Migrantenbildung vernachlässigt: Wissenslücke bei der Schulbehörde
Niedersachsens Kultusministerium will Flüchtlingskinder optimal fördern – und kennt nicht einmal ihre Zahl. Unterstützer fordern bessere Chancen auf Schulabschlüsse.
HANNOVER taz | Niedersachsens Schulministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) hat Kritik zurückweisen lassen, die rot-grüne Landesregierung vernachlässige die Deutschkenntnisse von Flüchtlingskindern und lege so die Grundlage für deren mangelnde Integration. „In den Schulen wird jedes einzelne Kind unterstützt“, sagte eine Sprecherin Heiligenstadts. „Wir fördern jede Schülerin, jeden Schüler individuell.“
Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Björn Thümler, hatte Rot-Grün zuvor vorgeworfen, „die wichtige Aufgabe der Sprachförderung von Flüchtlingskindern noch immer nicht ernst zu nehmen“. Viele dieser Kinder sprächen nur wenig oder kein Deutsch, klagte der Christdemokrat. Vor allem fehlten sogenannte Sprachlernklassen, in denen SchülerInnen mit schwachen Deutschkenntnissen gemeinsam unterrichtet werden.
Aktuell gibt es in Niedersachsen 274 solcher Deutsch-Intensivklassen – im ersten Halbjahr des laufenden Schuljahres waren es nur 118. Insgesamt erhalten landesweit knapp 78.000 SchülerInnen eine Form von Sprachförderunterricht, darunter auch Kurse wie „Deutsch als Zweitsprache“.
Wie viele dieser SchülerInnen Flüchtlinge sind, weiß im Schulministerium aber niemand: „Im Unterricht wird nicht erfasst, ob und welche Art eines Migrationshintergrunds vorliegt“, musste Heiligenstadts Sprecherin einräumen. Für Christdemokraten wie Thümler ist das ein weiterer Beweis rot-grünen Desinteresses: „Das diese wichtigen Zahlen fehlen, spricht doch auch schön Bände“, hieß es aus der CDU.
Auf die Frage der CDU, ob "deutsche Sprachkenntnisse das wichtigste Mittel zur Integration und Orientierung" von Flüchtlingen sind, antwortete das niedersächsische Schulministerium schlicht mit "Ja":
Wie viele Flüchtlinge aber überhaupt Niedersachsens Schulen besuchen, ist aber nicht bekannt. Klar ist nur, dass 2.676 Kinder zwischen 6 und 15 im Jahr 2014 einen Antrag auf Asyl stellten.
Aktuell erhalten knapp 78.000 SchülerInnen irgendeine Form von Sprachförderung - die Kosten liegen bei rund 112 Millionen Euro.
Irritiert von der fehlenden Datenbasis zeigte sich auch Heiner Scholing, Sprecher für Schulpolitik der Grünen im Landtag. Trotzdem sei die alleinige Fixierung des Christdemokraten Thümler auf das Instrument der Sprachlernklassen populistisch, sagte Scholing: „Maßnahmen wie individueller Förderunterricht schaffen mehr Möglichkeiten zu sozialen Kontakten mit Kindern mit der Muttersprache Deutsch.“ Denn die Intensivkurse böten zwar gute Chancen zum möglichst schnellen Spracherwerb, doch blieben EinwanderInnen oft unter sich. Gerade auf dem Land müssten sie außerdem lange Wege zum Schulzentrum der nächstgelegenen Stadt in Kauf nehmen.
Überhaupt sei das Erlernen der deutschen Sprache nur ein Teil der bildungspolitischen Integration, sagte Kai Weber vom Flüchtlingsrat in Niedersachsen: „Viele Jugendliche im Alter von 18 bis 25 erreichen Deutschland erst nach einer jahrelangen Odyssee, bei der sie natürlich nicht zur Schule gegangen sind.“ Trotzdem werde davon ausgegangen, dass ihre Schulpflicht erfüllt sei – damit fehlten Schulabschlüsse als wichtigste Voraussetzung für die berufliche Integration. „Das CSU-geführte Bayern hat schon vor Jahren ein spezielles Programm aufgelegt, das Flüchtlinge zum Schulabschluss führt“, sagte Weber. „Rot-Grün in Niedersachsen sollte sich daran ein Beispiel nehmen.“
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