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Minderheiten in IndienIndien greift in Verwaltung islamischer Stiftungen ein

Indiens Regierung erhöht ihren Einfluss auf gestiftete Grundstücke. Muslimische Gruppen sprechen von einem Angriff auf ihre Selbstverwaltung.

Der indische Premierminister Narendra Modi (BJP) spricht während einer Wahlkampfveranstaltung, 31.1.2025 Foto: ap/dpa

Mumbai taz | In der Landesvertretung des muslimisch geprägten indischen Unionsterritoriums Jammu und Kaschmir kam es am Montag zu einem großen Streit. Auslöser war der „Waqf Act“, ein Gesetz, das die staatliche Kontrolle über muslimische Stiftungen (Waqf) deutlich ausweitet. Bislang wurden sie von eigenen Gremien zwar auf staatlicher Ebene, aber meist autonom innerhalb der muslimischen Gemeinschaft verwaltet. Das soll sich nun ändern.

Im Parlament in Delhi wurde die Reform, die im August eingereicht wurde, mit verbalem Schlagabtausch diskutiert. Die hindunationalistische Regierungspartei BJP von Premierminister Narendra Modi warb zunächst im Unter-, dann im Oberhaus für das Gesetz – und setzte sich durch. Weite Teile der Opposition, die bei den vergangenen Wahlen als India Alliance gegen die BJP antraten, kamen zusammen. Sie konnten die Verabschiedung jedoch nicht verhindern. Proteste folgten. Inzwischen hat Indiens Präsidentin Droupadi Murmu (BJP) das Gesetz unterzeichnet.

Nach eigener Aussage will die Regierung mit dem „Waqf Act“ für mehr Transparenz sorgen. Es geht um Vermögenswerte in Milliardenhöhe, häufig in Form von Grundstücken, die von Mus­li­m:in­nen nach dem Tod gestiftet werden. Als Waqf deklariertes Eigentum darf in Indien nicht verkauft werden. Die Grundstücke werden als Moscheen, Friedhöfe oder Waisenhäuser genutzt und unterliegen nach dem Waqf-Gesetz von 1995 der Kontrolle staatlicher Gremien, die vor allem mit muslimischen Ver­tre­te­r:in­nen besetzt werden.

Zukünftig auch Nicht-Mulism:innen in Stiftungsräten

Das neue Gesetz würde dem Staat unter anderem mehr Entscheidungsgewalt bei der Dokumentierung und Verwaltung von Waqf-Eigentum ermöglichen. Die Opposition sieht darin einen gezielten Eingriff in die Selbstbestimmung der muslimischen Minderheit, die in Indien auf über 200 Millionen Menschen geschätzt wird.

Scharfe Kritik ruft vor allem eine Klausel hervor: Nur Muslim:innen, die seit mindestens fünf Jahren praktizieren, dürfen künftig Stifter sein. Gleichzeitig dürfen Frauen nicht mehr vom Erbe ausgeschlossen werden. Zudem sollen künftig auch Nicht-Muslim:innen – etwa Rich­te­r:in­nen oder Abgeordnete – in Stiftungsräte berufen werden.

Die Kolumnistin Rana Ayyub sprach von einer „Legitimierung antimuslimischer Politik“. Auch Arshad Madani, Präsident einer der größten islamischen Organisationen des Landes, bezeichnete das Gesetz als „gefährliche Verschwörung“ und will vor Gericht ziehen, um die Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen. Damit ist er nicht allein.

Mallikarjun Kharge, Chef der oppositionellen Kongresspartei, warf der BJP unterdessen vor, sie wolle Minderheitenrechte beschneiden. Asaduddin Owaisi, Chef der muslimischen AIMIM-Partei, sprach sogar von einem „gezielten Angriff“.

Oppositionsführer: Präzedenzfall gegen Minderheiten

Die Regierung verteidigte ihr Vorhaben als notwendigen Schritt: Minderheitenminister Kiren Rijiju (BJP) betonte, dass die Anzahl von Liegenschaften im Besitz muslimischer Stiftungen stark gestiegen sei. Wenn diese Grundstücke ordnungsgemäß verwaltet würden, „würde das nicht nur das Leben von Muslimen verbessern, sondern auch das Schicksal der Nation verändern“. Mufti Shamoon Qasmi (BJP) betonte, das Gesetz könne armen Mus­li­m:in­nen helfen.

Kri­ti­ke­r:in­nen befürchten in dem Änderungsgesetz einen weiteren Schritt, religiöse Minderheiten unter stärkere staatliche Kon­trolle zu bringen. Ein weiterer Streitpunkt ist, dass die Regelung ausschließlich muslimische Stiftungen und nicht jene anderer Religionsgemeinschaften betrifft.

Oppositionsführer Rahul Gandhi (Kongress) warnte, es werde nicht lange dauern, bis der RSS – das paramilitärische, ideologische Rückgrat der regierenden BJP – nach dem Waqf-Gesetz auch gegen Christen vorgehen werde. Muslime seien das erste Ziel, so Gandhi, aber die wahre Gefahr sei der Präzedenzfall, der geschaffen werde, um gegen Minderheiten vorzugehen. Den einzigen Schutz garantiere die Verfassung Indiens. Wie sich das Gesetz praktisch auswirkt, ist offen. Eine politische Botschaft sehen darin schon jetzt viele.

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10 Kommentare

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  • Soweit ich weiß eroberten und beherrschten muslimische Armeen Nordindien etwa 500 Jahre lang. Die islamische Eroberung Indiens war zwar langwierig und blutig, doch war sie nicht vollständig erfolgreich. Und dann kamen die Engländer.

