgelehnt werden, dann werden wir die Polizei um Amtshilfe bitten.

Wer denn genau?

Ob ich unterschreibe oder die Immobilienstadträtin, ist egal. Wir haben einen einstimmigen Beschluss des Bezirksamts. Das war im Sommer anders.

Im Interview: Monika Herrmann

Jahrgang 1964, ist seit gut einem Jahr Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Aufgewachsen ist die Grüne in Rudow.

Als Stadtrat Hans Panhoff damals die Polizei rief, waren Sie dagegen. Was hat sich geändert?

Damals standen Leute auf dem Dach und haben gedroht, herunter zu springen. Damit waren wir im Bezirksamt überfordert, das ist nicht unser Alltagsgeschäft. Meine Einschätzung war, dass wir eventuell mit Toten zu rechnen haben, wenn die Polizei da reinmarschiert. Da habe ich gesagt, wir frieren den Status Quo erstmal ein, um die Eskalation zu verhindern.

Auch jetzt könnten Menschen zu Schaden kommen.

Das kann passieren, ja. Aber wir haben inzwischen alles getan, was man tun kann, haben alle Angebote gemacht, die wir machen können. Wenn Leute da drin sind, die einfach maximal kämpfen wollen, dann – ist das ihre Entscheidung.

Der Senat hat seine Versprechen gegenüber den Flüchtlingen nicht erfüllt. Kann der Bezirk ihnen nicht ein Refugium lassen?

Das können wir nicht. Das ist eine Illusion. Der Bezirk hat über zwei Jahre sein Optimum geleistet und ist jetzt am Ende. Wir können das nicht finanzieren, ihnen keine Wohnung geben, keine legale Arbeit und keine Papiere verschaffen. Sie bleiben, so lange ihr Status so ist, wie er ist, in der so genannten Illegalität. Alle, die sich jetzt solidarisch erklären, kann ich nur auffordern, die Leute aufzunehmen.

Würden Sie rückblickend die Besetzung des Oranienplatzes und der Schule noch einmal erlauben – wie es Ihr Vorgänger Franz Schulz getan hat?

Protest gegen Räumung

Gleich zwei Solidaritätserklärungen mit den Flüchtlingen wurden am Donnerstag veröffentlicht: Der Aufruf des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern“ kündigt Widerstand gegen eine mögliche Räumung an. Auch in einer unter anderem vom Maxim-Gorki-Theater unterzeichneten Erklärung heißt es, man werde „nicht tatenlos zusehen“. Die BewohnerInnen erklärten am Nachmittag, dass sie die Schule nicht freiwillig verlassen werden.Am Mittwochabend fand eine Kundgebung vor der Schule statt. 170 Polizisten waren im Einsatz, es gab sechs Festnahmen. (mgu)

Damals, ohne das Wissen von heute, war das ein logischer Schritt. Auf dem Oranienplatz lag Schnee, die Leute haben gefroren und wir hatten dieses leer stehende Gebäude, das beheizt wurde. Der Fehler, den ich im Nachhinein selbstkritisch sehe, war, dass wir es dann haben laufen lassen. Wir haben die Menschen lange sich selbst überlassen, sie sollten sich selbst organisieren. Das war auch der Anspruch der Unterstützer. Aber jeder, der WG-Erfahrung hat, weiß, wie schwierig Selbstverwaltung ist. Und vielen Bewohnern der Schule ging es nicht darum, die wollten weg von der Straße. Als Panhoff später regelmäßig hingegangen ist, hat er gesagt: Leute, ich brauche Ansprechpartner, wir brauchen ein Plenum, dies und jenes sind unsere Angebote. Aber eine richtige Zusammenarbeit war nicht möglich.

Käme bei der bevorstehenden Räumung jemand zu Schaden, was wäre die Konsequenz?

Wenn man ein Amtshilfeersuchen stellt, ist man nicht mehr Herr des Verfahrens. Die Polizei entscheidet dann darüber, wie weiter vorgegangen wird. Ich gehe davon aus, dass sie so professionell und mit Augenmaß agiert, dass nichts passiert.

Was passiert mit der Schule nach der Räumung?

Wir haben ein Konzept, das für das Haupthaus eine Frauen-, eine Männer- und eine Familienetage vorsieht. Da sollen aus den recht großen Klassenzimmern abgeschlossene Wohneinheiten mit Appartementcharakter, also jeweils mit eigenem Bad und eigener Kochgelegenheit entstehen. Projekte sind im Haupthaus sowie im Pavillon und in mobilen Einheiten auf dem Gelände eingeplant. Es finden derzeit Gespräche mit dem Lageso und Trägern statt, denn wir können als Bezirk nicht Träger der Einrichtung sein.

Was für Projekte?

Mir ist wichtig, dass eine medizinische Erstversorgung in das Haus kommt. Und ich hätte gerne ein Angebot, wo es um Beschäftigung geht.

Und gemeinnützige Träger bekämen Kredite, um das Haus entsprechend auszubauen?

Ja, aber nur, was das Wohnen betrifft. Für die Projekte, müssen wir andere Lösungen finden.

Trotzdem wird das in den Augen der jetzigen Bewohner eins der Lager sein, die sie ablehnen.

Lager ist ein politischer Kampfbegriff, den ich vom Grundsatz her auch nicht falsch finde. Es gibt Einrichtungen, die einen solchen Charakter haben. Die zwei, die wir bislang in Kreuzberg haben, unterscheiden sich aber davon. Und das, was wir hier jetzt aufbauen, unterscheidet sich noch einmal.

Die Schule soll eine Art Vorzeigeeinrichtung werden?

Den Ehrgeiz habe ich nicht. Aber ich möchte, dass das eine Einrichtung wird, wo die Menschen sich willkommen fühlen und sich nicht zu Tode langweilen müssen, weil sie sich nicht beschäftigen können. Und es wäre gut, wenn das Haus sich in den Kiez öffnet. Der ist ja sehr solidarisch, auch wenn sich jetzt manchmal Leute aufregen.

Was passiert mit den Leuten vom Oranienplatz und der Schule?

Sie müssen entscheiden, ob sie zurück in das Bundesland gehen, wo ihr Verfahren läuft, oder nach Italien, wenn sie dort Aufenthalt haben. Oder sie versuchen, hier Fuß zu fassen. Das können sie aber nur, wenn ihnen Leute privat helfen. Anders haben sie keine Chance.

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13 Kommentare

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  • "... eine Frauen-, eine Männer- und eine Familienetage ... Appartementcharakter, also jeweils mit eigenem Bad und eigener Kochgelegenheit ... "

     

    Das hätte meine Ma im sauteuren Pflegeheim auch gerne, nicht einmal ein eigenes Zimmer hat sie. Warum gibt es keine Unisexetage??

    Absolut schockierend: Die Obdachlosenpraxis muss wohl wegen Geldmangel schliessen. Ein die Schwächsten der Gesellschaft schädigendes Verhalten. Ich versteh die Lokalpolitik nicht mehr.

    • @Paulmar:

      Verfassen Sie sonst NPD-Wahlplakate? Ihr Beitrag erinnert stark an "Geld für die Oma, statt für Siniti und Roma".

      • @Dhimitry:

        So'n Quatsch wieder, immer mit der rechten Ecke kommen ...... darf man die Missstände in der Pflege oder der Obdachlosenproblematik nicht darstellen? Passt wohl nicht ins Konzept. "Wohlstand" muss auch gerecht verteilt werden!

  • https://www.gruene.at/schuetzt-snowden

     

    Man möchte mehr vom Herrn Snowden erfahren. Man möchte Schutz für Ihn. Würde man ihn beschützen können, wenn man selbst die Flüchtlinge in der "besetzten?" Schule nicht beschützen kann.

     

    Das was er erzählte war vielleicht nicht für alle Menschen neu. Er hat ja noch nicht eindeutig erklärt, warum die USA bzw. die NSA die Spionage machte. Was waren die Ziele? Gab es eine langjährige Gesamtstrategie? Welche Rolle spielte bei dieser Strategie Russland? Aber vielleicht sind diese Informationen in ganz engen Kreisen bekannt?

  • Man versteht die Grünen nicht mehr.

     

    Im Bundesrat stimmten sie der Verschärfung des Asylrechts zu. Und das ist eigentlich deren Wahlthema. Zutreffend hat das neue Gesetz der Flüchtlingsrat bewertet.

     

    In inoffiziellen Gesprächen gaben einige Politiker zu, dass die Zustimmung zum Hartz IV erfolgte nur, damit die damalige Regierung weiter bestehen bleiben konnte. Heist das etwa, dass diese "Regierungsfähigkeit auf Bundesebe" auf Kosten von eigenen Wählern geschehen muss? Selber wollten sie Hartz IV wohl nicht.

     

    Man muss aber wissen, dass z:B. der Niedergang von der FDP damit anfing, dass sie kaum etwas durchsetzen konnten, als sie in der Regierung "mit" waren.

     

    Das ist der einzige grünregierte Bezirk in Berlin. Den nächsten Wahlausgang kann man kaum mehr prognostizieren. Wir glauben, dass die Grünen zuletzt gewannen, weil sie für Menschen im Bezirk viel taten, auch für Flüchtlinge. Die Abkehr von Menschen zu irgendwelchen coffeeshops, wo Drogenhandel legaliesiert werden soll, bringen keine neuen Wähler, eher mehr Verlüste. Das würde viele Menschen abhängig und auch krank machen. Die Legalisierung einiger Drogen in den USA und auch des Waffenbesitzes haben zu negativen Entwicklungen in dem Land geführt. Man sollte die Gewaltstatistiken in den USA und Deutschland vergleichen, bevor man Beteubungsgesetze oder Waffengesetze hier lockert.

