Migrationspolitik Italiens: Per Dekret nach Albanien
Die Regierung in Rom erklärt 19 Staaten zu sicheren Herkunftsländern. Damit können Asylbewerber aus diesen Staaten in Camps in Albanien verlegt werden.
Nicht einmal eine halbe Stunde brauchte am Montagabend das Kabinett zur Verabschiedung des Dekrets. Es hat nur einen Artikel, und der besteht aus der Auflistung von 19 „sicheren Herkunftsstaaten“, unter ihnen auch mit Bangladesch und Ägypten die beiden Länder, aus dem jene zwölf Flüchtlinge stammen, die letzte Woche an Bord eines Marineschiffs von Lampedusa nach Albanien geschafft worden waren und die jetzt wegen eines Vetos der Justiz wieder ins süditalienische Bari gebracht worden sind.
Das römische Gericht hatte bei seinem Beschluss auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Oktober verwiesen. Danach sind sichere Herkunftsstaaten nur solche Länder, in denen die Bürger*innen auf dem gesamten Staatsgebiet keine Verfolgung fürchten müssen und in denen zugleich alle Personengruppen – also auch zum Beispiel Angehörige der LGBTIQ+-Communities – sicher leben können. Deshalb müsse auch den letzte Woche nach Albanien Gebrachten eine detaillierte Einzelfallprüfung gewährt werden, statt des dort vorgesehenen Schnellverfahrens inklusive schneller Abschiebung in die Herkunftsländer.
Damit aber drohte Melonis „albanisches Modell“ zu kippen, denn es beruht ja gerade darauf, Menschen zum Beispiel aus Tunesien, Marokko oder Ghana in Italien gleich gar nicht an Land zu lassen, sondern sie mit Zwischenstopp in Albanien gleich wieder in ihre Herkunftsstaaten zurückzuschaffen. Bisher war die Liste der sicheren Herkunftsstaaten auf interministerieller Ebene vom Außen- und Innenministerium erstellt worden – jetzt aber wird sie mit dem Dekret vom Montag in Gesetzesrang erhoben.
Auseinandersetzung zwischen Exekutive und Justiz
Und ein Dekret sei eben eine „primäre Quelle des Rechts“, erklärten nach der Kabinettssitzung der Innenminister Matteo Piantedosi und der Justizminister Carlo Nordio. Sie vertreten die Ansicht, dass damit den Richtern die Möglichkeit entzogen sei, die Albanien-Prozedur weiter zu blockieren. Und um das Dekret wasserdicht zu machen, strich die Regierung mit Kolumbien, Kamerun und Nigeria drei Länder aus der Liste, in denen die Sicherheit auf dem gesamten Staatsgebiet nicht gewährleistet ist.
Doch wenn man italienischen Verfassungsrechtler*innen glauben darf, ist keineswegs ausgemacht, ob sich mit dem Gesetzesdekret wirklich eine Änderung ergibt: Weiterhin können Gerichte Fall für Fall entscheiden, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in Albanien rechtswidrig ist, und sie können zum Beispiel auch das Verfassungsgericht anrufen.
Sollten solche Urteile gefällt werden, dann träte allerdings die Auseinandersetzung zwischen Exekutive und Justiz in die nächste Runde. Schon jetzt hatte die Regierung mit Breitseiten gegen das Gericht in Rom reagiert, hatte sie gegen die angeblich „politisierte Justiz“, gegen „rote Richter“ und deren – so der Justizminister – „abnormes Urteil“ gewettert. Die Gerichte, so die Rechtsauffassung der Regierung Meloni, hätten Gesetze „anzuwenden“ und bitteschön nicht in Zweifel zu ziehen.
Am weitesten war Ignazio La Russa gegangen, der aus den Reihen der postfaschistischen Meloni-Partei Fratelli d’Italia stammende Präsident des Senats. Er forderte gleich eine Verfassungsänderung, um „klare Grenzen“ zwischen den Zuständigkeiten der Politik und der Justiz zu ziehen, sprich: um den autonomen Handlungsspielraum der Judikative zu beschneiden.
Camps in Albanien kosten Millionen Euro
Hinter dieser Offensive steht die Sorge, dass das gesamte albanische Modell kippen könnte. Es soll endlich für „sichere Grenzen“ sorgen, wie Meloni auch jetzt wiederholte, per „Abschreckung“ der Schleuser ebenso wie der Flüchtlinge. Rund 800 Millionen Euro werden die beiden Camps in Albanien in den nächsten fünf Jahren kosten.
Meloni selbst hatte versprochen, dort pro Jahr bis zu 36.000 Flüchtlinge durchzuschleusen, doch diese Zahl ist völlig unrealistisch. Denn nur im Mittelmeer von staatlichen Schiffen an Bord genommene alleinstehende Männer sollen dort untergebracht werden, während Frauen, Familien, Minderjährige und „vulnerable“ Personen weiterhin nach Italien gelangen werden. Jetzt allerdings fürchtet Meloni den vollkommenen Flop des albanischen Modells – und das jetzt verabschiedete Dekret soll ihn verhindern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku