Minister Robert Habeck: Kein Arschloch hinterm Kuhschwanz
Deutschlands erster und einziger Energiewende-Minister, Robert Habeck, gewinnt die Menschen. Auch und selbst dann, wenn er selbst scheitert.
Er trage heute Schlips, aber nur ausnahmsweise, sagt Deutschlands erster und einziger Energiewendeminister, ein Doktor der Philosophie. Er hat ein Mikro in der Hand und lächelt von der Bühne in eine volle Bauhalle herunter. Ach, übrigens: „Was ist der Unterschied zwischen einem Schlips und einem Kuhschwanz?“ Robert Habeck wartet ein paar Sekunden, dann sagt er: „Der Kuhschwanz verdeckt das ganze Arschloch.“
Ein Moment Stille. Dann explodiert die Halle.
Aber vielleicht sollte man erst mal erzählen, wo sich diese Bauhalle überhaupt befindet. Sie steht am Stadtrand von Husum, ein paar Meter von Deich, Nordsee und gefleckten Kühen entfernt. An der Westküste, wie man in Schleswig-Holstein sagt. Wir sind beim Mitarbeiterfest des Landesbetriebs Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz, kurz LKN genannt. Es regnet.
Dieser und viele weitere spannende Texte erschienen in der 10.000sten Ausgabe der taz vom Dienstag, 8. Januar 2012. Am eKiosk immer noch zu haben. In dieser Ausgabe schreiben ehemalige und jetzige taz-RedakteurInnen, was sie schon immer einmal schreiben wollten.
Der LKN-Chef hat den Minister im Kleinbus herkutschiert, denn Habeck ist nicht nur für die Energiewende und Umwelt zuständig, sondern auch für Deichbau, Landwirtschaft, Fischerei, Verbraucherschutz, Reaktorsicherheit, Erdölbohrungen im Wattenmeer sowie Weiß-, Rot- und Blumenkohlköpfe. Die legendären Dithmarscher Kohltage eröffnen; so etwas macht er auch.
Der LKN-Chef heißt Johannes Oelerich, ist selbst ein fideler Kerl und tut, als mache er da auf der Bühne eine ganz harmlose Talkshow. In Wahrheit unterzieht er den neuen Minister einem knallharten Persönlichkeitstest. Habeck hat vorhin im Bus erst gesagt bekommen, was eigentlich genau ansteht. Aber jetzt legt er eine fast perfekte Mischung aus Pathos und Humor hin. Kaum Politikerfloskeln, keine eingeübten Feldherrngesten und Zeug, und selbst der LKN-Schlips, den er sich umgebunden hat, kommt nicht als Schleimgeste rüber, sondern als Bekenntnis. In jedem Moment ist zu spüren, dass er den Leuten eines unbedingt vermitteln will: Ich, Robert Habeck, bin eine ehrliche Haut, und ich verarsche euch nicht.
Habeck, 43, ist ein politischer Seiteneinsteiger. Er ist an der Ostsee aufgewachsen, war Schriftsteller und Familienmann, lebte und arbeitete mit seiner Frau und vier Söhnen zusammen zu Hause in Flensburg. Vor zehn Jahren trat er den Grünen bei, zwei Jahre später wurde er Landesvorsitzender – auch mit Hilfe eines Kuhschwanzwitzes. 2009 holte er als einer von zwei Spitzenkandidaten das bis dahin beste grüne Wahlergebnis (12,4 Prozent) in Schleswig-Holstein, das er im letzten Jahr als alleiniger Spitzenkandidat auf 13,2 Prozent steigerte. Mehr noch: Es reichte mit einer Stimme Mehrheit oder auch „Arsch über Latte“, wie der Herr Minister zu sagen beliebt, für SPD, Grüne und Südschlesischen Wählerverband, sodass Habeck jetzt stellvertretender Ministerpräsident ist.
49, ist Chefreporter und seit 1994 bei der taz. Forscht nach Politikern, mit denen man sich auf die Suche nach der Zukunft für dieses Land begeben möchte.
In zwei Büchern hat er gesellschaftlichen Fortschritt jenseits üblicher Politikerfibeln definiert. Dem anachronistischen Realo oder Fundi-Zuordnungswahn seiner Partei hat er sich stets entzogen und im Wahlkampf zunächst auch der alten Rot-Grün-Falle. Auf dieser Grundlage wollte er die Grünen in Schleswig-Holstein zur „Volkspartei neuen Typs“ vergrößern, wie das im Parteisprech heißt – von den Urbanen bis zu den Erneuerbaren-Energien-Bauern.
Ach, der Robert, sagen sie in Berlin gern und lächeln. Ein toller Junge. Wirklich. Es klingt ein bisschen nach: Lass den mal erwachsen werden. In einem Wahlkampf, der sehr ungrün auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten war, lag Habeck lange bei knapp 20 Prozent. Dann kam die Piraten-Euphorie, aber am Ende rettete Habeck die Partei gerade noch so. Er tat das Gegenteil dessen, was die Zauderstrategen in Berlin vorgaben, er ging wenige Tage vor der Wahl in eine Fernsehtalkshow und griff die Piraten frontal an.
„Habeck hat das Ding gedreht, weil er gesehen hat, dass man mit Hinterherlaufen nichts gewinnen kann“, findet etwa Rezzo Schlauch, Fraktionsvorsitzender zu Berliner Regierungszeiten. Er habe genau das geschafft, worum es auch im Bundestagswahlkampf gehe: Piraten und Linke deutlich auf Distanz halten. Große Hochachtung.
„Der kennt mich doch gar nicht“, brummt Habeck. Mag sein. Aber dafür kennt Schlauch die Partei.
Habeck hat das vorher schon große Ressort nach seinen Vorstellungen zum Energiewendeministerium erweitert. Er sagt, er wisse ziemlich genau, was er in den fünf Jahren schaffen wolle. Priorität hat regionaler, nationaler und europäischer Netzausbau. Noch hat die politische Energiewende in Deutschland kein Gesicht. Aber es haben ja nicht mal die Grünen einen Kopf, der im Wahlkampf dafür stünde. Der Spitzenkandidat und frühere Umweltminister Jürgen Trittin ist es bei aller Sachkenntnis nicht, der steht für das andere große Thema, die Staatsschuldenkrise. Habeck hatte in einem Interview einmal auf dieses alles andere als geheime Defizit hingewiesen.
Fanden sie nicht so gut, in Berlin.Aber wie sein grüner Stuttgarter Amtskollege Franz Untersteller ist halt auch Habeck ganz schön weit weg von Berlin und dessen Aufmerksamkeitsmärkten. Es macht indes den Eindruck, als passe ihm das grade ganz gut in den Kram.
Mehr Holsteiner als Grüner
Und jetzt ist da noch eine interessante Veränderung eingetreten. Ganz am Anfang merkt man es noch gar nicht. Erst wenn man länger redet, wird klar, dass sich bei ihm die Bedeutung von „wir“ geändert hat. Er sagt oft „wir“, aber er meint nicht mehr die Grünen. Er meint Schleswig-Holstein.
Aus den innerparteilichen Strategie-Scharmützeln und Papierkorb-Diskursen hat er sich weitgehend zurückgezogen. Aber es ist nicht nur so, dass ihm das Neue wichtiger ist. Vor allem fühlt es sich echt an.
Im Internet kann man auf Fotos sehen, mit welcher Begeisterung er Kohl anschneidet. Und in der Halle von Husum kommt jetzt ein Mitarbeiter nach vorn und überreicht dem Minister eine LKN-Baseballmütze. Sie passt nicht. „Habt ihr hier so kleine Köpfe oder was?“, fragt Habeck und grinst sich fast einen ab. Sagt der Mann: „Die Großkopferten sitzen in Kiel.“
Am Ende herrscht ziemlich große Begeisterung. Also, man hatte hier ja schon manche; sogar Peter Harry Carstensen. Aber so einen hatte man noch nicht. Und sieht er nicht fast zu gut aus für einen Grünen?
„Aber wählen werden die mich trotzdem nicht“, sagt Habeck hinterher. Er genießt den Augenblick, aber es macht den Eindruck, als sei er auch immer noch resigniert, weil es selbst ihm nicht gelungen ist, die Grünen gegen die real existierende Trägheit des Wählermarktes und die Unberechenbarkeit einer temporären Konjunktur zur dritten mittelgroßen Partei im Land zu machen. Kraft seiner Strategie und der nicht unerheblichen Fähigkeiten als Menschenfischer würde er, Habeck, das hinkriegen: Das glaubte er, und das gab ihm seine Power.
Jetzt muss ihn das Amt anfixen. Der Horizont ist 2017. Dann will er etwas vorzeigen oder übergeben können. Es wird nichts Fertiges, aber es soll etwas Sichtbares sein.
Der Minister kommt nicht nur bei den Küstenschützern an, auch bei anderen Gelegenheiten hauen sie ihm auf die Schultern, dass es kracht. Es ist offensichtlich, warum: weil er eine ziemlich solitäre Mischung aus ernsthaftem Politiker und dem Gegenentwurf zum Konventionellen darstellt oder sogar ist. Weil die Leute sich nach so einem sehnen. Weil sie tatsächlich das Gefühl haben, dass hinter dem Kuhschwanz kein Arschloch steckt. Aber, das ist dann Thema in der Schlange zu Grillwurst und Kartoffelsalat: Wird er auch noch so sein, wenn er zum dritten Mal kommt? Und dann ist Habeck halt auch angreifbar durch seinen Anspruch, bei sich zu bleiben. Konnte man regelmäßig auf Facebook nachlesen.
In Husum fragt ihn LKN-Chef Johannes Oelerich, wie er das nur alles schaffe: Minister, Parteifunktionär, Familienvater. „Ich schaff es eben nicht“, sagt er und fummelt an seiner Baseballmütze, „ich lauf den ganzen Tag mit Heimweh nach meiner Familie rum.“ Habeck bedröppelt, Leute bedröppelt.
Grade sah es noch aus, als sei da ein Mann, den sein Amt richtig glücklich macht. Und jetzt möchte man ihm ein Taschentuch auf die Bühne reichen. Wenn man es nicht grade dringend selbst bräuchte. Es ist ein seltsam ergreifender Moment, weil jeder in der Halle spürt: Der meint das ernst.
Nichts irritiert Menschen mehr als die Wahrheit.
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