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Misogynie und RassismusLasst euch nicht besänftigen

Die US-Autorin und Aktivistin Soraya Chemaly zeigt die Wut als befreiende Kraft. Auch wie Rassismus und Antifeminismus zusammenhängen.

Besonders der Protest von schwarzen Frauen wird gerne überhört, Washington D.C. am 7. Juni Foto: Stephen Voss/Redux/laif

In diesen Tagen flimmert sie wieder in vielen aufgeregten Bildern über unsere Displays: Wut. Der Mord an George Floyd hat eine Welle der Entrüstung ausgelöst und ein altbekanntes Problem wieder neu in den Fokus gerückt: den strukturellen und institutionellen Rassismus innerhalb unserer Gesellschaft. Unter den Demonstrant*innen sind besonders viele Frauen.

Folgt man der US-amerikanischen Journalistin und Aktivistin Soraya Chemaly, ist das kein Zufall. In ihrem nun auf Deutsch erschienenen Buch „Speak Out!“ zeigt die Autorin, dass der Kampf gegen Rassismus eng mit der Frauenrechtsbewegung verbunden ist.

In ihrer Abhandlung über die Kraft der weiblichen Wut führt sie daher viele Schwarze Frauen an, die sich unerschrocken gegen die Benachteiligung und Herabwürdigung von Schwarzen und People of Color einsetzen. Dabei ist das gerade für diese Frauen ungleich schwerer, wie Chemaly eindrücklich herausstellt. Ihre Stimmen werden seltener gehört, weil ihre Wut härter gemaßregelt wird.

Das Buch

Soraya Chemaly: „Speak out!“ Aus dem amerika­nischen Englisch von Kirsten Riesselmann und Gesine Schröder. Suhrkamp Verlag 2020, 393 Seiten, 20 Euro

Generell ist das so eine Sache mit der weiblichen Wut, meint die Autorin. „Es gibt wohl keine einzige Frau auf der Welt, die nicht wüsste, wie offen weibliche Wut verunglimpft wird.“ Als Beispiel führt sie die rassistischen Stereotypen von der zornigen Schwarzen, der feurigen Latina, der traurigen Asiatin und der verrückten Weißen an. Damit gelten Frauen, sobald sie ihrem Ärger Luft machen, gemeinhin meist als jähzornig, ungerecht und schlicht zu emotional. Schon kleine Mädchen leiden unter dieser strukturellen Diskriminierung. Weitaus häufiger als Jungs werden sie, wie Chemaly anhand von Studien der aktuellen Genderforschung zeigt, gemaßregelt und damit letztlich beinahe mundtot gemacht.

Erfahrungen der Ohnmacht

Welche Auswirkungen diese Erfahrungen der Ohnmacht und Ungerechtigkeit auf das Leben einer erwachsenen Frau haben, legt die Publizistin in einem abwechslungsreichen Mix aus persönlichen Erfahrungen und aktuellen Studien offen.

Tatsächlich sind die Formen von Diskriminierungen von Frauen vielfältig und schlagen in Bereichen zu, in denen man nicht unbedingt mit ihnen rechnet. So werden Frauen, die beim Arzt über Schmerzen klagen, meist mit Beruhigungsmitteln abgespeist. Männer bekommen dagegen das ersehnte Schmerzmittel. Auch mit der in der Gesellschaft häufig ach so hoch angesehenen Mutterschaft ist es nicht so weither, wenn man bei Chemaly liest, „dass alle 90 Sekunden eine Frau an einer vermeidbaren Komplikation im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft stirbt.“

taz am wochenende

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Daneben erledigen Frauen immer noch den Mammutanteil an unbezahlten Aufgaben in Haushalt und Familie. Gleichzeitig überschätzen Männer häufig ihren Arbeitseinsatz im häuslichen Umfeld. Da wundert es wenig, dass die Autorin zu berichten weiß, dass in den letzten 30 Jahren das Engagement von Männern im Haushalt gerade mal um eine Minute pro Tag gestiegen ist.

Wirft man einen kritischen Blick auf das aktuelle Konjunkturpaket der Bundesregierung, dann wird klar, dass auch Politiker*innen ihren Einsatz für Frauen unterschätzen. Die Worte „Frauen“, „Geschlechtergerechtigkeit“ und „Care“ kommen nämlich in diesem nicht mal vor. Dabei sind es in der ersten Linie Frauen, die die systemrelevanten Jobs in der Pandemie erledigt haben.

Frauen als Expertinnen

Apropos Pandemie. Beim Auftritt von Frauen als Expertinnen sieht man ebenfalls Chemalys Thesen in „Speak Out!“ bestätigt. Oder fällt Ihnen auf Anhieb eine Virologin ein, die man regelmäßig zu ihren Forschungsergebnissen am Virus befragt hätte?

Wenn Frauen dann mal in Diskussionsrunden gefragt werden, läuft es aber auch nicht viel besser. Am Beispiel von Wahlkampfdiskussionen zwischen Donald Trump und Hillary Clinton veranschaulicht die Autorin, dass Frauen beim Sprechen weitaus häufiger unterbrochen werden als Männer. Gleichzeitig wird ihr Redeanteil aber höher eingeschätzt.

Beim Lesen von „Speak Out!“ kann man mitunter also auch ziemlich wütend werden. Die Liste an Diskriminierungen, Rassismus und Misogynie, die Frauen aber auch besonders hart Mitglieder der LGBTIQ-Gruppe noch immer in dieser Welt entgegenschlagen, ist genauso lang wie unerhört. Die gute Nachricht: Chemaly lässt die Leser*innen mit ihrer Wut nicht allein, sondern gibt praktische Handlungsempfehlungen, wie man seine Wut in konstruktive Bahnen lenken kann.

Damit macht die preisgekrönte Journalistin Schluss mit dem Mythos von der Frau als jäh- und rachsüchtige Xanthippe und entwickelt ein Frauenbild, das die Kraft hat, die Gesellschaft in eine freie und offenere umzugestalten.

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8 Kommentare

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  • "Am Beispiel von Wahlkampfdiskussionen zwischen Donald Trump und Hillary Clinton veranschaulicht die Autorin, dass Frauen beim Sprechen weitaus häufiger unterbrochen werden als Männer."

    Nun, zumindest einmal ließ er sie aber ausreden:



    Clinton: "It’s just awfully good that someone with the temperament of Donald Trump is not in charge of the law in our country."



    Trump: "Because you'd be in jail."

    Der legendärste Moment in der US Debattengeschichte.

    • @Tobias Schmidt:

      Schlagfertigkeit schützt nicht vor Erfolg.

  • Ich finde es gut, dass die Themen Rassismus und Frauenfeindlichkeit verknüpft werden. Ich weise oft darauf hin, dass Männer, die sich diskriminiert, unterdrückt oder schikaniert fühlen, zwar für sich selbst mehr Rechte wollen und eine Beendigung dieser Zustände, aber sie meistens keinesfalls bereit sind, dies auch den Frauen zuzubilligen. Das finde ich so heuchlerisch und ich ärgere mich oft, dass dieser Widerspruch so selten thematisiert wird. Meiner Meinung nach kommen wir weiter, wenn wir Rassismus und Frauenfeindlichkeit zusammen denken.

    Ich frage mich oft, mit welchem Recht erwarten diskriminierte Männer, dass die Diskriminierungen aufhören



    ("nur" sie betreffend), wenn sie selbst tagtäglich diskriminieren.

    Die Grundlage für das Zusammenleben von uns allen muss aus meiner Sicht sein, ich diskriminiere nicht und werde auch nicht diskriminiert.

    Für mich heißt das, auch diskriminierte Menschen müssen darüber nachdenken, wo sie selbst diskriminieren. Keinesfalls, obwohl ich Männer toll finde, bin ich bereit, diskriminierte Männer zu unterstützen, wenn sie nicht ihrerseits auf Diskriminierung verzichten.

  • Nicht nur Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit gehören zusammen, sondern auch Rassismus und Behindertenfeindlichkeit. Behindertenfeindlichkeit gehört zu der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die von vielen Feminst*innen und Anti – Rassistinnen kaum noch mitgenannt wird.

    Frauen*Lesben mit Behinderungen hatten Ende der Achtziger/Anfang der neunziger Jahre weitaus mehr öffentlichen Raum, um sich noch Gehör zu verschaffen. Durch Harz vier und den Neoliberalismus ist dieser Raum sehr stark und systematisch beschnitten worden.

    Seit mehreren Jahren ist es sehr schwer geworden, überhaupt noch Menschen anderer, sozialer Gruppen für einen Kampf gegen Behindertenfeindlichkeit zu mobilisieren. Auch in der „taz“ wird Behindertenfeindlichkeit als Form gruppenbezogener Menschenfeindlickeit in sehr vielen Artikeln gegen Rassismus nicht mitgenannt und nicht mitgedacht.

    Vor einem Jahr habe ich eine mehrtägige Fortbildung gegen Rassismus besucht. Auch dort kam Behindertenfeindlichkeit als Diskriminierung nicht vor – weder als soziale Form de Diskriminierung, noch als strukturelle und institutionelle Diskriminierung. Das macht es Tätern und Täterinnen viel leichter, Frauen*Lesben mit Behinderungen auszubeuten.

    • @blueprint:

      Nachtrag: Selbstverständlich ist es wichtig, dass auch Behindertenfeindlichkeit bekämpft wird, wo es nur geht. Mein Kommentar von eben sollte auch keine Rechtfertigung sein sondern eine Bitte um Erklärung.

    • @blueprint:

      Hast Du dafür Beispiele? Ich frage deshalb, weil sich viele Menschen vielleicht nicht vorstellen können, wo oder wer Behinderte feindlich behandelt und diese Feindseligkeit deshalb nicht auf dem Radar haben.

      Ich selbst kenne es eher so, dass man gegenüber (erkennbar) behinderten Menschen besonders freundlich, hilfsbereit und rücksichtsvoll ist.

  • Auf das neue Frauenbild haben wir auch in Deutschland lange gewartet. Es kommt zur rechten Zeit.

  • Klingt interessant und plausibel. Hol ich mir