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Missbrauchsskandal im SchwimmenKein Neustart, aber eine Zäsur

Alina Schwermer
Kommentar von Alina Schwermer

Immer mehr Betroffene melden sich beim Deutschen Schwimmverband. Der Missbrauchsskandal könnte für den deutschen Sport ein Einschnitt werden.

Berichtet von jahrelangem Missbrauch: der frühere Profi-Schwimmer Jan Hempel (hier im Jahr 1999) Foto: Stefan Hesse/dpa

D ie Entschuldigung kam viel zu spät, aber schließlich kam sie: Am Montagabend hat sich der Deutsche Schwimmverband (DSV) bei allen Opfern körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt entschuldigt und umfassende Aufarbeitung angekündigt. Des Weiteren versprach der Verband verpflichtende Schulungen für Mit­ar­bei­te­r:in­nen zum Thema sexualisierte Gewalt und begrüßte die geplante unabhängige Anlaufstelle.

Anderes als Reue blieb ihm auch gar nicht mehr übrig angesichts der massiven mutmaßlichen Verbrechen, die gerade publik werden. Der einstige Spitzenathlet Jan Hempel hatte vergangene Woche öffentlich gemacht, dass er jahrelangen schwersten sexuellen Missbrauch durch seinen Trainer erlitt, protegiert von Funktionär:innen. Kein Einzelfall, sondern systemisch: Täglich melden sich derzeit weitere Missbrauchsopfer beim DSV.

Noch ist vieles unklar. Doch der Missbrauchsskandal im Schwimmen könnte für Deutschland zu dem werden, was der Missbrauchsskandal im Turnen für die USA war: eine Zäsur. Bemerkenswert hoch ist derzeit die mediale Aufmerksamkeit; es hilft, dass der Kronzeuge ein Medaillengewinner und ein Mann ist. Lobenswert ist auch der prompte Druck aus der Politik. SPD-Sport-Staatssekretär Mahmut Özdemir drohte dem gut gepamperten DSV unverhohlen mit der Streichung öffentlicher Fördermittel. Geldeinbußen sind bekanntlich ein schneller spürbares Druckmittel als die Folgen schlechter Presse.

Es ist der richtige Zeitpunkt und die richtige Sportart: Zum Volkssport Schwimmen hat fast je­des Kind Bezug, wenngleich der DSV nicht mehr unter den Top Ten der mitgliederstärksten deutschen Sportverbände steht. Es ist eine Chance, den systemischen Missbrauch im deutschen Sport endlich ernsthaft zu bekämpfen, auch die großen Schwimmvereine unter Druck zu setzen. Die Fokussierung auf sexualisierte Gewalt wird allerdings die anderen Formen der Gewalt im Sport wieder unter den Tisch fallen lassen. Eine Neuentwicklung eines kaputten Systems ist das hier nicht. Aber es ist ein Anfang.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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