    Kolonialisten, deren Religionen nicht mit den indischen Religionen kompatibel sind.

    Die Inder möchten ihre Kultur und ihr Land zurück.

    • @shantivanille:

      Die Muslime snd Inder. Das sind vor allem konvertierte Hindus. Dass Indien hinduistisch zu sein hat ist so absurd nationalistisch wie dass DE wieder Odin-germanisch werden muss.

    • @shantivanille:

      Das ist eine wirklich gespenstische Einlassung: die islamische Expansion in Indien (das zu dieser Zeit ohnehin nicht als Gesamtstaat existierte) liegt nun einige Jahrhunderte zurück. Indische Muslime sind keine „Kolonialisten“, sondern Inder und wenn man einen Teil der Bevölkerung, dessen Vorfahren teils noch im Mittelalter zum Islam konvertiert sind, zum Fremdkörper erklärt, gegen den man Land und Kultur verteidigen müsste, ist das schlichtweg rechtsradikal (und das ist kein Zufall: vielleicht befassen Sie sich einmal mit den ideologischen Wurzeln des gegenwärtig virulenten Hindu-Nationalismus…).

      • @O.F.:

        Wenn ich mich recht erinnere begann die muslimische Kolonisation Indiens sogar noch früher mit der Schlacht um Rajasthan, wenige Jahrzehnte nach Mohammeds Tod. Kolonialismus sollte auch als solcher bezeichnet werden.

        de.wikipedia.org/w...lacht_um_Rajasthan

        • @shantivanille:

          Was mich hin und wenig etwas wundert, ist, dass Kolonialismus, Imperialismus und Sklavenhandel etc. meist eher schwächer pigmentierten Menschen vorgeworfen wird. Da sollte schon jede/r zu den begangenen Verbrechen (auch) der Vorfahren stehen und die Verantwortung dafür übernehmen, finde ich. Dann fällt es vielleicht auch leichter sich entgegenzukommen und den anderen als Menschen mit Defiziten und Stärken wahrzunehmen.

          • @*Sabine*:

            Es geht hier nicht um die Aufarbeitung von Verbrechen, sondern um die Frage des Indisch-Seins. Im Übrigen sind die Vorfahren indischer Muslime vermutlich dieselben wie die indischer Hindus: im Zuge der islamischen Expansion nach Indien wurde ja nicht die gesamte Bevölkerung ersetzt, sondern lediglich Teile der Oberschicht. Sie merken selbst, wie absurd es ist, Menschen deren Vorfahren im Mittelalter zum Islam konvertiert sind, egal ob freiwillig oder unter Zwang, heute zu Kolonisatoren zu erklären (oder sind Briten mit französisch klingen Nachnahmen in Ihren Augen auch Kolonisatoren?).

        • @shantivanille:

          Es ist fraglich, ob man den Begriff „Kolonialismus“ auf vormoderne Reiche übertragen kann, aber das ist hier auch nicht der Punkt: Muslime in Indien sind heute keine „Kolonialisten“ mehr, sondern schlichtweg Bürger Indiens, deren Religion seit Jahrhunderten Teil indischer Kultur ist (die immer wieder Einflüsse von Außen aufgenommen hat, auch von vor dem Islam, etwa den Hellenismus). Sie verfallen hier in einen essentialistischen Kulturbegriff, der ebenso unsinnig wie gefährlich ist: weil damit ein ahistorisches Konzept des Indisch-Seins zum Vorwand für Diskriminierung und Gewalt wird.

          • @O.F.:

            "... zum Vorwand für Diskriminierung und Gewalt wird."

            In diesem Artikel habe ich noch keinen Hinweis auf Gewalt gefunden, werde aber an anderer Stelle versuchen eine Information zu finden, inwiefern es bei dieser Änderung zu Gewalt kommt bzw. Gewalt kommen kann. Lt. obigem Artikel scheint es gegenwärtig noch relativ "zivilisiert" mit Anwälten, Interessenvertretern etc. beider Seiten gelöst zu werden.

            Was den Diskriminierungs(/Sexismus)-Vorwurf Ihrerseits angeht, so habe ich es in einem anderen Kommentar erwähnt, dass für mich die Gleichstellung von Frauen und Männern in Erbschaftsangelegenheiten positiv zu bewerten (und "eigentlich", meiner Meinung nach, das Gegenteil von Diskriminierung) ist.

            • @*Sabine*:

              Der obige Artikel behandelt auch nur einen kleinen Ausschnitt hindunationalistischer Politik; ich würde Ihnen nahelegen, die Berichterstattung (auch in der taz) genauer zu verfolgen: die gegenwärtige Regierung behandelt Muslime, Christen und Linke als inneren Feind und ihre Anhänger agieren dabei durchaus gewalttätig (das reicht von Pogromen gegen Muslime bis hin zu Schlägertrupps an Universitäten). Der Verweis auf eine aus unserer Sicht ungerechte Erbschaftsregelung macht Modis Politik noch lange nicht progressiv (zumal Sie sich sicher sein können, dass Frauenrechte nicht oben auf der Agenda der Hindunationalisten stehen).

  • "Gleichzeitig dürfen Frauen nicht mehr vom Erbe ausgeschlossen werden."

    Seit 2005 können in Indien auch weiblich gelesene Kinder erben, was gesetzlich für ca. 80% der Bevölkerung (Hindus) gilt. Ich sehe keinen Grund für die Besserstellung der männlichen Anhänger des Islam und befürworte es, wenn auch diese ihr Erbe mit ihren Schwestern teilen müssen.