Misshandlungen in Haasenburg-Heimen: Hamburger Senator in Erklärungsnot
Ein Haasenburg-Flüchtling widerspricht der Sozialbehörde. Die hatte behauptet, der Junge habe seine Aussagen zu Misshandlungen zurückgezogen.
BERLIN taz | Vor wenigen Tagen schickte die Hamburger Sozialbehörde den aus einem Heim der Haasenburg GmbH geflohenen Andre* zurück in eine Einrichtung des Trägers – und die Frage, was der Junge alles gesagt oder nicht gesagt haben soll, hat sich mittlerweile zum Politikum entwickelt.
Verschiedene Medien streuten, der Junge habe seine Vorwürfe zurückgezogen. Als Quelle wird die Hamburger Sozialbehörde genannt. Der Anwalt des Jungen, Rudolf von Bracken, hat inzwischen mit seinem Mandanten telefoniert und berichtet: „Er hat nichts zurückgenommen. Er ist entrüstet, dass das behauptet wird.“
Auch das Brandenburgische Jugendministerium erklärt nun, der 16-Jährige habe Misshandlungsvorwürfe im Gespräch mit Mitarbeitern des Landesjugendamts bestätigt. Brandenburg hatte einen Belegungsstopp für Heime der Haasenburg GmbH erlassen und fühlt sich nun bestätigt.
Dreizehn Sozialpädagogen und -pädagoginnen des KIDS, einer Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche am Hamburger Hauptbahnhof, fordern die Schließung der Haasenburg-Heime. Es gebe „sinnvolle und erfolgreiche pädagogische Alternativen zu geschlossener Unterbringung“, heißt es in ihrer
(PDF, 326 KB).In einer Presseerklärung der Hamburger Sozialbehörde hatte es zuvor dagegen geheißen, der Junge sei von „zuständigen Fachkräften“ befragt worden und habe die Vorwürfe nicht bestätigt. „Der Jugendliche ist ausdrücklich zu den Vorkommnissen befragt worden und er hat sie nicht wiederholt“, sagte Pressesprecher Olaf Dittmann der Hamburger Morgenpost.
Die taz fragte bei der Behörde nach, ob der Junge bei dem Gespräch unter Druck stand, oder auf ihn ein solcher ausgeübt wurde. Die Antwort wurde mit Verweis auf „Sozialdatenschutz“ verweigert. Auch die Frage, ob die Behörde Journalisten gegenüber erklärt habe, der Junge habe widerrufen, blockt die Pressestelle mit dem gleichen Grund ab. Am Montag nun legte der Hamburger Senat nach. SPD-Sozialsenator Detelf Scheele sagte: „Gegenwärtig gibt es keine Anzeichen, dass Hamburger gefährdet wären.“
Die taz hatte die Gelegenheit, mit dem Hamburger Jungen nach seiner Flucht zu sprechen.
taz: Erzähl bitte, wie Du das erste Mal „begrenzt“ wurdest.
Andre: Sie haben mich zu dritt oder viert auf den Boden geschmissen. Ich bin mit dem Gesicht aufgekommen. Dann haben sie mich über den Boden gezogen wobei ich mir eine Schürfwunde zugezogen habe. Dann haben sie die Griffe angewendet. Höllische Schmerzen. Ich hatte schon ein angebrochenes Handgelenk. Danach hatte ich ein bis zwei Wochen Schmerzen in der Hand. Die haben mich auch nicht zum Arzt gefahren.
Und dann?
Mir kamen die Tränen, ich konnte nicht mehr klar denken vor Schmerzen. Da habe ich gesagt: Ich möchte mit der Polizei sprechen, um das zu melden. Das haben die verweigert. Dann wollte ich einen Brief an meine Mutter schicken, damit die das weiterleitet. Das haben sie mir auch verboten.
Laut Andre sei das vor sieben Monaten passiert. Das Oberlandesgericht Hamburg muss nun entscheiden, ob er weiter in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht wird. Im Fall des 16-Jährigen Tobias*, der ebenfalls floh und nach seiner Rückkehr in ein Heim der Haasenburg GmbH Misshandlungsvorwürfe vor den Brandenburger Behörden wiederholte, wird das Amtsgericht Ottweiler am 22. Juli verhandeln.
Scheele werde sich „erklären müssen, warum er untätig bleibt und gegen jeden Sachverstand den entwichenen Jugendlichen sogar wieder zurück geschickt hat“, sagt Christiane Blömeke, jugendpolitische Sprecherin der Grünen in Hamburg. Bela Rogalla, Landessprecher der Hamburger Linken sagte, Senator Scheele solle „die notwendigen Konsequenzen ziehen: Die Kinder und Jugendlichen müssen sofort vor Zwang und Gewalt in der Haasenburg geschützt werden“.
Auch das brandenburgische Jugendministerium hält weiter an den Suspendierungen von drei Mitarbeitern und dem Belegungsstopp fest. Die Haasenburg GmbH geht gegen den Belegungsstopp des Ministeriums nun juristisch vor.
Mittlerweile könnte ein viertes Kind aus der Einrichtung geflohen sein. In der Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Hamburger Fraktion Die Linke an den Senat heißt es, ein Kind sei bei einem Außentermin „entwichen“. Näheres gibt die Behörde nicht preis. Begründung: Sozialdatenschutz.
* Namen geändert
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