Merkel zum Afghanistan-Abzug: „Ein furchtbares Scheitern“
Mit deutlichen Worten: Angela Merkel hat im Afghanistan-Untersuchungsausschuss zum übereilten Abzug ausgesagt. Und vor allem Kritik an den USA geübt.
Als „Ausstieg der USA aus dem NATO-Einsatz“ bezeichnete Merkel Trumps im Alleingang beschlossenen und von Biden vollendeten Truppenabzug aus dem mittelasiatischen Land. Das Ende des Einsatzes bedeute ein „furchtbares Scheitern“. „Wir, die internationale Gemeinschaft, waren auf der Flucht vor den Taliban“, so die damalige deutsche Kanzlerin.
Furchtbar sei das Scheitern auch „für die Millionen Afghaninnen und Afghanen, die sich für Demokratie, Menschenrechte und Bildung eingesetzt haben.“
Atmosphärisch hob sich Merkels Auftritt deutlich von denen mehrerer Mitglieder ihres damaligen Kabinetts ab, die in den vergangenen Wochen aussagten. In einer ausführlichen Eingangserklärung legte die akribisch vorbereitete Ex-Kanzlerin, die 16 der 20 Jahre des deutschen Afghanistan-Einsatzes zu verantworten hat, die Gründe für das Desaster dar. Außer bei der Terrorismusbekämpfung sei man „bei allen anderen Zielen“ gescheitert, vom Staatsaufbau bis zu Frauen- und Mädchenrechten.
Kaum Gehör im Weißen Haus
Sie sparte nicht mit Kritik an der US-Politik, formulierte hier allerdings vorsichtiger. Bei der US-Administration sei für Deutschland und andere NATO-Mitglieder „schwer durchzudringen“ gewesen, sie habe in ihren Kontakten zu US-Präsidenten „keinen wirklichen Resonanzboden“ gefunden.
Bei der Aufarbeitung der Afghanistan-Pleite geht es allerdings nicht vorrangig um tolle Zitate und Atmosphärisches. Was Merkel inhaltlich lieferte, war dann doch zu wenig. Ihre Kritik an den USA wirkte – wie schon bei anderen Ex-Minister*innen – wie ein Schutzschirm gegen Kritik an ihrer eigenen Politik.
Merkel schilderte, wie sie versuchte, „die Amerikaner“ umzustimmen, ihren Truppenabzug doch von Bedingungen abhängig zu machen und bis nach einer Machtteilung in Kabul mit den Taliban zu verschieben. Die Frage, welche Hebel ihr dafür zur Verfügung standen, konnte sie nicht beantworten.
Vor allem im Zusammenhang mit der viel zu späten Erkenntnis, dass die afghanische Regierung den Taliban nicht standhalten würde, und der bis zum letzten Moment verzögerten Evakuierung deutscher Staatsbürger*innen und afghanischer Ortskräfte aus Afghanistan wirkt dieser Ansatz reichlich illusionär. Die US-Regierung hatte schon lange vor Vertragsschluss mit den Taliban die eigentlich verbündete afghanische Regierung von den Verhandlungen ausgeschlossen und die Bedingung fallen gelassen, dass es vor einem Truppenabzug eine Übergangsregierung aus allen Parteien geben müsse.
Erschreckend schlecht informiert
Man müsse „auch in aussichtsloser Situation immer versuchen, das Beste daraus zu machen“, so Merkel, die sich als Realistin bezeichnete. Das „Quäntchen Hoffnung“, das dafür nötig sei, habe sie aus ihrem Naturell geschöpft.
Bei der Anhörung wurde noch einmal erschreckend deutlich, wie schlecht Merkel und ihre Minister*innen informiert waren, oder wohl eher: sich informieren ließen. Merkel sagte, ihre Mitarbeiter*innen hätten sie stets „informiert, wenn ein qualitativ neuer Zustand“ in Afghanistan entstanden sei. Das war augenscheinlich zu selten.
Sie wusste nicht, dass der Bundesnachrichtendienst schon Ende 2020 – also erheblich vor dem Kollaps von Kabul – das als „Emirat 2.0“ bezeichnete Szenarium einer Taliban-Machtübernahme für das wahrscheinlichste hielt. Drei Wochen vor dem Fall Kabuls war die Ex-Kanzlerin folgerichtig „noch nicht der Meinung“, dass die Lage „schon so gekippt ist“, dass die Evakuierung ausgelöst werden müsste.
Und sie habe „nicht gedacht, dass vor Auslaufen des amerikanischen Abzugs die Taliban die Macht übernehmen“ würden. Auch dass Frauen und Mädchen in vielen Provinzen Afghanistans schon vor den Taliban nicht zur Schule gehen durften, war ihr nicht bekannt, genau wie die Tatsache, dass bei der Evakuierung 64 deutsche Staatsbürger in Afghanistan zurückgelassen wurden, wie sie auf Anfrage zugab.
Und die Fehler des Westens?
Bedenklich ist zudem Merkels kulturalistische Begründung des Scheiterns: Die Afghanen seien „ein stolzes Volk mit komplizierter Geschichte in einer schwierigen geostrategischen Lage“, und hätten nicht genügend Kräfte für die Schaffung „freiheitlicherer“ Verhältnisse mobilisieren können. Ethnische und kulturelle Faktoren seien „stärker“ gewesen, „als ich es mir vorgestellt hatte“.
Die falsche Bündnispolitik Deutschlands und des Westens mit den Warlords, die lokale Demokratiebestrebungen erstickte, war aber vor allem eine politische Entscheidung. Merkels Schlussfolgerung, man müsse in Zukunft „deutlich vorsichtiger“ sein, verheißt nichts Gutes für demokratische Bewegungen in anderen Diktaturen.
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