Mit Friedrich Küppersbusch durch 2021: 20 Jahre kein Arsch in der Hose
War dieses das schlechteste Jahr bisher – oder sind wir nur verwöhnte Blagen? Was wir jedenfalls brauchen für 2022, ist: eine Idee für Julian Assange.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht im vergangenen Jahr?
Friedrich Küppersbusch: Bundesregierung wie ihre eigene Schwangerschaftsvertretung.
Und was wird besser im nächsten?
Die neue ist da!
Mit dem 1. Januar 21 fällt für 90 Prozent der bisherigen Zahler der sogenannte Soli weg. Was haben Sie mit dem gesparten Geld angefangen?
Da war gerade die Mehrwertsteuer wieder erhöht worden und kurz drauf sprang die Inflation an: Nix! Ich hab’s nicht mal gemerkt. Empörenderweise gehöre ich nicht zu den 4 Prozent Topverdienern, die auch weiterhin Soli zahlen. Ursprünglich kassierte hier Kanzler Kohl für den „Zweiten Golfkrieg“, um statt Soldaten Geld schicken zu können. Das verkaufte man als irgendwie-solidarisch-mit-dem-Osten, seitdem ist der Begriff „solidarisch“ am solidarsch. Das Jahr endet mit einem Koalitionsvertrag, in dem Steuern trotz SPD nicht erhöht und trotz FDP nicht gesenkt werden. Das Wort „Solidaritätszuschlag“ kommt auf den 177 Seiten gar nicht vor. Von einer Kriegsabgabe über ein finanzielles Hütchenspiel zu einer Reichensteuer: Respekt!
Ende Februar werden vom Bundesinstitut für Arzneimittel die ersten Coronaschnelltests zugelassen. Wie viele haben Sie seitdem gemacht? Und welcher war der erleichterndste, welcher der überflüssigste?
Ich bin mehr so der Nasentyp, um die vulgäre Frage „schniefen oder kotzen?“ zu überspringen. Erschüttert hat mich, dass da, wo ich mein Gehirn vermutete, noch erhebliche Hohlräume auszuloten sind.
Am 24. März stellt das Paul-Ehrlich-Institut in seinem Sicherheitsbericht zu Nebenwirkungen von Corona-Impfstoffen fest: Bei nur 0,3 von 1.000 Impfdosen gab es einen Verdacht auf schwere Nebenwirkungen. Hat sich das genug herumgesprochen? Und hätten die Medien mehr über leichte und mittlere Beschwerden nach der Impfung berichten sollen – sozusagen zur Vertrauensbildung?
„Hallo Querfreunde! Die linksgrün versiffte,taz' gibt hier verklausuliert zu, dass 30 von 100.000 Geimpften fast gestorben sind! Sauerei!“ Nein, es ist Mühle auf, Mühle zu, man erreicht manche nicht mehr. Und die false balance besteht gerade darin, aus einem zersplitterten Viertel der Gesellschaft eine schwer erziehbare Hälfte hochzujuxen. Die Medien sollen einfach ihren Job machen, „sagen, was ist“. Dass Journalismus, auch Satire und Comedy, tendenziell die Regierung unterstützen und Kritik von oben nach unten üben, ist auch damit kaum zu entschuldigen, dass sie ausnahmsweise recht haben.
Mit dem 21. April ziehen sich alle englischen Klubs offiziell von den Plänen zur geplanten European Super League (ESL) zurück. Also wird Bayern auch die nächsten 10 Jahre Meister in der Bundesliga?
Widerlich sind ja nicht nur die sehr erwartbaren Pläne, eine Liga aus europäischen Krösusklubs aus eitel Fett zu modellieren. Widerlich ist, dass der FC Bayern noch mal so tun kann, als verteidige er Freund Leder gegen eine kranke Welt seelenloser Oligarchenklubs. Um am Ende doch mitzumachen.
Am 1. Mai beginnt der offizielle Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan. Hat es in der Geschichte schon mal einen erbärmlicheren Abzug gegeben?
„Die Truppe hat einen super Job gemacht; nur der Job war halt bescheuert“: Unter diesem Tagesbefehl stolpert die Bundeswehr heim. Bei Licht betrachtet eine niedliche Dolchstoßlegende – der Auftrag der verpeilten Politiker war halt militärisch nicht umsetzbar. „Bürger in Uniform“ hätten dies längs der „Inneren Führung“ früher lauter ansprechen müssen. Bevor 53 KameradInnen starben. So gesehen könnten sie jetzt auch „20 Jahre kein Arsch in der Hose“ feiern statt Zapfenstreich. Die „Ampel“ will alle Auslandseinsätze überprüfen. Die darin enthaltene Vermutung, das könne nötig sein, charmiert.
Am 10. Juni wird das Frankfurter SEK wegen „inakzeptablen Fehlverhaltens“ mehrerer Mitarbeiter aufgelöst. Wäre das ein Modell für die gesamte Polizei in Sachsen oder haben Sie da noch Hoffnung auf demokratische Besserung?
„Ein von übersteigertem Korpsgeist geprägtes Eigenleben“ ist eine hübsche Umschreibung für eine Nazi-Chatgruppe im Staatsdienst. Hessens CDU-Innenminister rettete mit dem Rauswurf seinen Job und darf beim nächsten Polizeiball nicht mehr mit Tombola-Hauptgewinnen rechnen. Zuvor waren in Sachsen Polizeischüler wegen Nazisprech von der Hochschule geflogen. Zwei Lehren: Innenminister, die früher hinschauen; Augen auf schon bei der Rekrutierung.
