Jugendlicher über Haasenburg-Heim: „Ich will auf keinen Fall zurück“
Ein geflüchteter Heiminsasse spricht von Misshandlungen, Drohungen und Demütigungen. Die Haasenburg habe ihn „gefühlskälter“ gemacht.
Drei Jungen flüchteten im Juli aus Heimen der Haasenburg GmbH. Sie erhoben schwere Vorwürfe wegen Misshandlungen. Zwei Jungen, sie sind aus dem Saarland und Hamburg, waren gegen ihren Willen wieder in die umstrittene Einrichtung zurückgebracht worden. Der Junge, der aus dem Saarland stammt, hält nach Aussage seines Anwaltes an seinen Vorwürfen gegenüber der Haasenburg GmbH fest. Das würde er auch dem Landesjugenddamt Brandenburg so sagen. Der Hamburger Senat hatte zuvor verbreitet, die Jungen würden ihre Vorwürfe dementieren. Ein dritter Junge befindet sich noch auf der Flucht. Bei ihm entschied das Jugendamt Berlin-Charlottenburg, dass es nicht angemessen wäre, ihn in die Haaseburg GmbH zurück zu führen, so der Anwalt. Die taz hat die Haasenburg GmbH mit den Kernaussagen dieses Interviews konfrontiert. Eine Stellungnahme von der Haasenburg GmbH blieb aus.
Nico*, weshalb bist du aus dem Heim der Haasenburg GmbH geflüchtet?
Nico: Wegen der strengen Regeln dort und wegen der Missstände. Und weil ich Kontakt zu meinen Freunden wollte.
Was ist dir passiert?
Einen Tag vor meiner Flucht hatte ich Streit mit einem Erzieher. Ich hatte abends geklopft, weil ich etwas zu Trinken wollte. Das mussten wir so machen. Da hat er gesagt, du kriegst nichts, du hast schon vor einer halben Stunde getrunken. Er hat mich dann in mein Zimmer geschubst. Das hab ich mir nicht gefallen lassen und bin raus in den Flur, um mir was zu Trinken zu holen. Da hat er einen anderen Erzieher aus der Nachbargruppe angefunkt. Ich wollte wieder rein in mein Zimmer, da hat er ausgeholt und mir heftig in den Po getreten mit seiner Fußspitze.
Und dann bist du wieder ins Zimmer?
Nein, das hat sehr weh getan. Der hat so doll zugetreten, dass am nächsten Tag sein Fuß sichtbar geschwollen war. Ich habe mir gesagt, so nicht mit mir, habe einen Stuhl umgeschmissen, habe rumgeblökt und bin zum Wasserhahn, um was zu trinken. Da kam der zweite Betreuer an und hat gesagt: Ich weiß nicht, was vorgefallen ist, aber wenn ich noch einmal wegen dir rüberkommen muss, dann verdrehe ich dir deine Gliedmaßen oder Körperteile – ich weiß es nicht mehr so genau, welches Wort er gewählt hat.
Er hat dir gedroht?
Ja. Ich habe ihm gesagt, das dürfen Sie gar nicht. Da meinte er: wird Zeit, dass du das mal kennen lernst. Da sagte ich, das dürfen Sie nicht, denn ich gefährde weder mich noch andere. Da sagte der, das sei immer Auslegungssache und er sei sicher, sein Kollege würde ihm da zustimmen.
Bill und Hillary, Sahra und Oskar, Gerd und Doris: Wie funktionieren Beziehungen in aller Öffentlichkeit? Die Titelgeschichte „Liebe. Macht. Politik“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 13./14. Juli 2013. Darin außerdem: Am 24. April brach in Bangladesh ein Hochhaus über 3.500 Näherinnen ein. Die Schuldigen dafür waren im Land schnell gefunden: ihre Chefs. Die Geschichte zweier Glücksritter. Und der Streit der Woche zur Frage: Ist Datenhygiene jetzt Bürgerpflicht? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Hast du so eine Maßnahme schon mitbekommen?
Ich habe bei anderen gesehen, wie das gemacht wurde. Ein Junge, der weglaufen wollte, den haben sie auf den Boden geworfen und Arme und Hände verdreht. Dabei hätte einfach Festhalten gereicht. Der hat noch gefleht: „Bitte nicht so doll, nicht so doll.“
Es war zu lesen, du wurdest in einer Mülltonne fotografiert?
Ja, das war beim Müllrausbringen. Da gibt es so große Container. Der Erzieher sagt zu mir, steig da rein, dann reiche ich dir den Müll rein. Das habe ich gemacht. Dann sagte er auf einmal, wieso bist du denn da reingestiegen, ’du bist ja ein Müllbobby, haha, ich lach mich tot’ und hat mich fotografiert und die Klappe zugemacht. Später hat er die Bilder anderen rumgezeigt.
Wie war dein Alltag im Heim der Haasenburg GmbH?
Ich war knapp zwölf Monate dort und hab die meiste Zeit nur an meinem Tisch gesessen und mich zu Tode gelangweilt. Ich war oft in Einzelbetreuung. In der Gruppe war ich nur selten.
Durftest du dich in deinem Zimmer frei bewegen?
Nein. Wenn ich mich aufs Bett setzen oder ans Fenster stellen wollte, musste ich immer vorher klopfen und den Erzieher fragen „darf ich mich aufs Bett setzen oder darf ich mich auf Bett lümmeln“. Meistens kam ein „Nein“. Hat man das gemacht, ohne zu fragen, gab es erst einen Hinweis und beim zweiten Mal wurde das Bett rausgenommen. Es gab auch eine Station, da wurden dann beim Fenster die Außenrollos runtergelassen.
War das immer so, oder nur am Anfang?
Das war die ganze Zeit so schlimm, bis ich endlich flüchten konnte.
Konntest du rausgehen?
Allein aufs Gelände durfte ich nie, nur ein paar mal in Begleitung eines Erziehers. In der Regel durfte ich nur im Pausenhof an die frische Luft. Das ist ein von hohen Zäunen umgitterter Basketballplatz.
Was hat die Zeit dort mit dir gemacht?
Nichts Positives. Ich bin gefühlskälter geworden.
Gab es dort Therapeuten, mit denen du reden konntest?
Es gab eine Psychologin, aber die war voll eingebunden in das Konzept. Da nützt es ja nichts, wenn ich mich darüber beschwere, was mir nicht gefällt.
Wie seid ihr geflüchtet?
Darüber möchte ich nichts sagen.
Du bist jetzt untergetaucht. Wie geht es mit dir weiter?
Ich will auf keinen Fall zurück in die Haasenburg. Mein Anwalt hat mir schon gesagt, dass ich das auch nicht muss. Nun Kämpfe ich darum, dass ich nicht in ein anderes geschlossenes Heim komme. Ich möchte in eine offene Einrichtung. Ich habe keine Straftaten begangen.
Die beiden anderen wurden von der Polizei wieder zurückgebracht.
Es wird denen schrecklich gehen. Gerade wo jetzt schon Mitarbeiter gehen mussten wegen unserer Aussagen. Sie werden in Einzelbetreuung sein, zurück auf Null gestuft, werden die Aufgabe bekommen, alles zu reflektieren. Sie werden von den Erziehern menschlich wie der letzte Dreck behandelt werden, weil sie Missstände angeprangert haben.
*Name von der Redaktion geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt