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Mirrianne Mahn über Aktivismus„Ich sehe mich auch als Täterin“

Die Schriftstellerin Mirrianne Mahn schildert in ihrem Debütroman „Issa“ die Erfahrung von Deutsch-Kamerunerinnen mit rassistischen Fragen.

„Vergangenheit anschauen, um Gegenwart zu verstehen und Zukunft gestalten zu können“: die Schriftstellerin Mirrianne Mahn Foto: Katharina Dubno
Shirin Sojitrawalla
Interview von Shirin Sojitrawalla

wochentaz: Frau Mahn, Sie sind 2021 mit Ihrem Auftritt während der Friedenspreisverleihung an Tsitsi Dangarembga überregional bekannt geworden. Sie sprachen damals vom Paradox, einer Schwarzen Frau diesen Preis ausgerechnet am letzten Tag einer Buchmesse zu verleihen, zu der sich Schwarze Frauen nicht eingeladen fühlten, weil rechtsextreme Verlage zugelassen waren. War das eine geplante Aktion?

Mirrianne Mahn: Ich wusste vorher nicht, dass ich das machen würde. Es war spontan, aber es war klar, dass ich irgendetwas sagen würde an dem Tag. Meine Kritik an Nazis auf der Buchmesse hat aber früher angefangen. 2017, als Björn Höcke dort für Tumulte gesorgt hat. Was mich vier Jahre später dazu brachte, in der Paulskirche das Wort zu ergreifen, war die Heuchelei von Politiker:innen.

Heuchelei?

Für mich persönlich war diese Veranstaltung ein historischer Moment: Eine Schwarze Frau, in Afrika lebend, eine Aktivistin von einem solchen Kaliber bekommt endlich diesen Preis. Als der damalige Oberbürgermeister Peter Feldmann dann sagte: „In Frankfurt ist kein Platz für Rassismus“, habe ich das Kotzen gekriegt. Das ist so eine Floskel! Ich werde schon wieder sauer.

Wieso?

Weil das genau der Kern des Problems ist. Der Vorwurf des Rassismus ist schlimmer als der Rassismus selbst. Dangarembga wurde während der Messe von Rechten auf Twitter verarscht. Das ist dieser Frau in Deutschland passiert. Und jetzt gebt ihr ihr einen Preis und denkt, ihr habt eure Arbeit gemacht. Nein, habt ihr nicht!

Im Interview: Mirrianne Mahn

Mirrianne Mahn wurde 1989 in Kamerun geboren und lebt heute in Frankfurt am Main. Sie engagiert sich als Theater­macherin und Aktivistin gegen Diskriminierung und Rassismus. Sie ist Referentin für Diversitätsentwicklung und seit 2021 Stadtverordnete. Im März erschien ihr erster Roman „Issa“ im Hamburger Rowohlt Verlag. Darin porträtiert Mirrianne Mahn fünf Frauen einer deutsch-kamerunischen Familie. Das Buch war neben zwei weiteren Romanen für den diesjährigen Debütpreis der lit.Cologne nominiert.

Sie waren Catering-Unternehmerin, sind Theatermacherin, Aktivistin und seit einigen Jahren Stadtverordnete für die Grünen in Frankfurt am Main. Jetzt haben Sie Ihren ersten Roman geschrieben, wie kam es dazu?

Ich finde das total naheliegend. Ich habe viel Theater gemacht, fürs Theater geschrieben, Regie geführt, Dramaturgie gemacht. Das Ding ist, ich rede gerne und viel und glaube, dass es ein Problem ist, dass wir immer versuchen, komplizierte Sachen zu vereinfachen. Alle Menschen wollen einfache Antworten auf komplizierte Fragen. Das Theater ist ein schönes Medium, um Aufmerksamkeit und Empathie zu erzeugen. Und genau das sehe ich auch als meine Aufgabe. So verstehe ich meinen Aktivismus und meine Politik.

Für was wollen Sie mit Ihrem Roman Aufmerksamkeit erregen?

Dafür, dass man in Deutschland immer noch Deutschsein mit Weißsein verbindet. Das ist in anderen europäischen Ländern nämlich nicht so, in Frankreich nicht, in Großbritannien nicht, noch nicht einmal in Portugal. Deutschland ist da wirklich hart hinterher. Deswegen habe ich diesen Roman geschrieben. Es ist ein sehr deutscher Roman, obwohl das Cover eine Schwarze Frau zeigt.

Das Cover ist so ziemlich das coolste dieses Frühjahrs.

Das finde ich auch!

Darauf eine Frau mit sehr dunkler Haut, sehr vollen Lippen, zwei Schmucknarben und üppigem Afro. Ihr Wunsch-Cover?

Ja! Ein Porträt von Oluwole Omofemi. Er malt wunderschöne Frauen. Und diese ist meine Mona Lisa. Je länger man sie anschaut, umso unterschiedlicher werden ihre Gesichtsausdrücke. Mal guckt sie arrogant, mal traurig, mal auch wütend von oben herab.

Trügt der Eindruck, oder ist Ihre Protagonistin Issa nah an Ihren eigenen Gefühlslagen?

Issa und ich leben in der gleichen Welt und teilen dieselbe Lebenserfahrung. Ich bin auch als Kind nach Deutschland gekommen, und ich bin auch im Hunsrück aufgewachsen. Da gibt es natürlich Parallelen. Trotzdem ist mir die deutsch-kamerunische Geschichte das Wichtigste an dem Roman. Ich sehe mich da auch als Täterin, weil ich mich als Deutsche sehe. Ich habe kaum Verbindungen nach Kamerun, war zum letzten Mal vor 18 Jahren dort. Ich bin durch und durch deutsch.

Der Roman erzählt vor dem Hintergrund der deutsch-kamerunischen Geschichte von fünf verschiedenen Frauen. Issa erzählt als einzige in Ich-Form. Gibt es eine Frage, auf die Ihr Roman die Antwort gibt?

Eigentlich ist der Roman die Antwort auf die Frage „Woher kommst du?“, eine Frage, die Issa in der Fußgängerzone, in der S-Bahn oder sonst wo dauernd ­gestellt bekommt.

Eine falsche Frage?

Schwarze Menschen reagieren extrem genervt auf die Frage, weil die Fragenden in 90 Prozent aller Fälle Afrika oder ein afrikanisches Land hören wollen, um dann zu sagen: „Da waren ich oder meine Nachbarn schon mal.“

Vielleicht sind sie nur neugierig oder suchen einen Gesprächsanfang.

Ich habe schon zahlreiche Vorträge darüber gehalten, warum die Frage rassistisch ist und was daran rassistisch ist. Die Leute fühlen sich dann immer angegriffen. Aber wenn man Issa fragen würde, woher kommst du, müsste sie weit ausholen.

Oder den Leuten einfach Ihren Roman in die Hand drücken.

Genau.

Dient Ihr Roman also auch der Aufklärung?

Das Buch ist nicht da, um zu belehren, es soll unterhalten. Ich lese extrem gerne und schreibe gerne alle möglichen Texte. Ich finde die deutsche Sprache wunderschön, obwohl sie nicht meine Muttersprache ist. Ich liebe, wie präzise sie ist, wie genau man sich darin ausdrücken kann.

Es ist ein unterhaltsames Buch geworden, aber auch ein sehr lehrreiches. Manchmal bin ich über Formulierungen gestolpert. Etwa wenn Issa ihre eigene Hautfarbe als „Schoko­braunton“ kategorisiert.

Ich habe das mit Absicht geschrieben, weil ich früher so meine Haut selbst beschrieben hätte. Der Roman spielt 2006. Damals waren wir alle noch nicht so sensibilisiert, auch Schwarze deutsche Menschen nicht.

Verstehe. An anderer Stelle heißt es von einer Frau, sie bewege sich grazil wie eine Antilope?

Ja, das sagt die auktoriale Erzählerin aus Kamerun. Anderes ist auch rausgefallen, etwa das Bild des Gorillas in Bezug auf einen Mann, der seine Familie schützt wie ein Silberrücken.

Menschen mit Tieren zu vergleichen ist für viele ja ein No-go.

Mir war es wichtig, die Bilder in meinem Kopf aufzuschreiben. In meinem Kopf reproduziere ich keine rassistischen Klischees wie „Schwarze Menschen sind wie Affen“, sondern ich sehe einen majestätisch stolzen Silberrücken, der seine Familie beschützt.

An einer Stelle des Romans sagt die Urgroßmutter Mbambah „Vergangenheit anschauen, um Gegenwart zu verstehen und Zukunft gestalten zu können“. Ist das der Kern Ihres Romans?

Ja! Das ist auch der Kernsatz, den meine Uroma tatsächlich gesagt hat. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, den Roman „Sankofa“ zu nennen, weil es genau das bedeutet. Dieses Schriftzeichen stellt einen Vogel dar, der nach hinten schaut und ein Ei mit seinem Rücken auffängt (sie eilt in die Küche und holt eine Tasse mit dem Sankofa-Vogel darauf).

Dieser Vogel hat eine besondere Bedeutung für Sie?

Das Wort gibt es in fast allen westafrikanischen Sprachen. Es ist die Tradition des Story­tellings und der Grund, warum ich überhaupt einen Roman schrei­ben wollte. Ich glaube, wenn wir die Gegenwart nicht verstehen, brauchen wir uns keine Gedanken um die Zukunft zu machen. Wir als Deutschland müssen verstehen, dass die deutsche Kolo­nial­geschichte Teil von all dem ist, was uns heute ausmacht.

Es geht im Roman nicht nur um Kolonialismus, sondern auch um Mutterschaft und Mütterlichkeit. Warum sind Ihnen diese Themen, abgesehen davon, dass Sie selbst zwei Kinder haben, wichtig?

Für mich ist es ein extrem feministischer Roman, weil er fünf Feministinnen begleitet, auch wenn sie das Wort vielleicht gar nicht kennen. Ich wollte über Frauen und Frauengemeinschaft schreiben. Was ist Sisterhood? Was bedeutet Solidarität unter Frauen? Ich konnte nicht darüber schreiben, ohne übers Muttersein zu sprechen. Die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern sind komplex, egal welche Hautfarbe man hat.

Sie erzählen Ihren Roman matrilinear, nur über die Frauen der Familie.

Mir war’s wichtig, Männern keinen Raum zu geben, ich glaube, das fällt auf (lacht). Ich wollte ganz bewusst Frauen in den Mittelpunkt stellen. Keine Astronautinnen oder Frauen, die etwas Krasses erfunden haben, sondern Alltagsheldinnen.

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