Mitgliederentscheid um SPD-Vorsitz: Ein hitziger Schlagabtausch
Die zwei Kandidatenduos debattierten im Willy-Brandt-Haus. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans kritisierten die Groko-Politik scharf.
Ihre Kontrahentin Klara Geywitz will, dass die Menschen sagen: „Die SPD ist die Partei an meiner Seite.“ Und Gleywitz Partner Olaf Scholz, politisch eher als emotionsarm bekannt, muss seine Emotionen extra benennen: Es stecke „tief und emotional“ ihn ihm drin, dass die SPD die einzige Partei sei, die dafür stehe, dass jeder den gleichen „Respekt“ bekomme. Er erwähnt, zum dritten Mal während des Abends im Willy-Brandt-Haus, dass die SPD für einen „robusten Sozialstaat“ stehen müsse.
Es ist nach 23 Regionalkonferenzen das zweite direkte Aufeinandertreffen der beiden Zwischensieger-Paare im gefühlt schon ewig andauernden SPD-Mitgliederentscheid um das künftige Vorsitzendenpaar – und das einzige von der SPD organisierte überhaupt. Bis auf drei Dutzend Journalisten und ein paar SPD-Mitarbeiter ist das Atrium des Willy-Brandt-Hauses am Dienstagabend menschenleer – die Debatte wird per Livestream übertragen.
Um es vorwegzunehmen: Es ist die kontroverseste aller Debatten bislang. Die gegensätzlichen Positionen – eher mittig ist das Duo Geywitz/Scholz, linker das Duo Walter-Borjans/Esken -, die bisher untergingen, wurden deutlich. Der Verlauf des Abends in der Boxersprache: Das angriffslustige Team Walter-Borjans setzt einige effiziente Punches. Team Scholz/ Geywitz weicht aus oder versucht, einen Vorteil durch überraschende Seitwärtshaken zu erzwingen, was die Gegner dazu bringt, einige Schritte zurückzugehen.
Olaf Scholz legt mit Regierungserfolgen vor und nennt den Kompromiss bei der Grundrente einen „Meilenstein“. Saskia Esken kontert: „Olaf, die Grundrente repariert doch nur, was wir durch den Niedriglohnsektor haben entstehen lassen.“ Zack.
Eine knallharte, aber riskante Strategie: Die Enttäuschten haben sich längst von der SPD verabschiedet, entweder als Mitglieder oder als Wähler oder beides. Erreichen müssen die Kontrahenten aber die verbliebenen treuen SPD-Mitglieder: Durchschnittsalter rund 60 Jahre, zu über 40 Prozent Beamte oder im öffentlichen Dienst stehend, mental eher staatstreu. Es ist unsicher, ob sie die Selbstkritik auch teilen.
Walter-Borjans für höhere Spitzensteuer
Das Team Scholz/Geywitz weicht der Grundrenten-Attacke aus. Geywitz sagt, dass man die Probleme der Gesellschaft nicht auf die Frage „Markt oder Staat“ reduzieren könne, sondern dass man angesichts autoritärer Staaten und des Rechtspopulismus die individuellen Freiheitsrechte verteidigen müsse. Walter-Borjans setzt nach und kritisierte die beschlossenen Einkommensgrenzen, die den Kreis der Grundrenten-Bezieher reduziert. Scholz, merklich angefasst: „Es macht keinen Sinn, Erfolge der SPD kleinzureden!“
Olaf Scholz präsentiert sich als moderater Sozialstaats-Ausbauer, Klara Geywitz als Fürsprecherin von Demokratie und Zusammenhalt; Walter-Borjans/Esken positionieren sich als Befürworter eines starken, rahmensetzenden Staats, dem über höhere Steuern von Spitzenverdienern das nötige Geld zur Hand gegeben werden soll, um soziale Ungleichheit zu reduzieren und die Digitalisierung der Infrastruktur sowie die ökologische Wende zu schaffen.
Geradezu hitzig wird es bei diesem Thema. Walter-Borjans prophezeit: „Das wird Verzicht für alle nach sich ziehen.“ Es könne aber nicht sein, dass nur Kohlekumpel und Pendler die Lasten tragen sollen. Er fordert, dass Spitzenverdiener mehr herangezogen werden müssten, um die Transformation zu schaffen. „Sie dürfen sich nicht vom Acker machen“, sagt Walter-Borjans und bringt damit seine Rolle als Steuer-CD-Aufkäufer ins Spiel, als er Finanzminister in Nordrhein-Westfalen war.
Saskia Esken kritisiert das „Klimapaketchen“ der Bundesregierung und forderte einen sofortigen CO2-Preis von 40 Euro pro Tonne – sozial abgefedert werden soll er durch eine pauschale Pro-Kopf-Prämie. Wer viel verbraucht, muss demnach netto mehr bezahlen. „Warum machen wir das nicht?“, fragt sie. „Das Klimapaket ist heute gerade fast einstimmig von der SPD-Fraktion beschlossen worden, giftet Scholz mit einem Seitenblick auf die Bundestagsabgeordnete Esken zurück. „So schlecht scheint es nicht zu sein.“
Das Dilemma der Linken
Sie und Walter-Borjans geraten immer dann in die Defensive, wenn sie die bisherige SPD-Politik in der Groko loben. „Ich finde das ja nicht schlecht, was wir gemacht haben“, sagt Walter-Borjans an einer Stelle. „Schon wieder was nicht schlecht“, kontert Scholz.
Das Dilemma des linkeren Teams: Sie wollen mehr, als die SPD in der Groko bisher geschafft hat. Mehrmals sagen sie, es müsse jetzt Veränderungen geben, nicht erst in zwei Jahren, und lassen damit offen, ob sie aus der Groko aussteigen wollen oder nicht. Gleichzeitig aber können und wollen sie Erfolge der Partei wie bei der Grundrente vor dem SPD-Publikum nicht kleinreden.
Der Ausgang des Abends, um in der Boxersprache zu bleiben: Unentschieden nach Punkten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs