Mietenpolitik in Berlin: Ärger gibt's auch ohne Holm
Mit den landeseigenen Unternehmen will Rot-Rot-Grün die Mieten dämpfen. Doch gerade deren MieterInnen erhalten jetzt reihenweise Mieterhöhungen.
Während der Personenkult um den Exstaatssekretär wohl noch eine Weile anhalten wird – einige der TeilnehmerInnen trugen Holm-Masken –, ist für die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) und ihre Verwaltung der Zeitpunkt gekommen, sich mit Themen jenseits der Causa Holm zu beschäftigen.
Richtig angenehm wird es aber nicht: Wie jetzt bekannt wurde, haben die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in den letzten Wochen im großen Stil Mieterhöhungen herausgeschickt – ein Vorgang, der sich wenig verträgt mit der im Koalitionsvertrag erklärten Absicht, die Mietpreisentwicklung mithilfe der kommunalen Unternehmen deutlich zu dämpfen.
Zuerst schlug das Quartiersmanagement Schöneberger Norden Alarm: Rund um die Steinmetzstraße haben viele MieterInnen der landeseigenen Gewobag zum Jahreswechsel Mieterhöhungen um bis zu 14 Prozent erhalten. In einem offenen Brief an den Senat und die Gewobag kritisiert der Quartiersrat diese Entwicklung, die in dem von teuren Wohnlagen umgebenen Kiez die Angst vor Verdrängung schüre.
Mehr als 400 Mieterhöhungen soll allein die Gewobag verschickt haben. Doch offenbar ist sie nicht die Einzige: Von teils drastischen Mieterhöhungen in den letzten Wochen seien auch MieterInnen der Degewo in Kreuzberg sowie der Gesobag in Charlottenburg betroffen, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher der Initiative Mietenvolksentscheid. Für eine 100-Quadratmeter-Wohnung der Degewo in der Kreuzberger Naunynstraße etwa, deren Mieterhöhung der taz vorliegt, werden künftig 656 statt 588 Euro Kaltmiete fällig, eine Erhöhung um knapp 12 Prozent.
Rechtlich ist das wasserfest: Um bis zu 15 Prozent in vier Jahren dürfen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften laut einer seit 2012 gültigen Vereinbarung die Miete erhöhen. Allerdings: Die rot-rot-grüne Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag erklärt, als Sofortmaßnahme zur Dämpfung der Mietpreisentwicklung die Mieterhöhungsmöglichkeit künftig auf maximal 2 Prozent im Jahr zu begrenzen.
Genau in diesem Vorhaben sieht Reiner Wild vom Berliner Mieterverein den Grund für die jetzigen Mieterhöhungen: „Offenbar versuchen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften schnell noch das Maximum an Mieterhöhungen rauszuholen“, sagt er. Der Senat werde damit brüskiert, die MieterInnen werden vor ernsthafte Probleme gestellt.
Ähnlich sieht es auch Rouzbeh Taheri: „Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften tanzen ihrem Eigentümer auf der Nase herum“, sagt er. Der Senat müsse die Unternehmen nun anweisen, die Mieterhöhungen der letzten Wochen zurückzunehmen.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung war am Montag nicht für Rückfragen zu erreichen. Bereits letzte Woche hatte Lompscher aber erklärt, sie strebe ein Aussetzen der Mieterhöhungen in den landeseigenen Wohnungsunternehmen an – so lange, bis die im Koalitionsvertrag erklärten Absichten schriftlich vereinbart seien.
Auch über eine Rücknahme der bereits erfolgten Erhöhungen soll gerüchteweise verhandelt werden. Schritte, die zwar den Interessen zur Gemeinwohlorientierung verpflichteten, aber dennoch profitorientierten Unternehmen zuwiderlaufen – die nächste Belastungsprobe für die neue Senatorin steht bereits vor der Tür.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott