Missbrauch in der anglikanischen Kirche: Erzbischof tritt nach Vertuschungsvorwürfen zurück
In Großbritannien war der Druck auf Justin Welby immer weiter gestiegen. Laut einer Untersuchung soll er schweren Missbrauch vertuscht haben.
In einer Petition hatten bereits mehr als 10.000 Menschen seinen Rücktritt gefordert, darunter zahlreiche Mitglieder der Generalsynode, außerdem Überlebende des Missbrauchs. Sie werfen ihm vor, die Missbrauchsfälle durch John Smyth gedeckt zu haben.
Der Anwalt John Smyth hatte über einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten mindestens 115 Jungen und junge Männer in England, Südafrika und in Simbabwe sexuell und psychisch schwer missbraucht. Auch seinen eigenen Sohn hat er wohl misshandelt. Smyth war Vorsitzender einer Organisation, die christliche Jugendlager organisierte.
Missbrauchsfälle bereits 2017 aufgedeckt
Er soll einige Jungen gedrängt haben, kalt mit ihm zu duschen, es ging um erzwungene Masturbation und Peitschenhiebe, die Smyth den Jungen versetzt haben soll, angeblich zum Ziel „christlichen Wachstums“. Smyth verstarb 2017 im Alter von 75 Jahren, ohne je verurteilt worden zu sein.
Im Februar 2017 wurden die Missbrauchsfälle in einer Untersuchung des britischen Fernsehsenders Channel 4 News aufgedeckt. Diese Untersuchung folgte auf einen Bericht aus dem Jahr 1982, der wohl von der Kirche vertuscht und erst 2016 veröffentlicht wurde.
Die nun veröffentlichte unabhängige Untersuchung stellt fest, dass Welby spätestens seit Juli 2013 vom Missbrauch wusste. Eine Untersuchung leitete er nicht ein, auch die Behörden verständigte er nicht. 2017 erklärte Welby in einem Interview gegenüber einem britischen Fernsehsender, er sei sich der Schwere der Vergehen von Smyth nicht bewusst gewesen, sonst hätte er reagiert.
Ob er auch zuvor bereits darüber informiert war, ist umstritten. Jedoch sagt der Untersuchungsbericht aus, es sei „unwahrscheinlich“, dass er in den 1980er Jahren nichts davon wusste.
Welby soll nicht eingegriffen haben
Der Untersuchungsbericht kommt zu dem Schluss, dass Welby als Vertreter der Kirche Smyth in Großbritannien und in Südafrika polizeilich hätte melden müssen. Smyth lebte damals in Südafrika. So hätte Welby sicherstellen müssen, dass dort niemand mehr sein Opfer werden könnte. Der Bericht nimmt auch weitere Personen in die Verantwortung und beschuldigt etwa Welbys Vorgänger, weitere Bischöfe und Pfarrer, nicht eingegriffen zu haben.
„Die Untersuchung macht deutlich, dass ich persönlich nach Enthüllungen im Jahr 2013 versagt habe, die fürchterliche Tragödie untersuchen zu lassen“, erklärte Welby in einer öffentlichen Entschuldigung. Er habe sich nicht sofort mit Opfern getroffen, nachdem die schrecklichen Einzelheiten im Fernsehsender Channel 4 gezeigt worden waren.
Er versicherte, dass der Umgang mit Opfern von Missbrauch sich seitdem grundlegend geändert hätte, auch wenn es das Geschehene nicht rückgängig machen könne. Rücktrittsforderungen hatte Welby zunächst zurückgewiesen. Vor seinem Ruhestand wären ihm noch zwei Jahre im Amt geblieben.
Bischöfin von Newcastle: Rücktritt ziehe Schlussstrich
Die Bischöfin von Newcastle, Dr. Helen-Ann Hartley, war überzeugt davon, dass Welby sich nicht auf seinem Posten würde halten können – und dies auch nicht sollte. „Es ist schwer vorstellbar, wie wir unsere Stellung als nationale Stimme der Moral halten können, wenn wir unser Haus nicht rein kehren“, sagte sie.
Für eine Institution, die die Botschaft Jesu Christi trage und den Anspruch hat, sich um die Verletzlichsten zu kümmern, gelte dies besonders. Zwar würde ein Rücktritt Welbys nicht alle Probleme lösen, jedoch einen klaren Schlussstrich ziehen. Die Sicherheit von verletzlichen Personen müsse in Zukunft unabhängig von kirchlichen Verantwortlichen geprüft werden.
Die Mitgliederzahlen der anglikanischen Kirche sind in den letzten Jahrzehnten stark geschrumpft, nur noch zwölf Prozent aller Brit:innen sind Mitglied. Laut einer in der Untersuchung zitierten Psychiaterin könnten konservativ-christliche Lehren den Missbrauch begünstigt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus