Menschenrechtsaktivistin über Fußball-WM: „Katar war ein Dammbruch“
Wie es in Saudi-Arabien um die Menschenrechte bestellt ist und warum Amnesty International dort nicht recherchieren darf. Ein Gespräch mit Lisa Salza.
taz: Frau Salza, die Fußball-WM 2034 geht an Saudi-Arabien. Eine Art Katar 2.0.?
Lisa Salza: Ja, nur dass Saudi-Arabien in allem ein paar Nummern größer ist. Es hat eine größere Staatsfläche, höhere Einwohnerzahl, mehr migrantische Arbeiter:innen, und auch das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen ist wesentlich größer.
43, hat Internationale Beziehungen in Genf studiert und ist Referentin für Sport und Menschenrechte bei Amnesty International, Sektion Schweiz.
taz: Wie sieht es mit Opposition aus?
Salza: Die Zivilgesellschaft arbeitet vom Exil aus. In Saudi-Arabien ist die Repression zu groß. Es droht Inhaftierung oder Ausreiseverbot. Nach Katar durfte Amnesty International reisen, wir konnten dort recherchieren, mit Behörden und – zumindest zu Beginn – mit migrantischen Arbeiter:innen sprechen. In Saudi-Arabien geht das alles nicht. Wir dürfen nicht vor Ort recherchieren.
taz: War die WM 2022 in Katar im Vergleich zu Saudi-Arabien gar nicht so schlimm?
Salza: Es gibt viele Parallelen zwischen Saudi-Arabien und Katar. Zu Recht stark in der Kritik war 2022 das Kafala-System. Es besagt, dass ein:e Arbeiter:in eine Bürgschaft braucht, um dort arbeiten zu können. Ein Jobwechsel ist nur mit Erlaubnis des Arbeitgebers möglich. Das Kafala-System gibt es auch in Saudi-Arabien. Es ist unverständlich, wie die Fifa nach der Erfahrung in Katar erneut sehenden Auges in Kauf nimmt, dass Menschen für die WM ausgebeutet oder gar sterben werden.
taz: Die Katar-WM zeigte doch, dass die Fifa Menschenrechte ernster nehmen muss als zuvor?
Salza: Nach dem Turnier hatte ich tatsächlich gedacht, es sei so etwas wie eine Grenze erreicht. Dass es der Fifa nicht möglich sei, so etwas noch einmal durchzusetzen. Mittlerweile sehe ich, dass das eine naive Sicht war. Katar war ein Dammbruch. Gianni Infantino, der Fifa-Präsident, hat bemerkt, dass ihn niemand in seiner Machtfülle einschränkt.
taz: Warum holt Saudi-Arabien neben dem Fußball noch derart viel weiteren Spitzensport ins Land?
Salza: Es gibt eine „Vision 2030“, die Mohammed bin Salman, der Kronprinz, formuliert hat. Diese sieht eine Diversifizierung der Wirtschaftszweige und eine geringere Abhängigkeit von der Ölförderung vor. Der Kronprinz investierte seit 2021 sechs Milliarden Dollar in den Sport. Durch eine intensive Marketingstrategie gelingt es, Sportevents wie Boxkämpfe, Springreiten, Formel-1, Tennis und etwa die Asien-Winterspiele 2029 austragen zu dürfen.
taz: Welche Rolle spielt der Fußball da?
Salza: Er ist das Herzstück dieser Politik, einerseits weil er zu einer milliardenschweren Industrie wurde, andererseits weil er hier sehr beliebt ist. Saudi-Arabien richtet nicht nur große Turniere aus, es kauft sich auch in Fußballvereine ein. Der englische Klub Newcastle United gehört faktisch dem saudischen Staat. Der staatseigene Aramco-Konzern, die größte Erdölgesellschaft der Welt, ist Sponsor der Fifa. Darüber hat es gerade im Frauenfußball einen Aufschrei gegeben. Die Spielerinnen wollen sich nicht von einem Land sponsern lassen, das Frauenrechte mit Füßen tritt.
taz: Das ist Sportswashing?
Salza: Mohammed bin Salman will, dass Saudi-Arabien nicht mehr als repressives Regime wahrgenommen wird, sondern als modernes, weltoffenes Land. Einmal hat er gesagt: Wenn Sportswashing hilft, unser Bruttoinlandsprodukt zu steigern, dann machen wir weiter Sportswashing.
taz: Wie nehmen Sie Einfluss auf die Fifa?
Salza: Wir versuchen es seit geraumer Zeit. Vor der Katar-WM hatten wir viel recherchiert, Berichte über die Menschenrechtsverletzungen und die Lage der migrantischen Arbeiter:innen erstellt. Auch Sponsoren wie Coca-Cola haben Druck gemacht. Gewerkschaften hatten Klagen eingereicht. All das hat bewirkt, dass die Fifa sich gezwungen sah, Menschenrechtskriterien einzuführen. Allein: Die Vergabe an Saudi-Arabien ohne glaubwürdige Menschenrechtsgarantien zeigt uns, dass diese Kriterien reine Papiertiger sind.
taz: Welche Rolle spielt die Schweiz?
Salza: Weil die Schweiz der Sitzstaat der Fifa ist, profitiert sie von deren Einnahmen. Doch sie stiehlt sich aus der Verantwortung, von der Fifa die Respektierung der Menschenrechte einzufordern. Wir haben daher eine Petition gestartet, die dem Schweizer Bundesrat überreicht wird. Dieser muss sicherstellen, dass Sportverbände, die in der Schweiz ansässig sind, ihrer Sorgfaltspflicht bezüglich Menschenrechten nachkommen.
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