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Mögliches Antifa-Verbot in NiedersachsenLechts und rinks nicht verwechseln

Innenminister Boris Pistorius prüft Antifa-Verbote. Kri­ti­ke­r*in­nen sehen darin eine realitätsferne Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus.

Gefährlich oder gesellschaftlich wichtig? Antifa-Protest gegen Rechtsextremismus 2019 in Essen Foto: dpa / Marcel Kusch

Hannover taz | Wer wissen will, was Hufeisen-Denken ist, hat es leicht. Lernstoff, wohin der Blick sich richtet. Vergangenen Donnerstag zum Beispiel, im Plenum des Landtags in Hannover: „Linksextremisten“ seien „zu allem entschlossen und schrecken vor nichts und niemandem zurück“, sagt Uwe Schünemann, Vize-Fraktionschef der CDU, zum Auftakt der Aktuellen Stunde „Links­extre­mismus präventiv bekämpfen“.

Es sei zu prüfen, hatte der Landesvorstand Niedersachsen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) zuvor gefordert, „ob Organisationen wie die linksextremistische Antifa mit einem Betätigungsverbot nach dem Vereinsgesetz zu belegen sind“, im „Kampf gegen den Linksterrorismus“. Anfang Januar hatte es auf dem Gelände der Landesaufnahmebehörde (LAB) in Braunschweig einen Brandanschlag auf Transportfahrzeuge gegeben, mit angeblicher Antifa-Beteiligung. Die Folge: Innenminister Boris Pistorius (SPD) denkt über ein Verbot von Antifa-Gruppierungen nach.

Die CDU versuche, „unter kreativer Auslegung der Realität eine terroristische Gefahr von links herbeizureden“, tritt Helge Limburg, Vize-Fraktionschef der Grünen, Schünemanns „Holzhammerrhetorik“ entgegen. Straftaten müssten geahndet werden. Aber es sei „politisch falsch und rechtsstaatswidrig, diffus Verbote im linken Spektrum zu fordern“.

„Wir haben kein Strafrecht der Gesinnung, sondern der Tat“, sagt Wiebke Osigus, SPD-Sprecherin für Verfassungsschutz, im Landtag. Es dürfe nicht um eine gefühlte Gefährdungslage gehen, nicht jede lockere Struktur sei eine terroristische Vereinigung.

Auch die „Niedersächsische Erklärung ‚Antifaschismus lässt sich nicht verbieten‘“ schlägt gegen den Versuch, „Antifaschismus zu delegitimieren“, Alarm; fast 200 Institutionen, Gruppen und Verbände haben sie unterzeichnet, dazu rund 350 Einzelpersonen.

Bei vielen von ihnen handelt es sich um aufrechte Kämpfer gegen den Rechtsextremismus

Bernhard Witthaut, Niedersachsens Verfassungsschutzpräsident

„Wer links und rechts, wie beim Hufeisenmodell, gleichsetzt“, werfen die Unterzeichner Pistorius vor, „verteidigt nicht die Demokratie, sondern diffamiert und bekämpft die, die für eine solidarische Gesellschaft kämpfen, in der alle Menschen ohne Angst gemeinsam unterschiedlich sein können“. Es brauche „vielmehr Förderung und Teilnahme an Antifa“. Antifaschistische Arbeit trage maßgeblich zur Aufklärung rechter Anschläge und Aufdeckung rechter Netzwerke bei.

Auch Heidi Reichinnek, Landesvorsitzende der niedersächsischen Linken, ist empört: „Der große Sozialdemokrat Willy Brandt, der ja vor den Nazis fliehen musste, würde sich im Grab umdrehen, wenn er mitbekäme, dass ein SPD-Innenminister antifaschistische Gruppen verbieten möchte.“ Reichinnek ist sicher: „Die Feinde der Demokratie stehen rechts und nicht links!“

Pistorius versteht die ganze Aufregung nicht: Er habe nicht davon gesprochen, die Antifa oder Antifa-Gruppen zu verbieten, sagt der Minister. „Jeder, der gegen Faschismus kämpft, verdient zuallererst den Dank der Gesellschaft.“ Dabei Straftaten zu begehen, sei aber „zutiefst verwerflich“. Es gehe ihm nicht um eine Kriminalisierung des Antifaschismus. Aber wenn es Gruppierungen gebe, die mit Straftaten ihre Ziele zu erreichen versuchen, solle das mit allen rechtlichen Möglichkeiten erschwert werden.

Auch Niedersachsens Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut versichert: „Natürlich sehe ich in niedersächsischen antifaschistischen Gruppen per se keine terroristischen Strukturen. Bei vielen von ihnen handelt es sich um aufrechte Kämpfer gegen den Rechtsextremismus.“ Es sei aber nicht auszuschließen, dass sich Teile der linksextremistischen Szene zu einem neuen Linksterrorismus entwickeln könnten.

Hufeisen-Denken weist auch er von sich: „Mir liegt es fern, Links- und Rechtsextremismus gleichzusetzen.“ Er werde aber nicht die Augen davor verschließen, wenn von Linksextremisten schwerste Straftaten wie die Brandanschläge auf die LAB verübt würden. Wenn sich daraufhin Demokraten mit Linksextremisten solidarisierten, wie auf der Unterzeichnerliste der „Niedersächsischen Erklärung“, werde er dazu nicht schweigen.