Vom 14. bis 17. Juli 2021 wird das Ahrtal schwer von Starkregen und Hochwasser getroffen. In der Stadt Sinzig sterben zwölf Bewohner einer Behinderteneinrichtung. Sind diese und andere Katastrophen in Zusammenhang mit den Überschwemmungen adäquat aufgearbeitet worden?
Hambacher Forst, Rezo-Video, nun die Flutkatastrophe in der Eifel: Die CDU hat sich in die Paranoia hineingesteigert, vor jeder Wahl passiere etwas in Sachen Jugend und Klima, das ihr schade. Das Irre ist: Es stimmt. Das könnte mit ihrer unklaren Linie beim Thema zu tun haben – auf gut Laschet „man ändert wegen eines solchen Tages nicht seine Politik“. Den Tag möchte man nicht erleben, an dem es doch nötig würde.
Am 4. August fliegt die belarussische Olympia-Teilnehmerin Kristina Timanowskaja von Tokio aus ins Exil. Die Proteste gegen das autoritäre Regime in Minsk, das Drama an der polnischen EU-Außengrenze – sind wir schlicht überfordert von den Ereignissen oder ist die deutsche Zivilgesellschaft zu träge geworden?
Habeck wollte der Ukraine Drohnen geben, Baerbock Nord Stream 2, nunja, am stilllegendsten, und in der nunmehr Opposition holen befreite Unionspolitiker ihre Kalte-Kriegs-Textbausteine aus dem Keller. Da ist doch ordentlich was los in der Zivilgesellschaft. Die Kunst wird sein, knapp vor Rechthaben abzubiegen in Richtung Lösung. Also sozusagen: Außenpolitik, einem eher kleinen Land angemessen. Deutschland ist kaum moralische und kulturelle Instanz, es ist militärisch eher kompetent niedlich. Was bleibt, ist Wirtschaftsmacht.
Am 26. September wird ein neuer Bundestag gewählt – war am alten irgendwas besser?
27 Angeordnete weniger. Es ist gefühlt einen Jenninger her, seit alle PräsidentInnen eine Reform forderten – und das Hohe Haus bockte: Süssmuth, Thierse, Lammert, Schäuble hinterließen schwellende Häuser. Die Neue, Bärbel Bas, möchte nun „verhindern, dass Abgeordnete in Containern auf der Reichstagswiese hausen“. Ach naja. Man wüsste, wem man’s gönnte.
Am 2. Oktober 2021 werden die „Pandora Papers“ veröffentlicht. Haben Sie denen irgendeine Scheußlichkeit entnommen, die Sie über die Superreichen noch nicht zumindest vermutet hätten?
Machtmensch wird man, weil man total hehre Ideale hat, oder nichts anderes gelernt; weil die anderen noch schlimmer sind oder weil ein komplettes Lederoutfit teurer gewesen wäre. Zu dieser ambivalenten Neigung tritt bei 35 Ex- und Noch-Regierenden ausweislich der Panama Papers die blanke Habsucht. Familie Blair, Ukraines Hoffnungsträger Selenskij, Tschechiens Babiš, und – ohne sie wäre man schon enttäuscht – Aserbaidschans Schurkenclan Aliev. Und bevor die Politik sich diese Verbrecher kauft, kauften Alievs umgekehrt ein Rudel Bundestagsabgeordnete. So nah sind Reich- und Armseligkeit beieinander. Andere Politiker – etwa der deutsche Finanzminister Scholz – forderten die Herausgabe der Unterlagen. Wer 600 JournalistInnen seine Arbeit machen lässt, könnte gegen Ende des nämlichen Jahres mal eine Idee für Julian Assange entwickeln. Ohne Whistleblower keine „papers“.
Am 3. November gewinnt der Republikaner Glenn Youngkin die Gouverneurswahl im US-Bundesstaat Virginia. Viele Siege für die Demokratische Partei von US-Präsident Biden gab es dieses Jahr nicht – oder täuscht der Eindruck?
Wir hier sind noch nicht mit freuen fertig, dass Trump weg ist – drüben isser längst wieder da. Biden und seine Demokraten verspotteten Youngkin als „Trump in Khakihosen“. Jetzt rätseln sie, ob ihm das die Wahl gewann. Bei den Kongresswahlen in einem halben Jahr kann Biden die knappe Mehrheit verlieren.
Am 2. Weihnachtsfeiertag nimmt die im Mittelmeer kreuzende Sea-Watch 3 von einem Flüchtlingsboot 96 Menschen an Bord. Insgesamt hat die Crew damit fast 450 gerettete Bootsmigranten auf dem Schiff, das jüngste Kind ist zwei Wochen alt. Ist das eine tröstliche oder eine deprimierende Weihnachtsbotschaft?
„Soziales Ende der Pandemie“ heißt nicht nur, herzlos gegenüber Todkranken zu werden. Sondern auch, sein Herz wiederzufinden für die anderen Themen.
Und was machten die Borussen?
Wenn der Plan war, so zu spielen, dass man Erling Haaland am Saisonende einen Vereinswechsel nicht übel nimmt, sind wir sensationell gut unterwegs.
Fragen: Ambros Waibel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos