Molekularbiologie über Epigenetik im All: Die Gene des Kosmonauten
Nach einem Jahr im All haben sich die Gene des US-Astronauten Scott Kelly verändert, meldet die NASA. Dirk Schübeler erklärt warum.
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taz: Herr Schübeler, nach einem Jahr auf der Internationalen Raumstation haben sich die Gene des NASA-Astronauten Scott Kelly zu sieben Prozent verändert, verglichen mit denen seines eineiigen Zwillingsbruders auf der Erde. Warum verändert das Leben im All unsere Gene?
Dirk Schübeler: Nicht die genetische Sequenz hat sich verändert. Wenn das so wäre, dann könnte kein Austronaut im Weltraum überleben. Vielmehr sind die Gene epigentisch verändert worden. Das heißt: welche Gene aktiv sind und welche nicht. Es gibt chemische Modifikationen an der DNA und der RNA, sogenannte Methylgruppen, die haben sich verändert.
Wie passiert das?
Unsere Gen-Expression, also welche unserer Gene aktiv sind, hängt unter anderem von unseren Lebensumständen ab, von unserer Ernährung, unserer Umgebung. Die Umgebung ist natürlich im All eine ganze andere, und dadurch ändern sich auch die epigenetischen Muster. Zum Beispiel ist die Sauerstoffsättigung dort geringer, das ist für den Körper eine Stresssituation. Der Körper findet darauf eine Antwort, und ändert etwa die Zusammensetzung der Blutzellen.
Ich vermute, wenn man den einen Zwilling in hochalpines Gebiet brächte, würde man ähnliche Änderungen beobachten. Wie viel das Ergebnis also mit dem Weltraum an sich zu tun hat, das kann man erst sagen, wenn die Daten im Detail vorliegen. Bisher hat die NASA ihre Studie noch nicht veröffentlicht und sich nur vage geäußert.
Vererben wir diese epigentischen Veränderungen?
Ich bin skeptisch. Wenn überhaupt, dann ist nur ein sehr kleiner Teil vererbbar. In der Keimbahn, also wenn Eizelle und Samen hergestellt werden, verschwinden diese Markierungen eigentlich komplett. Wie komplett, das ist die Frage. Aber die Beweise dafür, dass epigenetische Veränderungen vererbt werden, sind dünn. Ich gehöre zu denjenigen, die dieser These in Anbetracht der momentanen Daten eher kritisch gegenüberstehen.
Kann bei den Veränderungen im All auch eine positive Mutation herauskommen?
Von einer Mutation sprechen wir wenn sich die DNA-Sequenz verändert. Eine Mutation ist zunächst etwas Zufälliges, sie ist wie ein Schrotschuss. Mutationen sind natürlich die Quelle von Variationen, die letztlich evolutionäre Veränderungen hervorbringen, aber zunächst einmal sind die allermeisten von ihnen schädlich. Nicht umsonst meiden wir unter anderem radioaktive Strahlung, welche Mutationen auslöst.
Sie sehen zum Beispiel nicht die Chance, dass man sich mit der Zeit besser an das Leben im Weltall anpasst?
Nicht wirklich. Eher wird man versuchen die Bedingungen im All so anzupassen, dass der Organismus so wenig wie möglich belastet wird. Genau das will die NASA ja mit dieser und ähnlichen Studien erforschen: Wie viel Stress Raumfahrt für den menschlichen Körper bedeutet – und ob längere Reisen durchs All so überhaupt vertretbar sind.
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