  • Das Problem bleibt ja wohl, dass der Bezirk eben nicht die geringste Möglichkeit besitzt, eigene Finanzmittel zu erhalten über Steuern z.B. Er bleibt darauf angewiesen, was Land und Bund ihm hinschmeißen-

    Und wenn das nicht reicht, dann hat eben irgendwer Pech gehabt. In diesem Falle die Menschen die sich auf die Zusage des Bezirks verlassen haben, sie könnten während des Umbaus dort weiter leben.

     

    Dass Herrmann dieses Problem nicht als erstes erwähnt, sondern von freiwilligen Hilfen schwärmt, zeigt, dass sie nicht im geringsten bereit ist, das Problem anzugehen. Die Kreuzberger werden ebenso wie die anderen Bürger dieses Staates nicht die geringste Möglichkeit bekommen, darüber zu entscheiden, was mit ihren Geldern geschieht und wofür sie gerne Steuern zahlen würden.

    • @Age Krüger:

      Wenn Fr'hain-Kr'berg eine eigene Gemeinde wäre und also selbst Gemeindesteuern erheben könnte, erhielte es natürlich keinen Anteil der Berliner Gemeindesteuern mehr - es wäre also z.T. ein Nullsummenspiel. Angesichts des hohen Anteils an Transferleistungsempfängern wäre es aber wohl sogar mit Verlusten für die neue Gemeinde verbunden. Und auch in einem selbstständigen F-K müßte mit dem vorhandenen Geld natürlich als erstes Daseinsvorsorge betrieben und Infrastruktur erhalten werden.

      Ich bezweifle ganz stark, daß die eigene Steuerhoheit gerade für F-K auch nur einen einzigen zusätzlichen Cent in die Bezirkskassen spült, den die BVV dann für irgendwelche Kreuzberger Ideen freigeben kann.

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Frau Herrmann hat eine bittere, teure und wichtige Lektion gelernt, um herauszufinden, was andere vorher schon ahnten. Fast könnte sie einem leid tun, wie sie vor den Trümmern ihrer voll und ganz gescheiterten Politik steht. Doch hat sie eben auch öffentliche Gelder für ihre Lektion verschleudert. Das mögen andere auch getan haben und immer noch tun, aber das macht den Fall der Frau Herrmann nicht besser.

  • Es hat schon was richtiges, dass Frau Hermann jetzt an die Unterstüzter appelliert, selbst Verantwortung zu übernehmen, wenn die Leute unbedingt in Berlin bleiben sollen. Verbal unterstützen und demonstrieren ist das eine, aber wenn die Rechtslage nun mal kein Bleiberecht hergibt (offenbar bei 30 der 45), dann muss man eben andere Lösungen finden.

    Und da können die Unterstützer dann ja zeigen, dass sie nicht nur gut darin sind, anderer Leute Geld und Gebäude zu verteilen, sondern auch selbst Opfer bringen...

  • Hach, ist das schön heuchlerisch von Frau Hermann, jetzt die Verantwortung für die Flüchtlinge auf private Leute abzuwelzen. War die Lösung vor ein paar Wochen nicht, dass die geflüchteten Menschen, die jetzt noch in der Schule wohnen, dort auch während der Renovierungsarbeiten bleiben dürfen? Was ist darauf geworden? Warum ist das jetzt nicht mehr möglich?

     

    Frau Hermann macht es sich ziemlich leicht! Schuld sind generell immer die anderen und sie hat überhaupt keine Verantwortung. Schön so ein Leben als Bezirksbürgermeisterin, kann ich da nur sagen. Ich hoffe, dass diese verlogenen Grünen dafür bei der nächsten Wahl die Quittung bekommen...

    • @Sven Buchien:

      " War die Lösung vor ein paar Wochen nicht, dass die geflüchteten Menschen, die jetzt noch in der Schule wohnen, dort auch während der Renovierungsarbeiten bleiben dürfen? Was ist darauf geworden? Warum ist das jetzt nicht mehr möglich?"

       

      http://www.taz.de/!145576/

  • "Wenn man ein Amtshilfeersuchen stellt, ist man nicht mehr Herr des Verfahrens. Die Polizei entscheidet dann darüber, wie weiter vorgegangen wird."

     

    Ist das jetzt die neue Sprachregelung, um sich aus der Verantwortung zu stehlen?

    Den Flüchtingen falsche Hoffnungen machen, sich finanziell verheben, den ganzen Bezirk in Schieflage bringen und sich jetzt rhetorisch absetzen - peinlich!

     

    Am besten gefält mir noch dieser Satz: "Alle, die sich jetzt solidarisch erklären, kann ich nur auffordern, die Leute aufzunehmen." Ja, gute Idee, mal sehen, wie viele Unterstützer sich dafür finden...

    • @Mark_Sch:

      Es gibt doch genügend Unterstützer, die genau dies tun. Das Problem daran ist aber, dass dies nur eine kurzfristige Lösung sein kann, da diese Menschen auch nur begrenzt Platz haben. Auch das ist einfach nur eine hohle Phrase von Frau Hermann, die sich generell nur aus der Verantwortung ziehen will. Warum nimmt sie denn keine Flüchtlinge auf, wenn sie die Politik des Senats nicht unterstützt, wie sie es ja immer wieder betont?