Ein Blick auf die Fallzahlen der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) in Niedersachsen zeigt: Seit 2010 liegt „PMK rechts“ ungleich höher als „PMK links“. 2019 ist sie mit 1.632 zu 801 Delikten doppelt so hoch; für das Jahr 2020 liegen die Zahlen noch nicht vor.

Welche Delikte diese Zahlen bergen, und in welcher Verteilung? Welchen Antifa-Gruppen welche Taten vorgeworfen werden? Frank Rasche, Sprecher des Innenministeriums, Abteilung Verfassungsschutz, bittet um Zeit. Eine „Einzelfallauswertung anhand der Kurzsachverhalte im Vorgangsbearbeitungssystem“ sei erforderlich.

Lukas Foppe, Basisgruppensprecher der Linksjugend Osnabrück, Antifaschist in vorderster Linie, schüttelt über Pistorius’ Vorstoß den Kopf. „Unglaublich frustrierend!“, sagt er. Er fürchte, dass sich mancher Antifaschist dadurch jetzt zurückzieht, aus Angst vor Repressalien. So werde Antifaschismus unterdrückt. „Was ist denn, wenn jemand in einer Demo demnächst eine Antifa-Fahne entrollt? Wird er dann gleich von der Polizei rausgeholt?“ Foppe, tief empört: „Die jagen Gespenster!“

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6 Kommentare

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Komischer Titel. Jandls Gedicht ist doch der Inbegriff der Hufeisenideologie.



    Ist das Provokation oder Unwissenheit?



    www.cicero.de/inne...ts-und-rinks/38224

  • Wer hat eigentlich den Aufruf unter



    wirsindalleantifa.wordpress.com/



    verfasst und veröffentlicht?



    Es ist doch merkwürdig, dass es im Impressum der Webseite keine Adresse gibt.



    Kann man jemanden vom Initiativkreis anrufen?



    Von einem geplanten Verbot antifaschistischer Gruppen durch Innenminister Pistorius kann keine Rede sein.



    Das mag wie Haarspalterei klingen, aber lasst uns bei den Tatsachen bleiben: Es ist lediglich die Rede von einer „Verbotsprüfung“ - ob aus der Prüfung ein Plan wird, ist völlig offen.



    Keinesfalls geht es um ein pauschales Verbot "antifaschistischer Gruppen“, sondern um solche Gruppen, die sich - in meinen Worten - ein antifaschistisches Plakat umhängen, dann Brandanschläge verüben und Personen (hier den Hamburger Innensenator) tätlich angreifen.



    Wenn die taz statistische Daten zu „politisch motivierter Kriminalität“ vorliegt, hilft das IN DIESEM KONKRETEN FALL nicht wirklich weiter.



    Die Initiatoren des Aufrufes kriegen es noch nicht einmal über die Lippen, sich von dem Brandanschlag zu distanzieren!!



    Ich bin sicher - die meisten haben überhaupt nicht registriert, dass die Initiatoren anonym sind.



    Wer will dieser wohlklingenden Parole schon widersprechen - klingt doch toll !!



    Ich mir ebenso ziemlich sicher, dass der Aufruf den von denen in die Welt gesetzt wurde, die den Brandanschlag verübt haben. Mit ihrer „zustimmungsfähigen“ Parole „wir sind alle antifa“ haben sie es geschafft, dass viele Leute reflexartig auf den Zug aufgesprungen sind … ohne vorher ins Impressum der Seite zu schauen.



    Da wird emotional und pauschal „Aufregung“ inszeniert - derweil sich die Autoren feige hinter ihrer Anonymität verstecken. Da werden von Leuten, die sich nicht trauen, ihr Gesicht zu zeigen, falsche Fronten aufgebaut. Um es klar zu sagen: Wir leben nicht in Zeiten, in denen man sich anonymer, versteckter Methoden bedienen muss.



    Ich jedenfalls käme nie auf die Idee, meinen Namen unter einen anonymen Aufruf zu setzen.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @bruno.der.problembär:

      "Wir leben nicht in Zeiten, in denen man sich anonymer, versteckter Methoden bedienen muss."

      In Zeiten, in denen wieder Todeslisten in der Rechten kursieren und aller paar Tage wieder ein neuer Fall von Rechtsextremismus in der Polizei bekannt wird, soll es illegitim sein, seine Identität nicht öffentlich bekannt zu machen? Sollen Antifa-Aktivist*innen gleich ihre Adressen an den nächsten AfD-Ortsverband schicken?

  • ? Weil die Zahl der linksradikal verübten Straftaten vielleicht nicht so hoch ist wie die der rechten Seite sind diese weniger starfwürdig oder schlimm? Echt jetzt?



    Gestern Abend 21:00Uhr in ZDFInfo: "Brandanschläge und Morddrohungen Linksextremismus in Deutschland"



    Sehenswert, informativ, erkenntnisreich und gleichzeitig beängstigend. Ta tut sich keine Seite irgendetwas!

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Lars B.:

      "Ta tut sich keine Seite irgendetwas!"



      Sie sind anscheinend nicht während der Baseballschlägerjahre im Osten aufgewachsen, sonst wüssten Sie, was Nazis mit "Zecken" tun.

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Alerta, alerta antifascista!