Milchbauern in der Krise: Stille im Stall
Auf dem Milchgipfel verspricht die Regierung rund 100 Millionen Euro Hilfe. Bauer Sebastian Köhler zuckt mit den Schultern: „Sterbegeld“ sei das.
Weitläufig ist er – und still. Sicher, die Kühe brauchen Ruhe. Pfeifen ist bei den Tieren verboten, sagt Köhler beim Gang über den Hof, und auch Senta, die betagte Hündin, gibt keinen Mucks von sich. Doch es ist eine Stille, die auf Dauer nervös macht. Sebastian Köhler ist der Herdenmanager – so etwas wie der zweite Chef hier. Er führt zu den Milchkühen. Hinter einer Ecke öffnet sich ein langer Gang, der an die hundert Meter lange „Futtertisch“. Hinter einem Geländer stehen die Kühe, davor liegt eine breite Spur Futter. Unentwegt wühlen die Mäuler im faserigen Häcksel, schieben es mit ihren Zungen zusammen und lassen es im Rachen verschwinden. Aus den Nüstern zischt es genüsslich.
Saubere Kühe, schwarz-weiß gescheckt, glattes Fell – „wie gewaschen“, sagt Köhler. Jedes ein Prachtexemplar der Rasse Holstein-Frisian und bald vielleicht nur noch Rindfleisch im Kühlhaus. Es ist noch nicht lange her, da fraßen hier 200 Kühe. Jetzt sind es 110. Weiter hinten ist der Gang leer. Vor Wochen kam ein Viehhändler und hat die Tiere eingeladen. Für Milchkühe, die verkauft werden, gibt es derzeit nur ein Ziel: den Schlachthof.
„Wir können die Kühe nicht abstellen.“ Es klingt wie eine Entschuldigung, was er jetzt sagt. „Wir können sie auch nicht schlechter füttern.“ Kühe sind Lebewesen, keine Milchautomaten. Man kann nicht einfach den Stecker ziehen. Man kann sie nur verkaufen, für jämmerliche 400 Euro, ein Viertel des normalen Preises.
Tausend Euro Miese am Tag
Wenn sie da sind, müssen sie gefüttert und gemolken werden. Aus ihren großen Augen blicken die Tiere auf den 32-Jährigen, als sei er einer der ihren. Manche wiegen freundlich den Kopf, andere drücken den Hals durch. Die prallen Euter, von Adern überzogen, glänzen rosa.
Köhler schaut ihnen schweigend zu. „Kein Stress, nur Ruhe“, sagt er dann. So geben Kühe ordentlich Milch. „Die Ruhe überträgt sich.“ Für einen Augenblick könne man das ganze Elend vergessen, das sich über dem Hof zusammengebraut hat.
Sebastian Köhler
Das Drama vollzieht sich unbemerkt. Wenn der Tanklaster mit der Milch aufbricht, macht Bauer Janssen, Chef des Elbauenhofes, tausend Euro Miese. So hat Ewald Janssen zwei Tage zuvor schon am Telefon geklagt – Tag für Tag. Janssen will noch hinzukommen, erzählen, wie das ist, wenn sich ein Betrieb langsam auflöst. Aber wo ist der Chef? Köhler reckt den Hals. Nicht zu sehen.
Es geht auch ohne Sojaschrot
Der Milchpreis fällt und fällt. Von 40 Cent im März 2014 auf jetzt unter 20 Cent. „Wie soll das gehen, wenn schon das Futter 14 Cent pro Liter kostet?“, erregt sich Köhler und zählt auf: Grassilage, Zuckerrübenschnitzel, Biertreber, Rapsschrot, Gerstenschrot, Stroh, alles regional, kein Sojaschrot. „Es geht auch ohne.“ Darauf legt er Wert.
Man muss nicht das Futter aus Argentinien beziehen, schiebt Köhler nach. Und man muss auch nicht auf Biegen und Brechen auf den Weltmarkt setzen. Der Weltmarkt – es ist ein sperriger Begriff, der nicht recht hierher passt, wo es säuerlich nach Kuh riecht und manchmal intensiv nach frischen Fladen. „Abkoppeln muss man sich“, ist Köhler überzeugt.
Das Geschäft der Milchbauern passt nicht zum Weltmarkt, jedenfalls nicht mehr. Das globale Wechselspiel von Angebot und Nachfrage – vor wenigen Jahren war es Verheißung, weil die Menschen in China ihre Liebe zum Joghurt entdeckten. Russland importierte deutschen Käse. Milchprodukte waren Wohlstandsindikator. Ökonomen, Minister und Verbandsfunktionäre rieten den Bauern, kräftig zu investieren. Der Weltmarkt, hieß es, sauge alles auf, als wäre da ein gigantischer nimmersatter Schmetterling am Werk.
Im April fiel die EU-Milchquote
Doch dieses Wesen ist launisch. Russland hat EU-Lebensmittelimporte gestoppt, um Brüssel für die Sanktionen zu strafen. Den Chinesen vergeht der Appetit auf teuren Käse, weil die Konjunktur im Land schwächelt. Aber das Angebot steigt weiter, weil im April 2015 die Milchquote in der EU fiel und die vielen Kühe in den neuen Ställen immer mehr Milch geben. Und das nicht nur in der EU, auch in den USA, in Argentinien, Neuseeland.
Es ist wie das Märchen vom süßen Brei, wo eine Stadt im Hirsebrei versinkt. Wie die Ballade vom Zauberlehrling. Die Elemente, eben noch rar, wollen ihren Schöpfer verschlingen. Bauern haben aus purer Verzweiflung Milch auf die Straße gekippt. Das wäre auch das richtige Rahmenprogramm für den „Milchgipfel“ in Berlin, überlegt Köhler. „Wasser, Gülle, Milch“, zählt er die Druckmittel der Bauern auf. Alles rauslassen, die Wilhelmstraße fluten, Randale machen. „Wie die Franzosen.“ Köhler steht wieder so da, die Hände in den Taschen. Es ist das erste Mal, dass er bedrohlich klingt, trotz der sanftmütigen Gesellschaft.
Beim „Milchgipfel“ am Montag hatte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU Verbandsvertreter und einige Länderminister am Montag geladen. Ergebnis: Mindestens 100 Millionen Euro an Hilfe sollen die Milchbauern erhalten. Proteste gab es derweil am Brandenburger Tor. Statt Gülle und Milch haben die Bauern dieses Mal Paare von Gummistiefeln mitgebracht und aufgestellt, um auf das Sterben der Höfe aufmerksam zu machen.
Tee, Kluntjes und Janssen-Milch
Abgeschirmt hinter einer Plane liegt die Terrasse der Janssens. Ein künstlicher Brunnen plätschert, an der Wand hängen Eggen. Mit einer winzigen silbernen Kelle gibt Monika Janssen behutsam dicke Milch, fast schon Sahne, in die Tasse. Natürlich Janssen-Milch. „Die andere rahmt ja nicht mehr“, tadelt die Bäuerin, sie meint die homogenisierte Milch im Supermarkt. „Schon deswegen müssen wir die Kühe behalten“, sagt sie und lacht. Der Rahm zieht Schlieren, ehe er sich mit dem Tee vermischt. Dann schickt sie Kluntjes, weißen Kandis, hinterher.
Dieses Ritual verrät die Herkunft der Familie. Ja, sie sind vor 21 Jahren von Ostfriesland gekommen, erzählt Monika Janssen. Sie haben später den Hof übernommen, haben investiert, das Haus gebaut, sieben Arbeiter eingestellt. Im Januar 2015 kam Sebastian Köhler hinzu, ein Landwirt aus dem Sauerland. Janssen suchte einen, der den Milchviehbetrieb übernehmen wird. Die Tochter, die mit am Tisch sitzt, einen Säugling im Arm, hat sich für Physiotherapie entschieden. Auch harte Arbeit, aber krisenfest.
Wo ist der Bauer bloß? Die Bäuerin greift zum Handy. „Zwischen Himmel und Erde“, gibt Janssen durch und lässt sich entschuldigen. Eine Havarie in der Biogasanlage. Das Gas hat das Dach aus der Dichtung gehoben und Janssen versucht in acht Metern Höhe, inmitten von Hitze und Gas, diesen Gummi wieder einzusetzen. Und das am Samstagnachmittag. Immerhin – die Anlage macht noch Geld.
„Wo ist das Kartellamt?“
Monika Janssen, ein schlanke resolute Frau, wuppt einen schweren Aktenordner auf den Tisch, die Abrechnungen. Wie wenig die Milch wert ist, die derzeit vom Hof geht, wird sie erst Mitte Juni erfahren, wenn der Mai abgerechnet wird. Vielleicht 18 Cent, vielleicht weniger. Die Molkereien verdienen, der Handelsketten verdienen, die Bauern sind „Restgeldempfänger“. „Wo ist das Kartellamt?“, fragt Monika Janssen. „Es ist doch verboten, eine Sache unterm Erzeugerpreis zu verkaufen.“
Die hundert Millionen Euro, die Landwirtschaftsminister Christian Schmidt verspricht, Zuschüsse, Bürgschaften, Freibeträge – nichts als „Sterbegeld“, sagt Köhler. Dass es auch anders geht, sehe man bei der Autoindustrie, den Banken. „Stirbt der Bauer, stirbt das Land“, haben sie neulich an der Bundesstraße plakatieren lassen. Zwischen Kuchen, Tee und Rahm kommt man sich plötzlich sehr verlassen vor.
Köhler muss jetzt aber los, zum Melkstand. Um fünf strömt dort wieder das „weiße Gold“, das den Elbauenhof arm macht. Bis vor Kurzem haben Hofangestellte gemolken, jetzt ist es vor allem einer: Sebastian Köhler. Im April wurden die sieben Mitarbeiter entlassen, macht 15.000 Euro Einsparung im Monat. Der letzte große Posten.
Die älteste Kuhherde Deutschlands
Dabei gäbe es genug zu tun. Köhler will noch seine 30 Färsen zeigen, zuchtreife Tiere, die bald besamt werden müssten. „Makellose Tiere“, schwärmt Köhler. „Ich kenne jedes davon, ich kenne die Mutter, die Abstammung. Das ist meine Zukunft.“ Für einen Augenblick ist der Kummer wie weggeblasen. Köhlers Plan: Er will die älteste Herde Deutschlands aufbauen. Kühe, die zwar etwas weniger Milch geben, dafür aber weitaus länger leben als die fünf Jahre, die eine Milchkuh im Schnitt hat, acht, zehn, fünfzehn Jahre – nachhaltig, tierfreundlich und wirtschaftlich sinnvoll.
Und dazu käme der neue Stall mit einem Melkroboter. Die Herde könnte geradezu autonom agieren. Köhler träumt sich tief in die Zukunft hinein. Dann könnte seine Herde frei spazieren, zwischen Ruheplatz im Stall, Futtertisch und der Weide. Und wenn das Euter drückt, geht's zum Roboter. Es klingt wie im Sanatorium.
Und, werden sie besamt? Köhler zögert, schaut auf die Kühe, sagt: „Ich weiß es nicht“, und stochert mit den Schuhspitzen in Staub. „Ich weiß es nicht“, wiederholt er. Zutraulich sind die Färsen zur Absperrkette gekommen. Ihre gelben Marken mit Nummern und Geburtsdatum, eins in jedem Ohr, wackeln lustig.
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