Mittelstand in der Coronakrise: Die Furcht vor einer L-Kurve
Beim Ventilatorenbauer EBM-Papst läuft das Geschäft noch. Doch auch hier ist der Umsatz eingebrochen: Ein Firmenbesuch.
Noch immer zucken bei einer Begegnung auf dem Flur kurz die Hände aufeinander zu und dann schnell wieder zurück, gefolgt von einem verlegenen Lachen – ach ja, ist ja im Moment nicht erlaubt. Auch Monate nach den ersten Sicherheitsmaßnahmen beobachtet Burkhardt immer wieder solche Situationen auf den Gängen oder in den Werkshallen beim Schichtwechsel.
Eigentlich ist es schon die 16. Corona-Woche für die Mitarbeiter von EBM-Papst in Mulfingen ganz im Nordosten von Baden-Württemberg kurz vor der Grenze nach Bayern. Anja Burkhardt erinnert sich noch daran, als im Februar die ersten Hiobsbotschaften aus China kamen. Als viele in Deutschland die Atemwegserkrankungen noch für ein Phänomen im Fernen Osten hielten, waren sie bei dem großen Mittelständler von ihrem China-Chef Thomas Nürnberger schon gewarnt: Ein Virus könnte das Unternehmen in Schwierigkeiten bringen.
„Da war anfangs diese Ungläubigkeit bei uns“, sagt Burkhardt. In der Belegschaft habe es Diskussion gegeben, ob man an Fasching noch in den Skiurlaub nach Österreich fahren könnte. Von Hohenlohe sind es nur ein paar Autostunden nach Tirol.
Hätten sie sich die Ferien in Ischgl besser mal verkniffen. Auf der Karte des Robert-Koch-Instituts färbt sich der Hohenlohekreis tiefrot: Fast 670 Coronafälle auf 100.000 Einwohner, das ist deutschlandweit ein Spitzenwert, nur noch übertroffen im Fichtelgebirge.
Bis dahin hat man von Hohenlohe bundesweit wenig Notiz genommen. Höchstens die Bausparkasse Schwäbisch Hall oder der Schrauben-Multi Reinhold Würth, der größte Arbeitgeber in der Gegend, verfügen über einen größere Bekanntheitsgrad. Mit seinen Schriftzug dominiert er die Industriegebiete, aber auch Museen und Stiftungen. Und jetzt wegen der hohen Infektionszahlen.
15.000 Beschäftigte weltweit, nur 15 Infizierte
Der Ventilatorenhersteller EBM-Papst hat seine Mitarbeiter mitten in der roten Zone trotzdem ganz gut schützen können, meint Anja Burkhardt. Schon Ende Februar durften keine Besucher mehr auf das Werksgelände kommen, die Busfahrer der Werkslinien trugen Masken, dann kam das Homeoffice und alles, was heute schon fast selbstverständlich ist.
Jetzt, vier Monate später, kann sich die Krankheitsbilanz der Firma sehen lassen. Gerade einmal 15 Infizierte gibt es unter den 15.0000 EBM-Mitarbeitern weltweit. Fast alle Infektionen traten in Deutschland auf, keine einzige dagegen in dem Werk in der Lombardei, der italienischen Region mit den vielen Tausend Coronatoten.
Jetzt beginnen die Öffnungen. Auf dem Werksgelände werden wieder Besucher empfangen, und in der Kantine wird wieder richtig gekocht. Man tastet sich vor in eine neue Normalität. Eine Normalität, in der Masken nicht nur im Werk, sondern auch in der Verwaltung Pflicht sind und der Händedruck strikt verboten bleibt.
Doch es werden allmählich auch die wirtschaftlichen Folgen für das Unternehmen sichtbar. EBM-Pressesprecher Hauke Hannig verbindet telefonisch mit dem Chef des Unternehmens und räumt dafür seinen Schreibtisch – schließlich muss der Sicherheitsabstand zum Reporter gewahrt bleiben. Stefan Brandl ist an diesem Tag wie die meisten der Mitarbeiter aus der Verwaltung im Homeoffice. Seit zwei Jahren führt er das Familienunternehmen. Er spricht von den Erfolgen: Wie es seinen Mitarbeitern gelungen ist, in der Krise die Lieferketten zu sichern. Vom Glück, dass EBM-Papst mit seinen Ventilatoren und Elektromotoren so breit aufgestellt ist, dass man auch in der Krise immer weiterproduzieren konnte. Vor allem war plötzlich die Nachfrage nach Ventilatoren für Beatmungsgeräte groß, die das Unternehmen in einem Zweigwerk im Schwarzwald herstellt.
Doch auch diese Erfolge können eine entscheidende rote Zahl nicht tilgen: 25 Prozent beträgt das Umsatzminus im April im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die meisten Verluste hat das Werk im südbadischen Herbolzheim zu verzeichnen, das die Automobilindustrie beliefert, sagt Brandl. Da beträgt der Umsatzeinbruch sogar 60 bis 70 Prozent. Es ist das einzige Werk, in dem die Geschäftsleitung die Arbeiter in Kurzarbeit schicken musste.
