Migrationspolitik und Rüstungsindustrie: Das Geschäft mit Hightech-Grenzen
Radar, „intelligente“ Grenzposten, Biometrisierung, Überwachung: Um Afrikaner fernzuhalten, ist jedes Mittel recht.
Diesen Grenzschutz der Luxusklasse lieferte der europäische Rüstungskonzern EADS, jetzt Airbus, 2009 nach Saudi-Arabien. Für rund 2 Milliarden Euro rüstete sie die 900 Kilometer lange Grenze zum Irak als Antiterrorwall auf, im Komplettpaket von Bedarfsermittlung bis Ausbildung der Grenzwächter durch deutsche Bundespolizisten.
Die Beamten erhielten ihre Honorare von der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die saudische Gelder von EADS weitergeleitet bekam. Bundesentwicklungsminister und GIZ-Auftraggeber damals war der FDP-Politiker Dirk Niebel, mittlerweile Cheflobbyist der Rüstungsschmiede Rheinmetall, einer von Deutschlands führenden Herstellern von Grenzanlagen.
Bereits mit den Zäunen um die spanischen Exklaven in Marokko – Ceuta und Melilla – ist die Europäische Union mit ihren Außengrenzen auf den afrikanischen Kontinent vorgestoßen. Mit dem EU-Türkei-Deal erreichte der EU-Migrationsabwehrschirm die nächste Stufe: Die türkische Mauer zu Syrien ist mit Selbstschussanlagen ausgerüstet, die bei Annäherung auf 300 Meter schießen, hergestellt vom aufstrebenden türkischen Rüstungskonzern Aselsan.
Der Feind fährt Bus
Jetzt baut die EU ihre Festung bis hinunter zum Äquator aus. Von Zentralasien bis nach Zentralafrika will sie in die „Robustheit der Staaten“ investieren, heißt es im jüngsten Strategiepapier der EU für ihre gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. In der EU-Nachbarschaft gebe es „Tumulte“, dem „Überschwappen der Unsicherheit“ müsse die EU entgegenwirken.
Vor „dramatischer“ Migration aus Afrika warnt die deutsche Regierung, von einem „Marshallplan“ ist die Rede. Doch die Milliardensummen, die Europa in Afrika ausgeben will, dienen nicht nur dem Kampf gegen Armut. Erklärtes Ziel der neuen EU-Afrikapolitik ist es, Flüchtlinge und Migranten schon tief im Innern des Kontintents aufzuhalten. Die taz berichtet seit Mitte November in einem Rechercheschwerpunkt darüber, zu finden unter taz.de/migcontrol.
Die Recherche wurde gefördert von Fleiß und Mut e. V. (cja)
Im Frontex-Afrika-Geheimdienstbericht 2015 wird der Nachbarkontinent als Region voller Gefahren dargestellt. Frontex-Agenten hatten den Busbahnhof in Agadez besucht, die historische Handelsstadt in Niger. Durch dieses Nadelöhr in der Wüste geht alles, was von Westafrika durch die Sahara nach Norden will: Waren, Händler, Migranten. Meist per Bus: Überall in Afrika sprossen in den vergangenen Jahren überregionale Buslinien aus dem Boden, ein Boomgeschäft.
Für EU-Agenten sind die Busunternehmer Feinde: „Menschenhändler in Agadez betrachten sich selbst als Dienstleister. Versuche, diese wachsende Industrie zu bekämpfen, könnte lokale Proteste hervorrufen“, heißt es im Bericht. Dann wird die Fluggesellschaft Turkish Airlines ins Visier genommen, die preiswerte Flüge zwischen afrikanischen Hauptstädten und Istanbul anbietet. Sie sei schuld, dass nicht nur Syrer, sondern auch Kongolesen, Nigerianer oder Kameruner auf der Balkanroute gen Europa vorstießen. Frontex-Chef Fabrice Leggeri eröffnet die Risikoanalyse für 2016 mit dem Hinweis auf „1,8 Millionen Fälle illegaler Grenzübertritte nach Europa“.
Damit soll nun Schluss sein. Im September waren 26 afrikanische Geheimdienstler und Grenzschützer ins Frontex-Hauptquartier nach Warschau geladen. Die Afrika-Frontex-Geheimdienst-Gemeinde wurde operationalisiert. Quartalsmäßig sollen die Afrikaner Migrationsdaten übermitteln. Mit den Einwanderungsbehörden von Nigeria und den Kap Verden hat Frontex bereits Partnerschaftsabkommen geschlossen, die der taz vorliegen. Weitere sollen folgen. Ziel ist: Sämtliche Migrationsbewegungen von Warschau aus zu „analysieren“.
Hochtechnologie und Biometrie
Die EU-Schlüsseltechnologie ist das sogenannte Integrierte Grenzmanagement (Integrated Border Management, IBM), das von der Europäischen Union entwickelt und erstmals in den Balkanstaaten zur Anwendung kam. Gemeint sind „intelligente“ Grenzposten, durch welche Passanten mit den richtigen Papieren trotz aller technischer Sicherheitsvorkehrungen einfach und zügig durchgehen können und deren Computerdatenbanken mit allen relevanten Behörden vernetzt sind: Einwanderungsbehörde, Sicherheitsbehörden, Zoll.
Durch moderne Drehkreuze wird der biometrische Reisepass gezogen. Die auf dem Chip gespeicherten Daten werden dabei mit weltweiten Datenbanken wie Interpol abgeglichen, um potenzielle Terroristen oder gefälschte Ausweisdokumente aufzuspüren. Mit Hunden, Herzschlagmessgeräten, Atemluftscannern und Röntgenanlagen sollen Grenzschützer in Lastwagen blinde Passagiere aufspüren.
„Integriertes Management fördert die Prävention von illegaler Migration und den Kampf gegen jede Art von Schmuggel“, heißt es in einem internen Strategiepapier der EU-Kommission zu den Verhandlungen mit Nigeria, das der taz vorliegt. Dazu können auch Gelder aus dem Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika verwendet werden.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hilft mit. In Burkina Faso leistet die deutsche GIZ „fachliche Beratung zur Erarbeitung einer Politik des Integrierten Grenzmanagements“, in Mali berät sie „bei der Überarbeitung der nationalen Grenzpolitik“, so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Auch in Tschad und Mauretanien unterstützt die GIZ die Ausrüstung und Ausbildung von Grenzschützern und den Bau von Grenzstationen.
Operation Seepferdchen
Alle anderen Möglichkeiten, eine Grenze zu überqueren, werden derweil mit unüberwindbaren kilometerlangen Zaunanlagen rigoros abgedichtet und aus der Luft überwacht. Das Zugpferd der EU-Grenzüberwachung heißt Eurosur: Seit Dezember 2013 suchen Drohnen nach Flüchtenden, unterstützt von geostationären Satelliten über dem Mittelmeer. Boote an der Küste, Lastwagen in der Wüste, wandernde Migranten – all das kann im Frontex-Hauptquartier in Warschau live auf dem Monitor mitverfolgt werden.
Ein kleineres Satellitenüberwachungssystem, „Seepferdchen“, betreibt Spanien mit Mauretanien, Marokko, Senegal, Gambia, Guinea-Bissau und Kap Verde. Derzeit wird ein System mit Tunesien, Algerien und Ägypten aufgebaut. Eurosur kostete die EU nach eigenen Angaben 338 Millionen Euro. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung geht von mindestens 874 Millionen aus, inklusive Entwicklungskosten.
Seit 2002 hat die EU außerdem 316 Millionen Euro in die Erforschung von Grenztechnologie gesteckt. Führende Rüstungsunternehmen hatten Zugriff auf EU-Fördertöpfe: Airbus Defence and Space (bislang EADS), Thales aus Frankreich, BAE Systems aus Großbritannien, der italienische Konzern Leonardo-Finmeccanica, das spanische Unternehmen Indra, das deutsche Fraunhofer-Institut, auch israelische Firmen. Sie rüsteten die EU-Außengrenzen in Bulgarien und Ungarn mit neuester Technik aus: ein super präzises Radarsystem von Airbus, das kleinste Objekte noch aus 220 Kilometer Entfernung aufspürt. Da kommt nicht einmal mehr eine Fliege durch.
VW, Mercedes, Airbus
Lobbyorganisationen in Brüssel wie die „European Organisation for Security“, geleitet vom ehemaligen Thales-Manager Luis Rebuffi, die „Aerospace and Defence Industries Association of Europe“, deren Vorsitzender Mauro Moretti zugleich Chef von Finmeccanica ist, sowie der Thinktank „Freunde Europas“ gründeten Arbeitsgruppen. So die „AG Intelligente Grenzen“ unter Leitung der französischen Konzerne Safran und Thales, und die „AG Grenzüberwachung“ unter Leitung der italienischen Elektronikfirma Selex.
Über Technologiepartnerschaften sind diese mittelbar verbunden mit führenden Konzernen. Volkswagen und Mercedes-Benz entwickeln Geländewagen, die für Grenzpatrouillen ausgerüstet werden. In fünf Jahren investierte Airbus mindestens 7,5 Millionen Euro in Lobbyarbeit, Finmeccanica und Thales jeweils rund eine Million.
Jetzt braucht die neue Technologie einen Absatzmarkt über Europas Grenzen hinaus. Ob auf dem von Airbus gesponserten Grenzmanagement- und Technologie-Gipfel im März 2016 in Ankara, der Grenzsicherheits-Expo im Februar in Rom oder dem im März 2017 anstehenden Welt-Grenz-Kongress in Marokko – unter den Teilnehmern sind immer mehr Afrikaner.
Bundesverteidigungsministerium und Auswärtiges Amt stellten 2016 12 Millionen Euro aus dem Topf „Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“ zur Verfügung, aus dem auch Projekte im Irak, Jordanien, Mali und Nigeria finanziert werden. 2017 sind für Tunesien 40 Millionen eingeplant, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums auf Anfrage. Für Tunesiens Grenzaufrüstung steuert die EU weitere 14 Millionen Euro bei.
Milliarden für Grenzschutz
Deutsche Bundespolizisten bilden tunesische Grenzschützer aus, die Bundeswehr schickt Schnellboote und gepanzerte Lastwagen. Für 2017 hat Deutschland mobile Überwachungssysteme mit Bodenaufklärungssystemen zugesagt. 5 Nachtüberwachungssysteme, 25 Wärmebildkameras, 25 optische Sensoren und 5 Radarsysteme hat Airbus geliefert, bezahlt von der deutschen Bundesregierung. Tunesien bekommt seine Hightechgrenze umsonst.
Bis 2020 sind mehr als 6 Milliarden Euro für den Schutz der EU-Außengrenzen vorgesehen. 2,8 Milliarden kommen aus dem EU-Fonds für Innere Sicherheit, 1,7 Milliarden aus dem EU-Forschungsprogramm für Grenztechnik. Rund 1,5 Milliarden werden für Frontex und Eurosur veranschlagt. Darüber hinaus gibt es Finanzspritzen: an Libyen 66,5 Millionen Euro, an Mauretanien 16 Millionen, an den Libanon 14 Millionen, an Tunesien 23 Millionen, so eine Studie der niederländischen NGO „Stoppt Waffenhandel“.
Das Bundeskabinett beschloss Anfang Dezember, bis zu 20 Beamte nach Niger zu schicken. Interpol schult Grenzpolizisten in Mali, Marokko, Mauretanien, Niger, Tunesien, Burkina Faso und Tschad – finanziert von Deutschland. Neun Hightech-Grenzstationen zwischen Niger und Nigeria gibt es dazu, davon bezahlt das Auswärtige Amt drei, die Europäische Union die übrigen sechs.
„Grundsätzlich alle Staaten“
„Der Markt in Afrika ist mit Sicherheit interessant, weil es da einen Bedarf gibt“, sagt ein Airbus-Sprecher der taz. Der Zugang sei aber schwierig, denn es fehle an „verantwortungsvollen lokalen Businesspartnern, die unsere hohen Ansprüche erfüllen“. Einfacher sei die Lieferung einzelner Produkte wie Radartechnik oder Kameras.
„Als Nutzer von Grenzsicherungssystemen kommen aus unserer Sicht grundsätzlich alle Staaten infrage, für die sich das Problem illegaler Grenzübertritte stellt. Gespräche in dieser Richtung führen wir auch in einzelnen afrikanischen Staaten“, sagt ein Sprecher von Rheinmetall der taz. Es sei aber „noch zu früh, um über konkrete Projekte zu sprechen“. Auch ein Sprecher von Airbus DS Electronics and Border Security sagt: „Unsere Kunden bestehen darauf, dass wir nicht über ihre Beschaffungsprojekte sprechen.“ Airbus will eine Niederlassung in Nigeria eröffnen.
Ein niederländischer Ableger des französischen Rüstungsriesen Thales rüstete 2015 die ägyptische Marine mit Radartechnik im Wert von 34 Millionen Euro aus. Airbus lieferte kürzlich eine Überwachungsdrohne an das Bundeswehrkontingent bei der UN-Mission in Mali. Der italienische Konzern Leonardo-Finmeccanica lieferte 15 Überwachungshubschrauber an die algerischen Grenztruppen. Airbus rühmt sich auf seiner Webseite, seinen eigens für die Grenzüberwachung entwickelten Spexer-Radar an drei west- und nordafrikanische Länder geliefert zu haben.
Der weltweite Gesamtumsatz mit Grenztechnologie soll von 15 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf bis zu 29 Milliarden im Jahr 2022 steigen, prognostiziert das Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan. Derzeit dominieren in dieser Sparte noch amerikanische und israelische Unternehmen. Europas führende Rüstungsunternehmen wollen aufholen – in Afrika. Als Absatzmarkt ist Afrika schier grenzenlos.
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