Wenn ein Viertel des Umsatzes fehlt, wie lange kann ein Unternehmen das überstehen? Na ja, sagt Brandl, mit Einsparungen wie Kurzarbeit, Investitionsstopps und Krediten könne man ein Geschäftsjahr schon einigermaßen überbrücken. Stefan Brandl hat schon die Finanzkrise von 2008 als Manager bei EBM erlebt. Damals gab es ein Umsatzminus von 6,6 Prozent, aber im nächsten Jahr dann plötzlich ein Wachstum von 33 Prozent. So ein Aufschwung nach einer Krise sollte ja eigentlich ein Segen für ein Unternehmen sein. Aber dieses exponentielle Umsatzwachstum habe im Unternehmen enormen Stress erzeugt, erinnert sich der Firmenchef. Es verlangte mehr von allem, und zwar sofort: mehr Produktion, also Mitarbeiter, mehr Material, Überstunden und damit die Gefahr der Fehleranfälligkeit.
V, U, W oder L: Die Sache mit den Kurven
Brandl beschreibt diese stressige Entwicklung von damals als U-Kurve. Tiefer Fall und dann ein steiler ungebremster Anstieg. Wenn er es sich aussuchen könnte wäre ihm ein etwas sanfterer Anstieg nach der Coronakrise, etwa in einer V-Kurve, lieber. Aber erst einmal müsse es überhaupt wieder losgehen, sagt Brandl. Das Schlimmste wäre, wenn das Wachstum wie ein „L“ verläuft, ein steiler Absturz wie gerade jetzt und dann eine lange Stagnation auf niedrigem Niveau. Und auch vor dem „W“, also den Folgen eines möglichen zweiten Shutdowns nach einem ersten kurzen Aufschwung, hat er Angst. Aber die Wirtschaft ist halt kein Kurven-Wunschkonzert, und immerhin geht es bei Brandls Unternehmen, anders als bei kleineren Mittelständlern, noch nicht unmittelbar an die Existenz.
„Hier wird so schnell keiner entlassen“, ist Betriebsrätin Anja Burkhardt überzeugt. Man reduziert erst einmal das Überstundenkonto. Zum Vertrauen in der Belegschaft habe auch beigetragen, dass in der Krise zuerst die Mitarbeiter aus Vertrieb und Verwaltung in Kurzarbeit geschickt wurden, während in der Produktion mit voller Kraft – und Gehalt – weitergearbeitet wurde. „Das kannte ich bisher nur umgekehrt“, sagt die Betriebsrätin.
Klar, es sei in diesen Krisenzeiten auch einmal laut geworden zwischen den Arbeitnehmervertretern und der Geschäftsführung, sagt Burkhardt. Da ging es ums Homeoffice und die Kontrolle der Leistungen. Aber auch das sei ausgestanden. „Ich glaube, das Homeoffice hat es geschafft, auch für die Zeit nach der Krise“, meint Burkhardt. Die Region ist ländlich geprägt, da wohnen die Leute oft 10 oder 20 Kilometer vom Werk entfernt. Gerade Frauen könnten sich oft nur leisten zu arbeiten, wenn sich nicht jeden Tag im Betrieb anwesend sein müssen, sagt Burkhardt.
So wird sich die Arbeitswelt in Mulfingen wie vielleicht im ganzen Land nach der Krise ein Stück weit verändert haben. Auch die Unternehmensstrategie wird sich verändern. Zumindest in nächster Zeit wird die Sicherheit von Lieferketten sicher vor Kostenoptimierungen gehen, schätzt Brandl, auch wenn er gleich einschränkt: „Man weiß ja nie, wie lang so ein Trend anhält.“
Die Globalisierung nicht auf die Spitze getrieben
Der große Vorteil von EBM-Papst: Hier hat man die globale Arbeitsteilung nie auf die Spitze getrieben. Die Idee war immer, möglichst nah an den Märkten zu produzieren. So haben die chinesischen Unternehmensteile Ventilatoren für die chinesischen Markt produziert und Werke in den USA für den amerikanischen Kontinent. Nur die Elektrospulen für die Antriebe der Rotoren, die kommen für die Produktion weltweit von einem Unternehmen in Tunesien.
Das war ein Glück für den tunesischen Hersteller, aber ein Problem für EBM-Papst, als in Nordafrika Produktionen und Häfen geschlossen wurden. „Da kamen wir ganz schön ins Schwitzen“, sagt Unternehmenssprecher Hannig. Ohne Spulen aus Tunesien hätte die gesamte Produktion gestockt. Nach der Krise müsse man jetzt sicher einmal darüber nachdenken, ob das tunesische Unternehmen nicht eine Produktionslinie in Europa und den USA aufbauen wolle, eben nahe an den Werken von EBM-Papst. Die Lohnstückkosten wären dann sicher höher, aber die Lieferketten dafür sicherer.
Ein Stück Globalisierung rückwärts sozusagen.
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